Kulturwissenschaftler und Literaturkritiker Klaus Zeyringer hat sich in diversen Büchern auch mit dem Sportsystem auseinandergesetzt. Er sieht zwei große Gründe für die Probleme in den Systemen:
"In den reichen Sportarten sind die Dachverbände - IOC, FIFA, UEFA, nationale Verbände - Wirtschaftsunternehmen, wollen aber gleichzeitig gemeinnützig sein. Das ist das erste Problem. Das zweite Problem sind die Strukturen, die bestimmte Systeme bewirken. Alles, was jetzt passiert, beruht auf diesen Strukturen und diesem System."
Jens Flatau ist Sportökonom an der Uni Kiel. Er führt die Argumentation fort. Für ihn durchlaufen die Funktionäre in Vereinen und kleinen Verbänden eine schlechte Schule:
"Es fehlt mir doch bei den Regierenden an der entsprechenden Professionalität, weil sie eben eigentlich von ihrer Genese her aus diesen kleinen Organisationen kommen, sich dort hochgedient haben. Und die Führungspraktiken in diesen kleinen Organisationen sind doch andere und funktionieren besser in diesen kleinen Organisationen, Sportvereinen, wo Jeder Jeden kennt", erklärt Flatau.
"Da haben wir dann auch beispielsweise eine informelle Kontrolle. Also Informalität spielt eine ganz große Rolle bei diesen Problemen, die wir hier haben. Und ich denke, solche Konzerne, wie Herr Zeyringer das ja auch gesagt hat, die können Sie eigentlich nicht auf dieser informellen Ebene führen. Und dass es dort an der einen oder anderen Stelle zu Problemen kommt, kann nicht verwundern."
"Informell funktioniert nicht"
Zeyringer sieht in den Präsidien der Verbände eine "neofeudale Art". Die Verbände seien Pyramidenförmig aufgebaut. Athleten hätten nichts zu sagen, seien Untertanen. Die Strukturen sieht er als wenig demokratisch oder transparent.
Dabei sind die Organisationen ursprünglich durch eine Graswurzelbewegung von Sportlerinnen und Sportlern entstanden. Der Sinn habe sich aber erst in kleinen Vereinen und dann auch in den Verbänden umgekehrt. Eben auch, weil bei dieser eigentlich basisdemokratisch verfassten Organisationsform die Kontrolle über viel Informalität ausgeübt werde.
"Die kann aber bei ihrer Größe und bei den Millionen-, teilweise Milliardenumsätzen, die gemacht werden, einfach nicht mehr so informell funktionieren. Oder sie führt dann eben zu den Problemen, wie wir sie jetzt eben sehen. Beispielsweise der angesprochene Einflussverlust der einzelnen Mitglieder, denjenigen, die mal ganz ursprünglich diese kleinen Vereine gegründet haben: den Sportlerinnen und Sportler."
Zeyringer nennt als Ausnahme dieser Genese allerdings das IOC: Das sei von Anfang an von oben gegründet worden.
"Und seither ist das Internationale Olympische Komitee nie irgendwie von unten bedient worden, sondern es funktioniert ja auch in seiner Zuwahl feudal, indem es wie eine Tafelrunde funktioniert. Das heißt: Die, die am Tisch sitzen, wählen diejenigen hinzu, die sie wollen. Und das bedeutet, dass sie im Grunde natürlich die hinzuwählen, die ihnen entsprechen. Das ist eine andere Organisation als in den Landesverbänden für die diversen Sportarten."
Perspektivisch gibt es für Zeyringer eine Entscheidung: "Entweder sehen sich die Sportverbände als kapitalistische Wirtschaftsunternehmen, dann sollen sie auch wie solche Unternehmen funktionieren und sollen aber auch entsprechend Steuern bezahlen und entsprechend weniger Subventionen bekommen."
"Fünf Sterne statt Olympischem Dorf"
Oder aber sie würden sich tatsächlich als gemeinnützige Verein sehen. Dann sollten sie aber auch entsprechend arbeiten. Das bedeute, sie müssten transparent, demokratisch und kontrollierbar sein - und auch, dass die Funktionsperioden nicht mehr 40 Jahre dauern dürften.
"Denn wenn wir uns etwa an der Spitze des DOSB Hörmann ansehen, dann hat man eine Funktionärskarriere, die schon sehr lange dauert. Die außerdem aus dem Skiverband kommt, der geradezu das Beispiel eines undemokratischen Verbandes ist: dem internationalen Skiverband", so Zeyringer.
"Oder man hat das Beispiel von dem Herrn im DFB, nämlich Rainer Koch, der auch schon 40 Jahre als Funktionär dabei ist. (...) Und das sind Leute, die Gemeinnützigkeit behaupten, aber sich selbst dadurch ein äußerst luxuriöses Leben gestalten. Das heißt, das lustige zum Beispiel ist ja, dass die Herrschaften des IOC nicht im olympischen Dorf wohnen, sondern in einem Fünf-Sterne-Hotel."
Die Politik sollte genau hinschauen bei den Sportverbänden, findet Zeyringer. Und Flatau hat eine weitere Forderung: Die Verbände brauchten professionelle Führung und mehr Einfluss der Aktiven, die ein bisschen vernachlässigt würden. "Und die wieder damit hineinzubringen, auch mit gewissen Macht-Instrumentarien auszustatten - das würde ich schon als vollkommen gerechtfertigt betrachten."