Stefan Koldehoff: Zurück nach Potsdam will die Familie des Bankiers Paul von Mendelssohn gern eine Reihe von Kunstwerken holen, die dem Kunstsammler einst gehört haben. Und einst, das heißt wie in so vielen Fällen von Kunstrestitution, bevor die Nationalsozialisten die Juden ausplünderten, vertrieben, ermordeten. Picassos Porträt der Madame Soler hängt seit 1964 in der neuen Pinakothek in München, weil es die Mendelssohn-Erben 1935 unter Druck verkaufen mussten, sagen sie selbst. Es war kein verfolgungsbedingter Verkauf, sagen dagegen die bayrischen Staatsgemäldesammlungen. – Uwe Hartmann ist Leiter der Arbeitsstelle Provenienzforschung am Berliner Institut für Museumsforschung, jener Stelle also, die im Auftrag des Bundes Mittel zur Provenienzforschung an Museen verteilt, und weil er zum aktuellen Fall kaum etwas sagen wird, zunächst ganz allgemein die Frage: Wenn es immer noch Fälle wie diesen um Madame Soler gibt, bei denen Erben ihre Rechte einfordern müssen, haben dann die Museen ihre vor 13 Jahren gegebene Zusage, selbst zu forschen und von sich aus auf die Erben zuzugehen, nicht eingehalten?
Uwe Hartmann: Ja, das ist natürlich nach wie vor ein Zustand, den wir alle anstreben. Aber in diesem Fall – und deswegen kann ich auf Ihre Frage doch insofern eingehen -, wenn ich für die Provenienzforschung spreche, dann muss ich sagen, hier hat die Provenienzforschung in diesem konkreten Fall ihre Aufgaben erfüllt, denn wir haben zumindest für den infrage stehenden Zeitraum der NS-Zeit keine Provenienzlücke. Die Frage natürlich, die im Hintergrund steht – und da möchte ich mich derzeit nicht äußern, weil es ja noch ein laufendes Verfahren ist -, wie werden solche Erkenntnisse, solche Fakten interpretiert.
Koldehoff: Wenn Sie sagen, die Provenienzforschung hat ihre Aufgabe erfüllt, dann bedeutet das, es steht fest, der Bankier Paul von Mendelssohn-Bartholdy hat, als er merkte, als Jude wird es mir nicht gut gehen unter den Nationalsozialisten, es geschafft, eine Reihe von Bildern in die Schweiz zu geben, hat sie dort an einen Galeristen, an Thannhauser nämlich, weitergegeben und gebeten, nach Käufern zu suchen. Und irgendwann nach dem Krieg hat München dann von Thannhauser dieses Picasso-Bild erworben. Was gilt es denn zu interpretieren, wenn Sie sagen, die Fakten sind klar?
Hartmann: Was im Sinne eben gerade der gemeinsamen Erklärung als deutsche Ableitung der Washingtoner Prinzipien ja immer wieder hervorgehoben werden muss, ist die Verantwortung der Träger der Museen, hier gerechte und faire Lösungen zu finden, und das sind weiß Gott nicht allein die Provenienzforscherinnen und –Forscher in den Museen, sondern das ist ein sehr viel größerer Personenkreis, der sich hier dann eben Gedanken machen muss, wie gehen wir vor, nachdem wir hier die Provenienz geklärt haben.
Koldehoff: Sie haben gerade die gemeinsame Erklärung angesprochen. Es gab 1998 eine sogenannte Washingtoner Erklärung, da haben sich ganz viele Staaten verpflichtet, nicht mehr auf Verjährungsfristen zu achten, sondern wenn jemand – ich verkürze da jetzt sehr stark – nachweisen kann, dass ihm unter NS-Druck ein Bild geraubt worden ist, dass man es ihm dann nach Möglichkeit auch unter bestimmten Voraussetzungen zurückgeben will. Ein Jahr später diese gemeinsame Erklärung noch mal für die öffentlichen Träger von Museen in Deutschland; die geht weiter, die schließt auch das sogenannte Fluchtgut mit ein, also Bilder, die nicht physisch von der Wand gerissen, aus dem Gepäck gestohlen wurden, sondern bei denen die ursprünglichen Eigentümer mal gezwungen worden sind, um ihre weitere Flucht, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können, diese Werke zu verkaufen. Ist dieser Unterschied, dass das eine nur in der deutschen Erklärung vorkommt, nicht aber in der Washingtoner Erklärung, ist das vielleicht mit Ursache für viele Probleme oder Interpretationslücken, wie Sie vorhin beschrieben haben?
Hartmann: Ja das ist ein Anspruch, der höhere Anforderungen voraussetzt oder die Erfüllung dieser Anforderungen voraussetzt, und ich persönlich halte das auch für richtig, weil der Ansatzpunkt für Washington war ja, dass man festgestellt hat, Unrecht, was die Nationalsozialisten verübt haben, besteht bis heute fort, durch eine Vielzahl von Prozessen, die in der Zwischenzeit vonstatten gingen, eben auch in Ländern, die damals neutral waren, oder wirklich aktiv. Während der Anti-Hitler-Koalition gab es Personen, gab es Institutionen, in unserem konkreten Fall Museen, die unwissentlich und nicht direkt, aber dennoch von diesem NS-Kulturgutraub profitierten. Und ein besonderer Punkt war das sogenannte Fluchtgut. Nach den Gesetzen in der deutschen Wiedergutmachungspolitik, da heißt es sinngemäß, dass Anspruchsteller nur sein kann, wer in Deutschland oder in den besetzten Gebieten Opfer der Verfolgungsmaßnahmen gewesen ist. Da hätten also Personen wie Mendelssohn-Bartholdy oder Max von Emden oder andere gar keine Wiedergutmachungsanträge stellen können. Und nun haben wir in Einzelfällen oder in einem speziellen Fall – das war die erste Beratung auch der Kommission unter dem Vorsitz von Frau Limbach – einen solchen Fall entschieden: die Sammlung Freund, wo man eben festgestellt hat, die Kommission festgestellt hat, ja, um den Lebensunterhalt im Exil überhaupt bestreiten zu können, muss man eine Kunstsammlung, die man bei Zeiten in Sicherheit in die Schweiz gebracht hatte, versteigern lassen, bei Fischer dort in Luzern. Und da hat man so entschieden.
Nehmen wir einen ähnlichen Fall: die Sammlung Max von Emden. Da ist es auch vor einigen Jahren in der Öffentlichkeit diskutiert worden, ob ein so vermögender Kunstsammler, der schon vor der Machtergreifung einen Sitz in der Schweiz eingenommen hat, einen Wohnsitz in der Schweiz eingenommen hat, ob der auf der einen Seite überhaupt unter Zwang zwei Arbeiten verkauft hat.
Auf der anderen Seite weiß man genau, dass es hier konkret um zwei Bellatos beziehungsweise Canalettos ging, und Haberstock, der Kunsthändler Hitlers, wie er immer genannt wurde, der gerade einige Tage zuvor mit Hitler in Dresden war und die Begeisterung gesehen hatte, mit der Hitler die dort befindlichen Werke gesehen hatte, fährt also sofort zu diesem ehemaligen Hamburger Unternehmer und kauft ihm diese Werke ab. Es existiert kein Protokoll darüber. Also das ist ja die Schwierigkeit heute, dann zu sagen, auch hier ist die Provenienz ziemlich einfach zu recherchieren gewesen durch die Unterlagen des Führerauftrages, des Sonderauftrages Linz. Aber ob Haberstock ihn unter Druck gesetzt hat oder nicht, das sind die schwierigen Ermessensfragen heute.
Koldehoff: Uwe Hartmann, vielen Dank, Leiter der Arbeitsstelle Provenienzforschung zur Restitutionspolitik deutscher Museen und der Probleme, die daraus entstehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Uwe Hartmann: Ja, das ist natürlich nach wie vor ein Zustand, den wir alle anstreben. Aber in diesem Fall – und deswegen kann ich auf Ihre Frage doch insofern eingehen -, wenn ich für die Provenienzforschung spreche, dann muss ich sagen, hier hat die Provenienzforschung in diesem konkreten Fall ihre Aufgaben erfüllt, denn wir haben zumindest für den infrage stehenden Zeitraum der NS-Zeit keine Provenienzlücke. Die Frage natürlich, die im Hintergrund steht – und da möchte ich mich derzeit nicht äußern, weil es ja noch ein laufendes Verfahren ist -, wie werden solche Erkenntnisse, solche Fakten interpretiert.
Koldehoff: Wenn Sie sagen, die Provenienzforschung hat ihre Aufgabe erfüllt, dann bedeutet das, es steht fest, der Bankier Paul von Mendelssohn-Bartholdy hat, als er merkte, als Jude wird es mir nicht gut gehen unter den Nationalsozialisten, es geschafft, eine Reihe von Bildern in die Schweiz zu geben, hat sie dort an einen Galeristen, an Thannhauser nämlich, weitergegeben und gebeten, nach Käufern zu suchen. Und irgendwann nach dem Krieg hat München dann von Thannhauser dieses Picasso-Bild erworben. Was gilt es denn zu interpretieren, wenn Sie sagen, die Fakten sind klar?
Hartmann: Was im Sinne eben gerade der gemeinsamen Erklärung als deutsche Ableitung der Washingtoner Prinzipien ja immer wieder hervorgehoben werden muss, ist die Verantwortung der Träger der Museen, hier gerechte und faire Lösungen zu finden, und das sind weiß Gott nicht allein die Provenienzforscherinnen und –Forscher in den Museen, sondern das ist ein sehr viel größerer Personenkreis, der sich hier dann eben Gedanken machen muss, wie gehen wir vor, nachdem wir hier die Provenienz geklärt haben.
Koldehoff: Sie haben gerade die gemeinsame Erklärung angesprochen. Es gab 1998 eine sogenannte Washingtoner Erklärung, da haben sich ganz viele Staaten verpflichtet, nicht mehr auf Verjährungsfristen zu achten, sondern wenn jemand – ich verkürze da jetzt sehr stark – nachweisen kann, dass ihm unter NS-Druck ein Bild geraubt worden ist, dass man es ihm dann nach Möglichkeit auch unter bestimmten Voraussetzungen zurückgeben will. Ein Jahr später diese gemeinsame Erklärung noch mal für die öffentlichen Träger von Museen in Deutschland; die geht weiter, die schließt auch das sogenannte Fluchtgut mit ein, also Bilder, die nicht physisch von der Wand gerissen, aus dem Gepäck gestohlen wurden, sondern bei denen die ursprünglichen Eigentümer mal gezwungen worden sind, um ihre weitere Flucht, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können, diese Werke zu verkaufen. Ist dieser Unterschied, dass das eine nur in der deutschen Erklärung vorkommt, nicht aber in der Washingtoner Erklärung, ist das vielleicht mit Ursache für viele Probleme oder Interpretationslücken, wie Sie vorhin beschrieben haben?
Hartmann: Ja das ist ein Anspruch, der höhere Anforderungen voraussetzt oder die Erfüllung dieser Anforderungen voraussetzt, und ich persönlich halte das auch für richtig, weil der Ansatzpunkt für Washington war ja, dass man festgestellt hat, Unrecht, was die Nationalsozialisten verübt haben, besteht bis heute fort, durch eine Vielzahl von Prozessen, die in der Zwischenzeit vonstatten gingen, eben auch in Ländern, die damals neutral waren, oder wirklich aktiv. Während der Anti-Hitler-Koalition gab es Personen, gab es Institutionen, in unserem konkreten Fall Museen, die unwissentlich und nicht direkt, aber dennoch von diesem NS-Kulturgutraub profitierten. Und ein besonderer Punkt war das sogenannte Fluchtgut. Nach den Gesetzen in der deutschen Wiedergutmachungspolitik, da heißt es sinngemäß, dass Anspruchsteller nur sein kann, wer in Deutschland oder in den besetzten Gebieten Opfer der Verfolgungsmaßnahmen gewesen ist. Da hätten also Personen wie Mendelssohn-Bartholdy oder Max von Emden oder andere gar keine Wiedergutmachungsanträge stellen können. Und nun haben wir in Einzelfällen oder in einem speziellen Fall – das war die erste Beratung auch der Kommission unter dem Vorsitz von Frau Limbach – einen solchen Fall entschieden: die Sammlung Freund, wo man eben festgestellt hat, die Kommission festgestellt hat, ja, um den Lebensunterhalt im Exil überhaupt bestreiten zu können, muss man eine Kunstsammlung, die man bei Zeiten in Sicherheit in die Schweiz gebracht hatte, versteigern lassen, bei Fischer dort in Luzern. Und da hat man so entschieden.
Nehmen wir einen ähnlichen Fall: die Sammlung Max von Emden. Da ist es auch vor einigen Jahren in der Öffentlichkeit diskutiert worden, ob ein so vermögender Kunstsammler, der schon vor der Machtergreifung einen Sitz in der Schweiz eingenommen hat, einen Wohnsitz in der Schweiz eingenommen hat, ob der auf der einen Seite überhaupt unter Zwang zwei Arbeiten verkauft hat.
Auf der anderen Seite weiß man genau, dass es hier konkret um zwei Bellatos beziehungsweise Canalettos ging, und Haberstock, der Kunsthändler Hitlers, wie er immer genannt wurde, der gerade einige Tage zuvor mit Hitler in Dresden war und die Begeisterung gesehen hatte, mit der Hitler die dort befindlichen Werke gesehen hatte, fährt also sofort zu diesem ehemaligen Hamburger Unternehmer und kauft ihm diese Werke ab. Es existiert kein Protokoll darüber. Also das ist ja die Schwierigkeit heute, dann zu sagen, auch hier ist die Provenienz ziemlich einfach zu recherchieren gewesen durch die Unterlagen des Führerauftrages, des Sonderauftrages Linz. Aber ob Haberstock ihn unter Druck gesetzt hat oder nicht, das sind die schwierigen Ermessensfragen heute.
Koldehoff: Uwe Hartmann, vielen Dank, Leiter der Arbeitsstelle Provenienzforschung zur Restitutionspolitik deutscher Museen und der Probleme, die daraus entstehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.