Bund und Länder haben sich in der vergangenen Woche darauf geeinigt, Schulen wieder schrittweise zu öffnen. Bei der Umsetzung gehen die Bundesländer wieder ihre eignen Wege: In Berlin, Brandenburg, Schleswig-Holstein und Hamburg haben die Abiturprüfungen bereits begonnen, in anderen Bundesländer haben die Vorbereitungen auf die Schulöffnungen erst begonnen.
Das scheint jedoch nicht ganz reibungslos zu funktionieren. In einem offenen Brief hat die Schulleitungsvereinigung Nordrhein-Westfalen, ein Zusammenschluss von Schulleiterinnen und Schulleitern, auf entsprechende Schwierigkeiten hingewiesen. Demnach seien die räumlichen und personellen Voraussetzungen an den meisten Schulstandorte nicht dafür geeignet, eine schnelle Schulöffnung zu realisieren.
Im Interview mit dem Dlf erläutert Harald Willert, Vorsitzender der Schulleitungsvereinigung NRW, mit welchen Problemen sich die Schulen konfrontiert sehen.
Hygienepläne können nicht umgesetzt werden
Ann-Kathrin Büüsker: Herr Willert, wenn es jetzt um die Rückkehr der Schülerinnen und Schüler geht, was bereitet Ihnen da die meiste Sorge?
Harald Willert: Also mir und vor allen Dingen den Kollegen vor Ort bereitet die größte Sorge die Umsetzung der Hygienepläne, für die noch konkrete Rahmenbedingungen fehlen, bei denen sie aber jetzt schon merken, dass sie von den Schulträgern, von denen sind sie ja abhängig, in den allermeisten Fällen kaum geleistet werden können. Das fängt damit an, dass die Reinigungszeiten, die in den Schulen ja schon seit Jahren viel zu knapp ausgelegt sind, überhaupt nicht spürbar verbessert worden sind oder es für diese veränderten Reinigungsbedingungen noch gar keine Lösung gibt.
Sie merken, dass bei den Schulträgern, sprich den Städten, Kreisen und Kommunen, also den öffentlichen Schulträgern, oftmals jede Koordination fehlt. Dass die Schulträger eigentlich schon von den Schulen erwarten: Sagt uns, was ihr braucht. Wir haben in einer Stadt am Rhein, einer großen Stadt, dreimal dieselbe Rückfrage aus demselben Amt gehabt zu irgendwelchen Daten aus der Schule. Wie viele Räume habt ihr, wie viele wollt ihr einsetzen, was braucht ihr? Das weist für uns nur darauf hin, das ist die Rückmeldung aus vielen Kommunen - ich kann natürlich nicht für alle sprechen, weil wir das immer eher so auszugsweise mitkriegen -, dass da eine große Unsicherheit ist und auch die Lösungen weder allgemeingültig für alle noch in allen Fällen tragend sind.
Also, in Dortmund hat man gestern meines Wissens am Nachmittag den Schulleitungen mitgeteilt, dass sie mit Desinfektionsmitteln nicht rechnen sollten, dass Händewaschen und Abstand, aber das ist eine Sache, die die Lehrer und Schulleiter machen müssen, aber dass Händewaschen und Reinigen der Tische genügen muss – wobei das Reinigen der Tische auch nicht abgesichert ist, denn die Frage ist, wer soll das zwischen den verschiedenen Schülern, sprich, wenn eine neue Schülergruppe kommt, wer soll das machen?
"Von einem gemeinsamen Vorgehen ist nichts zu spüren"
Büüsker: Wenn ich da mal kurz einhaken darf, Herr Willert, muss man nicht für die Schulen teilweise auch sehr individuelle Lösungen finden, weil die Voraussetzungen eben unterschiedlich sind?
Willert: Das sehe ich genau wie Sie, aber dann muss man auch von Seiten der Schulträger diese individuellen Voraussetzungen kennen und bereit sein und auch die Power haben, darauf eingehen zu können.
Büüsker: Das heißt, wenn ich Sie richtig verstehe, es scheitern im Moment nicht an Vorgaben von Landesebene, sondern tatsächlich auf der Zwischenebene in den Kommunen und Städten.
Willert: Ja, Ministerpräsident Armin Laschet und auch das Ministerium für Schule und Bildung (MSB) haben mitgeteilt: Wir machen das gemeinsam. Gemeint waren Schulen, Ministerium, Schulträger - von dieser Gemeinsamkeit und von einem gemeinsamen Vorgehen ist auf der Ebene der Schulträger nichts zu spüren. Und Gemeinsamkeit vielleicht an einem anderen Punkt, weil ich nicht alleine die Schulträger in die Pflicht nehmen möchte. Es ist so: Das Ministerium hat gesagt, mit Schülerverkehr, also Schüler-ÖPNV, oder mit Schülerbringeinrichtungen haben wir nichts zu tun, das ist nicht unsere Sache. In der Schule hängt das aber eng aneinander. Das ist für uns, für die Schulleiter, für die Schülerinnen und Schüler, die Eltern und die Städte eine gemeinsame Sache.
Büüsker: Das heißt, es fehlt quasi an gebündelter Zuständigkeit und an gebündeltem Anpacken?
Willert: Neben den Ressourcen auch daran, ganz sicher. Davon müssen wir für viele Kommunen, für viele Schulträger ausgehen.
Viele offene Fragen
Büüsker: Jetzt fragen sich viele Eltern: Moment mal, warum wird das eigentlich erst jetzt offenkundig, weil die Schulen sind ja schon mehrere Wochen geschlossen? Da hätte man sich ja tatsächlich auch schon viel eher hinsetzen können und auch mit Blick auf die Schulen Pläne entwickeln können, was passiert, wenn man die Schulen wieder aufmacht. Hat man da in den vergangenen Wochen zu wenig geleistet?
Willert: Die Frage ist, wen meinen Sie? Wer soll zu wenig geleistet haben? Aus den Schulen kann ich nur sagen: Die Rückmeldung in den Wochen waren immer, wann kommt denn etwas, wann erfahren wir etwas, wer informiert uns? Tatsache war, die Mails aus dem Ministerium kamen in der Regel freitags gegen 14 Uhr. Also immer nur noch Handlungsmöglichkeit für die Schulleiter, vielfach ohne Kollegen. Die ganzen Mails, ich habe die fast alle gelesen, noch mal gelesen, beziehen sich immer auf Rahmenbedingungen und Vorgaben, die ja ihre Berechtigungen haben. Sie haben aber selten eigentlich Konkretisierungen zur Folge gehabt oder Konkretisierungen angeboten, ganz im Gegenteil.
Viele Schulen haben ja gewartet auf die Entscheidung zu den Zentralprüfungen zehn. Dann kam die Entscheidung, dann kam ein Hickhack, verpflichtend, dann freiwillig - widersprüchliche Aussagen. Die Schulen hätten gerne und haben im Detail auch natürlich die Beschulung ihrer Kinder wie gefordert vorbereitet. Aber was sie nicht konnten war, die Beschulung vorzubereiten, wenn die Kinder denn nun wiederkommen, weil vollkommen unklar war, geht es um Abitur oder nicht, zentrale Prüfungen ja oder nein, fangen wir mit den Jüngsten an, fangen wir mit den Älteren an? Das waren alles offene Fragen - auf der Ebene der Verbände, habe ich wahrgenommen, aber auch auf der Ebene unseres Verbandes -, die nie kommuniziert werden konnten.
"Was wir möchten, ist ein Plan mit Ausblick"
Büüsker: Sie haben jetzt ja zahlreiche Probleme benannt, die Sie sehen mit Blick auf den Alltag. Wenn sich all das nicht lösen lässt, würden Sie dann lieber darauf verzichten, die Schulen schrittweise zu öffnen?
Willert: Das ist natürlich eine Frage, da würde ich mich sehr weit aus dem Fenster lehnen. Was wir gerne möchten oder einfach brauchen, ist ein Plan mit Ausblick und nicht bis zum 4. oder 5. Mai. Und dafür wird etwas geplant und dann kommt es irgendwie und wir wissen nicht, wie es weitergeht, was dahinter kommen kann. Das ist in keiner Weise angedeutet in Nordrhein-Westfalen, ich habe es woanders allerdings auch nicht gesehen.
Ich möchte nur Folgendes sagen: Eine Grundschulleiterin sagt, ich mache die Notbetreuung, die erweiterte, in meiner Schule, das kriege ich hin mit meinem Personal. Und dann fangen wir mit dem vierten Jahrgang an, aber ich weiß aufgrund der Raum- und der Personalsituation, dass ich maximal den vierten und dritten Jahrgang irgendwie beschulen kann. Zu mehr reicht es räumlich und personell nicht, denn ich muss daran denken, das ist ja ein Thema, was überhaupt nicht angesprochen wird, dass viele Schulleiter nur einen Bruchteil ihrer Kollegen aufgrund der Bedingungen im Haus haben.
Ich habe an Ostern mit einer Gesamtschulleiterin mal überschlagen, was es bedeutet, wenn die Kolleginnen und Kollegen, die 60 Plus, durch Krankheit vorbelastet oder schwanger sind, herausgerechnet werden, was mir bleibt vom Kollegenstamm, so sie gesund bleiben. Das sind um 50 Prozent. Die meisten verlieren 30 Prozent aus ihrem Zugriff und mehr.
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