"Ich habe auch Boybands gehört", gibt Tucké Royale zu. Ein Performer, Autor und Musiker aus Berlin. Nun spielt er selbst in einer Boyband, schreibt sie aber mit i. Und die "steht für die Problematisierung von Mannsein als Penis-Talent", schreiben sie über sich selbst.
"Es gibt immer den mit der schönen Stimme"
"Also ich muss mal sagen, so eine herkömmliche Boyband verstehe ich, ehrlich gesagt, auch oft als so hierarchisches Teenie-Flaggschiff, wo immer einer vorne an der Spitze ist, und dann gibt es Leute, die eher so ein bisschen tanzen können. Und dann gibt es den mit der schönen Stimme, und der ist dann für die schnulzigen Sachen verantwortlich."
Dieses Boyband-Prinzip ist schnell erzählt: Ein Manager sucht sich nach Vorbild des Boygroup-Masterminds Lou Pearlman vier oder fünf Jungs zusammen: Als dieser den Erfolg der Teenieband New Kids on the Block beobachtet, plant er deren Konkurrenz. Die fünf Jungs für die Backstreet Boys findet er per Zeitungsannonce.
Jungs, die besser tanzen als singen können, super süß aussehen und mit einer Latzhose ihr ölverschmiertes Sixpack einreiben und dabei die Songs von den Supersongwritern wie Max Martin nachsingen - wofür genau sie nun berühmt sind, weiß wohl keiner mehr genau. Ein bisschen wie die heutigen YouTube-Stars, die ja auch einfach fürs Existieren angehimmelt werden.
Die meisten der Boybands: schneller vergessen als erfunden. Oder wer kennt noch Blue, O-Town, The Wanted oder die deutschen Antworten wie Bed & Breakfast, The Boyz oder Touché?
"Ein weiteres Merkmal ist wahrscheinlich, dass diese Männer auf der Bühne häufig oder fast ausschließlich nur über Liebe singen. Und das ist oft heterosexuell gemeint", sagt Tucké Royale.
Und was ist mit den Beatles, Nirvana und Depeche Mode?
Mann liebt Frau. Darüber haben auch die Beatles gesungen - sind sie also auch eine Boygroup? Wenn ja, wäre dann nicht die komplette Popmusikgeschichte zu 90 Prozent voller Boygroups - immerhin bestehen fast alle Bands nur aus "Boys".
"Ich bin später direkt zu Nirvana rüber gewechselt, was ja im Prinzip auch nur so 'ne undergroundige Boyband war. Zumindest bin ich mit einem ähnlichen Verknalltheitsgefühl da reingegangen", erzählt Tucké Royale.
Aber weder Kurt Cobain noch Depeche Mode, die Beatles, The Smiths oder The Libertines haben jemals in einer Pfeilformation zu seltsamen Choreografien auf der Bühne getanzt. Die Beatles haben zwar wie die Boybands der 90er kreischenden, minderjährigen Mädchen das Geld aus dem Portemonnaie gezogen und den Kopf verdreht - aber die Boygroups der 90er haben auf der Bühne nie ein Instrument in die Hand genommen, sie waren ein Produkt der Musikindustrie, die keinen Hehl daraus gemacht hat, dass die fünf Backstreet Boys nicht das schöpferische Genie auf der Bühne sind.
Junggesellinnen-Abschiede und Hochzeiten
Boygroups manifestierten konservative Verhältnisse: Mann liebt Frau, Frau himmelt Mann an, Mann ist stark und der Star, Teenie-Mädchen sind nur hormongesteuert, hysterisch und verlieben sich viel zu schnell. Und erfolgreicher und relevanter sind immer nur die Männer. Es gibt viel weniger erfolgreiche Girlgroups. Mit einer Ausnahme - die Spice Girls, die sich ganz anders geben als die Boys: selbstbewusst und nicht so gefühlsduselig.
Heute scheint all das aber egal - 20 Jahre nach dem Boygroup-Hype der 90er geht es nur noch um ein Gefühl: die Nostalgie. Vielleicht sind nun alle Hardcore-Backstreet-Boys-Fans auf Junggesellinnen-Abschieden und Hochzeiten angekommen - und damit in dem Alter, in dem es ihnen vielleicht zu müßig geworden ist, sich für neue Musik zu interessieren. Sie kramen lieber die alten Kamellen wieder aus. Da sind die Oldies von morgen die Boygroups aus den 90ern.
Oder auch nicht. Ob zusammengecastete Produkte der Musikindustrie oder nicht - die Boybands bleiben im Herzen ihrer damaligen Fans. Die Kassen klingeln weiter.