Gerd Breker: Einer der Unterzeichner der Forderung nach einer 30-Stunden-Woche ist der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel. Ihn begrüße ich nun am Telefon, guten Tag, Herr Hickel!
Rudolf Hickel: Guten Tag, Herr Breker!
Breker: 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich – da reibt man sich die Augen, ein Thema von anno Piefke, Herr Hickel!
Hickel: Also insgesamt kann ich gut verstehen, dass man sich halt die Augen reibt, und dass es ein Thema von anno Piefke ist, ist ja genau ein Grund, warum wir den Aufruf geschrieben haben. Wir haben sehr gute Erfahrungen gehabt 1984, Sie erinnern sich noch an die Sonnenblume, 35-Stunden-Woche. Und wir denken, dass es jetzt mal wieder Zeit ist, an die Arbeitszeitverkürzung zu erinnern. Insoweit ist es in der Tat eine Wiederholung, und mein Kollege Peter Bofinger hat ja gesagt, er findet die Forderung jetzt falsch, aber er fand sie damals richtig, und da kann man ja dann auch darüber diskutieren, ob es sinnvoll ist.
Breker: Nur, Herr Hickel, Europa ist doch keine Insel. Die Globalisierung ist doch Realität, die ist doch da.
Hickel: Das stimmt. Aber wir haben ja in Deutschland, was die Globalisierung betrifft, einen energischen Vorteil: Wir haben unglaublich starke Unternehmen, vor allem mit einer hohen Produktivität, also Leistungsfähigkeit der Arbeitsstunde. Das hat etwas zu tun mit der Qualität der Produktionsanlagen und Investitionen. Und deshalb wird daraus genau ein Schuh. Wir sagen in dem Aufruf, dass die Produktivität enorm steigt und dass wir eigentlich ein Stück dieses Produktivitätsanstiegs zurückgeben können in Form von Arbeitszeitverkürzungen. Es gibt zwei Anlässe, die aktuell vielleicht die Situation etwas anders darstellen. Erstens geht es uns dabei auch ,die viel geführte Debatte über Arbeitshetze und psychologische Belastung am Arbeitsplatz zu entspannen, und das zweite ist ganz wichtig: Es gibt es eine lange Passage, die ich selber mit beeinflusst habe, nämlich darüber, dass wir sagen, wir wollen damit gleichzeitig auch einen Beitrag leisten zum Abbau des Niedriglohnsektors. Denn da ist die Konstellation eine andere, da wird zum Teil sehr kurz gearbeitet, wenig gearbeitet, weil nicht mehr angeboten wird. Auf der anderen Seite werden miserable Löhne bezahlt. Und dass man das Ganze wieder sozusagen ins Visier nimmt eines Normalarbeitsverhältnisses. Auch das ist eine Stoßrichtung der Erklärung.
Breker: Die Schwellenländer, die Tiger-Staaten, sie werden an Europa vorbeiziehen. Lohnstückkosten kann man nicht ignorieren, nicht als Wettbewerbsfaktor.
Hickel: Das ist richtig. Die Lohnstückkosten nehme ich natürlich auch ernst im internationalen Vergleich. Aber die Status-quo-Analyse gebietet ja zu sagen, dass wir zurzeit eher Probleme schaffen mit unseren vergleichsweise niedrigen Lohnstückkosten. Damit hat ja auch sehr viel die Eurokrise zu tun, weil die anderen Länder mit höheren international vergleichbaren Lohnstückkosten mehr belastet sind. Das ist das eine, aber das andere ist: Was ist denn die Basis der Lohnstückkosten, der günstigen Entwicklung? Das ist die Produktivität, das ist der Arbeitseinsatz von Menschen. Und deshalb bleibe ich dabei, die Idee wieder aufzugreifen, wirklich aufzugreifen, breit zu diskutieren, inwieweit man ein Stück auch wieder zurückgibt, vor allem an die Vollzeitbeschäftigten, in Form von Arbeitszeitverkürzung.
Breker: Nur – Europa wird international abfallen. Die Bedeutung Europas schwindet ja eh. Der Trend wird unumkehrbar und wird sich am Ende beschleunigen.
Hickel: Also so düster sehe ich die Entwicklung nicht, aber in der Tat ist es so, dass sich die Weltmarktanteile, die Gewichte sehr stark verschieben, insbesondere natürlich nach China, in die Schwellenländer, Sie haben es schon zitiert, Herr Breker, aber man muss natürlich dazu sagen, in den Schwellenländern zeigen sich natürlich auch Probleme. Die Vorstellung beispielsweise in China – und ich war gerade vor drei Wochen und hab mir das mal ein bisschen angeguckt –, die Vorstellung in China, dass man dauerhaft mit Lohndumping sozusagen, mit Unterschreiten von Lohnstandards im Grunde genommen Produktivitätsvorteile sichern kann, das geht nicht auf. Deshalb gibt es ja auch viele Bewegungen in den Betrieben. Das heißt also, auf Dauer sich darauf einzustellen, dass wir jetzt unsere Lohnentwicklung abhängig machen sollten insgesamt von der Frage, wie es sich in den Schwellenländern entwickelt, das halte ich für die falsche Strategie. Die richtige Strategie, und die wollen wir eigentlich fördern mit unserer Konzeption der Arbeitszeitverkürzung, die richtige Strategie in Deutschland muss sich auf das konzentrieren, wo wir wirklich sehr gut sind – das ist die Innovationsfähigkeit. Und dazu bedarf es auch vernünftiger Arbeitsbedingungen.
Breker: 30-Stunden-Woche, das klingt wie ein Traum aus der Vor-Agenda-Zeit, das klingt so, als könnte man die Zeit locker mal eben zurückdrehen und mit den Rezepten der Vergangenheit die Zukunft bewältigen.
Hickel: Also ich gebe ja zu, es sind zwei Probleme, die Sie angesprochen haben, die ich auch methodisch gerne auseinanderhalten wollte. Das eine ist die Frage der Agenda 2010, und wir sind ja dabei, nicht nur wir in der Arbeitsgruppe, sondern vor allem auch die Politik. Die SPD, die Grünen sind ja dabei, gerade die Agenda 2010 in zwei Punkten zentral zu ändern beziehungsweise auf Fehlentwicklungen zu reagieren. Die Tatsache, dass wir in Deutschland so heftig Mindestlöhne diskutieren, hat etwas mit den Fehlentwicklungen der Agenda 2010 zu tun. Und das Zweite ist, dass die IG Metall sich wirklich vorbildlich dafür einsetzt, auch wieder die Leiharbeit zu regulieren, ist ja eine Folge der Deregulierung von 2003. Also das muss, dieses Thema muss behandelt werden, da sind wir aber im breiten Konsens auch insgesamt mit den Gewerkschaften, völlig klar. Das Zweite ist, natürlich wirkt es wie vorgestern, manche schreiben ja, das sei ein Rückfall in Marxismus. Ich habe noch nie irgendwo gelesen, dass im Marxismus eine Arbeitszeitverkürzung gefordert wird. Ich lasse mich auf solche Polemik, lasse ich mich nicht gerne ein, aber entscheidend ist es doch, geht es darum: Kann man die Idee wiederbeleben? Und ich sage noch mal dazu, zwei Positionen: Erstens ist es natürlich nie auf einen Schlag, es ist eine schrittweise Konzeption. Da muss man sehen, innerhalb der schrittweise muss es Lernprozesse geben, und wenn die Katastrophe eintritt, die Sie prognostiziert haben, dann muss man darauf reagieren. Und das Zweite ist mit dem vollen Lohnausgleich. Wir haben ja eine Formel entwickelt in der Durchsetzung sozusagen der Arbeitszeitverkürzung der IG Metall von 1984. Die Formel lautet, wir nehmen einen Tariflohnzuwachs und einen Teil davon geht auch in die Finanzierung der Arbeitszeitverkürzung. Das steht im Papier drin. Insoweit gibt es eigentlich, und das ist dann ökonomisch auch wieder sinnvoll, kann es natürlich einen kompletten Lohnausgleich nicht geben, so nach dem Motto, die gesamte Arbeitszeitverkürzung wird finanziert von den Unternehmen, das muss untergebracht werden in einer vernünftigen Tarifformel, über die wir jetzt ja gerade in Metall- und Elektroindustrie streiten.
Breker: Der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel im Deutschlandfunk.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich
Rudolf Hickel: Guten Tag, Herr Breker!
Breker: 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich – da reibt man sich die Augen, ein Thema von anno Piefke, Herr Hickel!
Hickel: Also insgesamt kann ich gut verstehen, dass man sich halt die Augen reibt, und dass es ein Thema von anno Piefke ist, ist ja genau ein Grund, warum wir den Aufruf geschrieben haben. Wir haben sehr gute Erfahrungen gehabt 1984, Sie erinnern sich noch an die Sonnenblume, 35-Stunden-Woche. Und wir denken, dass es jetzt mal wieder Zeit ist, an die Arbeitszeitverkürzung zu erinnern. Insoweit ist es in der Tat eine Wiederholung, und mein Kollege Peter Bofinger hat ja gesagt, er findet die Forderung jetzt falsch, aber er fand sie damals richtig, und da kann man ja dann auch darüber diskutieren, ob es sinnvoll ist.
Breker: Nur, Herr Hickel, Europa ist doch keine Insel. Die Globalisierung ist doch Realität, die ist doch da.
Hickel: Das stimmt. Aber wir haben ja in Deutschland, was die Globalisierung betrifft, einen energischen Vorteil: Wir haben unglaublich starke Unternehmen, vor allem mit einer hohen Produktivität, also Leistungsfähigkeit der Arbeitsstunde. Das hat etwas zu tun mit der Qualität der Produktionsanlagen und Investitionen. Und deshalb wird daraus genau ein Schuh. Wir sagen in dem Aufruf, dass die Produktivität enorm steigt und dass wir eigentlich ein Stück dieses Produktivitätsanstiegs zurückgeben können in Form von Arbeitszeitverkürzungen. Es gibt zwei Anlässe, die aktuell vielleicht die Situation etwas anders darstellen. Erstens geht es uns dabei auch ,die viel geführte Debatte über Arbeitshetze und psychologische Belastung am Arbeitsplatz zu entspannen, und das zweite ist ganz wichtig: Es gibt es eine lange Passage, die ich selber mit beeinflusst habe, nämlich darüber, dass wir sagen, wir wollen damit gleichzeitig auch einen Beitrag leisten zum Abbau des Niedriglohnsektors. Denn da ist die Konstellation eine andere, da wird zum Teil sehr kurz gearbeitet, wenig gearbeitet, weil nicht mehr angeboten wird. Auf der anderen Seite werden miserable Löhne bezahlt. Und dass man das Ganze wieder sozusagen ins Visier nimmt eines Normalarbeitsverhältnisses. Auch das ist eine Stoßrichtung der Erklärung.
Breker: Die Schwellenländer, die Tiger-Staaten, sie werden an Europa vorbeiziehen. Lohnstückkosten kann man nicht ignorieren, nicht als Wettbewerbsfaktor.
Hickel: Das ist richtig. Die Lohnstückkosten nehme ich natürlich auch ernst im internationalen Vergleich. Aber die Status-quo-Analyse gebietet ja zu sagen, dass wir zurzeit eher Probleme schaffen mit unseren vergleichsweise niedrigen Lohnstückkosten. Damit hat ja auch sehr viel die Eurokrise zu tun, weil die anderen Länder mit höheren international vergleichbaren Lohnstückkosten mehr belastet sind. Das ist das eine, aber das andere ist: Was ist denn die Basis der Lohnstückkosten, der günstigen Entwicklung? Das ist die Produktivität, das ist der Arbeitseinsatz von Menschen. Und deshalb bleibe ich dabei, die Idee wieder aufzugreifen, wirklich aufzugreifen, breit zu diskutieren, inwieweit man ein Stück auch wieder zurückgibt, vor allem an die Vollzeitbeschäftigten, in Form von Arbeitszeitverkürzung.
Breker: Nur – Europa wird international abfallen. Die Bedeutung Europas schwindet ja eh. Der Trend wird unumkehrbar und wird sich am Ende beschleunigen.
Hickel: Also so düster sehe ich die Entwicklung nicht, aber in der Tat ist es so, dass sich die Weltmarktanteile, die Gewichte sehr stark verschieben, insbesondere natürlich nach China, in die Schwellenländer, Sie haben es schon zitiert, Herr Breker, aber man muss natürlich dazu sagen, in den Schwellenländern zeigen sich natürlich auch Probleme. Die Vorstellung beispielsweise in China – und ich war gerade vor drei Wochen und hab mir das mal ein bisschen angeguckt –, die Vorstellung in China, dass man dauerhaft mit Lohndumping sozusagen, mit Unterschreiten von Lohnstandards im Grunde genommen Produktivitätsvorteile sichern kann, das geht nicht auf. Deshalb gibt es ja auch viele Bewegungen in den Betrieben. Das heißt also, auf Dauer sich darauf einzustellen, dass wir jetzt unsere Lohnentwicklung abhängig machen sollten insgesamt von der Frage, wie es sich in den Schwellenländern entwickelt, das halte ich für die falsche Strategie. Die richtige Strategie, und die wollen wir eigentlich fördern mit unserer Konzeption der Arbeitszeitverkürzung, die richtige Strategie in Deutschland muss sich auf das konzentrieren, wo wir wirklich sehr gut sind – das ist die Innovationsfähigkeit. Und dazu bedarf es auch vernünftiger Arbeitsbedingungen.
Breker: 30-Stunden-Woche, das klingt wie ein Traum aus der Vor-Agenda-Zeit, das klingt so, als könnte man die Zeit locker mal eben zurückdrehen und mit den Rezepten der Vergangenheit die Zukunft bewältigen.
Hickel: Also ich gebe ja zu, es sind zwei Probleme, die Sie angesprochen haben, die ich auch methodisch gerne auseinanderhalten wollte. Das eine ist die Frage der Agenda 2010, und wir sind ja dabei, nicht nur wir in der Arbeitsgruppe, sondern vor allem auch die Politik. Die SPD, die Grünen sind ja dabei, gerade die Agenda 2010 in zwei Punkten zentral zu ändern beziehungsweise auf Fehlentwicklungen zu reagieren. Die Tatsache, dass wir in Deutschland so heftig Mindestlöhne diskutieren, hat etwas mit den Fehlentwicklungen der Agenda 2010 zu tun. Und das Zweite ist, dass die IG Metall sich wirklich vorbildlich dafür einsetzt, auch wieder die Leiharbeit zu regulieren, ist ja eine Folge der Deregulierung von 2003. Also das muss, dieses Thema muss behandelt werden, da sind wir aber im breiten Konsens auch insgesamt mit den Gewerkschaften, völlig klar. Das Zweite ist, natürlich wirkt es wie vorgestern, manche schreiben ja, das sei ein Rückfall in Marxismus. Ich habe noch nie irgendwo gelesen, dass im Marxismus eine Arbeitszeitverkürzung gefordert wird. Ich lasse mich auf solche Polemik, lasse ich mich nicht gerne ein, aber entscheidend ist es doch, geht es darum: Kann man die Idee wiederbeleben? Und ich sage noch mal dazu, zwei Positionen: Erstens ist es natürlich nie auf einen Schlag, es ist eine schrittweise Konzeption. Da muss man sehen, innerhalb der schrittweise muss es Lernprozesse geben, und wenn die Katastrophe eintritt, die Sie prognostiziert haben, dann muss man darauf reagieren. Und das Zweite ist mit dem vollen Lohnausgleich. Wir haben ja eine Formel entwickelt in der Durchsetzung sozusagen der Arbeitszeitverkürzung der IG Metall von 1984. Die Formel lautet, wir nehmen einen Tariflohnzuwachs und einen Teil davon geht auch in die Finanzierung der Arbeitszeitverkürzung. Das steht im Papier drin. Insoweit gibt es eigentlich, und das ist dann ökonomisch auch wieder sinnvoll, kann es natürlich einen kompletten Lohnausgleich nicht geben, so nach dem Motto, die gesamte Arbeitszeitverkürzung wird finanziert von den Unternehmen, das muss untergebracht werden in einer vernünftigen Tarifformel, über die wir jetzt ja gerade in Metall- und Elektroindustrie streiten.
Breker: Der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel im Deutschlandfunk.
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