"Ja, ich glaube, die Föderalisten die einzigen sind, die eine klare Vorstellung von der Europäischen Einigung besitzen. Alle anderen fuchteln herum und fummeln herum und haben keine Idee, wie es weitergeht und wo es hingehen soll", sagt Jo Leinen in seinem Brüsseler Büro.
Der SPD-Europaparlamentarier ist Mitglied der proeuropäischen Spinelli-Gruppe. Sie argumentiert, dass in Zeiten der Globalisierung Nationalstaaten zu schwach seien, um die großen Probleme zu lösen. Das ist genau das Gegenteil der rechtspopulistischen Sichtweise, die da lautet: Die EU lasse sich von Staaten wie der Türkei vorführen, und: Erst seit kleine Länder entlang der Balkan-Route im Alleingang entschieden haben, Grenzen hochzuziehen, seien deutlich weniger Flüchtlinge gekommen.
Wozu dann noch die EU? In drei anstehenden Wahlen - in den Niederlanden, Frankreich, und Deutschland könnten EU-Gegner mit diesen Argumenten punkten: Jo Leinen hält das für gefährlich:
"Es kann schiefgehen und wenn natürlich ein Gründungsland der Europäischen Union auf die antieuropäische Ebene kommt, dann droht Ungemach und dann haben wir noch ein größeres Unglück, als wir es bereits mit dem Brexit hatten. Werden die proeuropäischen Kräfte in den Niederlanden und Frankreich gewinnen, dann hat man wieder Ruhe für eine gewisse Zeit und dann kann man die EU wieder konsolidieren."
Umfragen sehen Populisten vorn
Nach Beruhigung sieht es aber erst mal nicht aus: Die rechtspopulistische "Partei für die Freiheit" des Islamkritikers Geert Wilders kann laut Umfragen die Parlamentswahl in den Niederlanden gewinnen. Und in Frankreich gilt die rechtsextreme Marine Le Pen als Favoritin bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahl (*). Ob sich der proeuropäische unabhängige Kandidat Emmanuel Macron durchsetzen kann – das ist noch nicht absehbar.
"There is this Europe, that we would like to improve, but we are not even at the point of improving it. We are at the point of keeping it the way it is in preventing it from going backwords.”
Brüssel, Hauptversammlung bei den Jeunes Européens Féderalistes, JEF, den jungen föderalistischen Europäern. Ophélie Omnes, eine 26-jährige Juristin mit dunkelrotem Sweater und Armreifen kündigt vor etwa zwanzig Gleichaltrigen an, was dieses Jahr ansteht: Aktionen und Überzeugungsarbeit, damit die Europäische Union nicht weiter demontiert werde, eine tiefere Integration sei momentan nicht das Thema. Ein Defensivspiel, also.
Einsatz für offene Grenzen
Die Jugendorganisation plant eine Demo zur Feier des 60. Jahrestags der Römischen Verträge, dem Grundstein für die Gründung der Europäischen Gemeinschaft. Mit Aktionen wie "#Don’t touch my schengen" setzt sich JEF dafür ein, dass die Grenzen innerhalb der EU offen bleiben, kurzum: Sie versucht, die wesentlichen Errungenschaften der Union zu verteidigen. Ophélie Omnes bedauert, dass sie in Vergessenheit geraten sind:
"Man muss langfristig denken. Wir müssen zumindest hervorheben, dass das, was bisher aufgebaut wurde, gut für die Menschen ist. Viele wissen nicht, warum das Roaming in wenigen Monaten abgeschafft wird. Der Grund, warum sie sich einfach so ein Ticket in den Urlaub nach Spanien oder Griechenland morgen buchen können, ist, dass wir die Grenzen abgeschafft haben. Das sind konkrete Beispiele, die das Bewusstsein derjenigen Bürger stärken könnten, die nicht komplett gegen Europa sind, aber nicht wissen, wie sehr Europa ihren Alltag verbessert."
Eine starke Europäische Union strahlt nicht alleine durch ihre Politik. Die Institutionen brauchen auch ein Gesicht. Das Europaparlament ist mit Martin Schulz sichtbarer geworden. Antonio Tajani, der Nachfolger, will moderativer auftreten und die politische Arbeit den Fraktionen überlassen. Bei seiner Wahl in Straßburg ist der konservative Politiker womöglich auch von Europakritikern und Nationalisten gewählt worden. Ob Tajani auch die Proeuropäer überzeugen kann?
Unsicherheit über neuen EU-Parlamentspräsidenten
Die österreichische Grünen-Politikerin und Parlamentsvizepräsidentin Ulrike Lunacek unterstützt ebenso die Spinelli-Gruppe und vergibt an Tajani keine Vorschusslorbeeren:
"Er kann nicht gleichzeitig ein Präsident für Le Pen und für die Grünen sein, das geht sich nicht aus. Aber im Sinne von seine eigene Vergangenheit ablegen: Er war Sprecher von Berlusconi, er war Industriekommissar zu Zeiten, als der Abgasskandal schon gebrodelt hat, wenn er wirklich ein geschätzter Präsident werden will, dann muss er mit dieser Vergangenheit brechen. Er will sehr wohl zeigen, dass er was kann, aber ob er es wagt, mit denen, die ihn gewählt haben auch manchmal zu brechen, das kann ich noch nicht sagen. Ich hoffe, er wird es tun."
(*) Anmerkung der Redaktion: In der Audio-Version zu diesem Artikel heißt es, Marine Le Pen sei Favoritin bei der Präsidentschaftswahl. Das gilt jedoch bisher nur für die erste Runde der Wahl. Dieser Fehler ist in der Online-Version korrigiert.