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Probleme im Labor
Krebszellen mit Identitätskrise

Forscher aus Schweden haben das Schicksal einer Zelllinie nachverfolgt, die sie selbst vor 50 Jahren entwickelt und an eine Zellbank nach Amerika geschickt hatten. Dabei stellten sie fest, dass es gar nicht mehr die Zellen waren, die sie einst in die USA geschickt hatten. Aber die Forscher, die diese Zellen verwendet haben, hatten noch Glück.

Von Christine Westerhaus |
    Krebszellen
    Die Zelllinie aus der Zellbank stammte gar nicht mehr aus einem bösartigen Hirntumor, sondern war eine Mischung aus verschiedenen Krebszellen. (dpa / picture alliance / CTK Petr Eret)
    Wenn ein Forscher an seiner Doktorarbeit schreibt, kennt er die Zellkultur, mit der er arbeitet, in der Regel ziemlich genau. So war es zumindest bei Bengt Westermark, als er in den 1970er-Jahren an der Uppsala Universität mit Zellen aus einem Hirntumor hantierte. Deren Zicken kannte er nur zu gut. Deshalb kam es ihm später merkwürdig vor, dass sich genau diese Zelllinie bei anderen Forschern so großer Beliebtheit erfreute:
    "Mein Mentor hatte diese Zelllinie entwickelt und an eine Zellbank in Amerika geschickt. Ich habe diese Zellen wirklich gehasst, weil sie sich so schwer züchten ließen. Und dann habe ich zu meiner Verwunderung festgestellt, dass andere Forscher in der ganz Welt diese Zellen bei der US-Firma bestellten und offenbar gerne mit ihnen arbeiteten. Da dachte ich: Das können nicht die gleichen Zellen sein, wie jene, mit denen ich mich seinerzeit so herumgeplagt hatte."
    Die Forscher mussten der wahren Identität von U87MG auf den Grund gehen
    In mehr als 1.700 Fachartikeln haben Forscher angeblich die Zelllinie verwendet, die Bengt Westermark einst das Leben schwer gemacht hatte. Um der wahren Identität von U87MG – so ihre offizielle Bezeichnung - auf den Grund zu gehen, bestellten Bengt Westermark und seine Kollegen diese Linie bei der Zellbank und analysierten sie genetisch. Tatsächlich hatte die Zelllinie einen anderen Ursprung als angenommen: Sie stammte gar nicht aus einem Glioblastom, also aus einem bösartigen Hirntumor, sondern war eine Mischung aus verschiedenen Krebszellen.
    "Das waren also nicht die Zellen, die wir einst nach Amerika geschickt hatten. So etwas kann natürlich ein Problem sein, wenn man im Labor Effekte sieht und daraus die falschen Schlüsse zieht. Zum Beispiel, dass bestimmte Substanzen gegen Hirntumore wirken, obwohl die Zellen, an denen das getestet wurde, gar nicht aus einem Tumor stammen."
    Jahrzehntelang experimentierten Forscher in der ganzen Welt in der irrigen Annahme, dass sie mit Zellen aus einem Glioblastom arbeiten. Noch im Jahr 2015 wurden mehr als 200 Studien publiziert, in denen Forscher über ihre Ergebnisse aus Versuchen mit Zellen berichteten, die angeblich aus Uppsala stammten. Doch die Wissenschaftler hatten Glück im Unglück.
    Forscher kommen mitunter zu widersprüchlichen Ergebnissen
    "Der Titel unseres Science Papers heißt: "Good news and bad news". Die schlechte Nachricht ist, dass die Identität der Zellen falsch ist. Die gute, dass es wahrscheinlich trotzdem Zellen aus einem Hirntumor sind. Das bedeutet, dass die Erkenntnisse aus diesen Studien vermutlich dennoch korrekt sind. Man braucht diese Publikationen also nicht zurückzuziehen."
    Die Identitätskrise von U87MG weise aber auf ein generelles Problem in der Forschung hin, sagt Bengt Westermark, der seit fast 50 Jahren mit Zellkulturen arbeitet. Viele Linien, die Wissenschaftler für ihre Forschung kauften, seien nicht die, für die sie ausgegeben werden:
    "Das wissen eigentlich alle. Inzwischen fordern auch einige Fachmagazine, dass Forscher die Identität ihrer Zellen prüfen. Es gibt aber noch eine weitere Dimension des Problems: Bei Tumorzelllinien werden einzelne Zellen aus einem Tumor herausgenommen und gezüchtet. Wenn sie aber aus diesem Zellverband isoliert werden, verlieren sie oft ihre ursprünglichen Eigenschaften. Deswegen ist es wichtig, sie in einem Milieu zu kultivieren, das jenem im Tumor ähnelt."
    Weil die Zuchtbedingungen von Labor zu Labor unterschiedlich sind, entwickeln sich Zellen oft etwas unterschiedlich. Mit der Folge, dass Forscher, die mit derselben Zelllinie arbeiten, mitunter zu widersprüchlichen Ergebnissen kommen. Für Bengt Westermark eine mögliche Erklärung dafür, dass sich Versuchsergebnisse in den Biowissenschaften so schlecht reproduzieren lassen.