Am späten Samstagnachmittag trendete der Hashtag #BlutimUrin bei Twitter. Kurz zuvor hatte Oliver Glasner, Trainer von Eintracht Frankfurt, seinem Frust freien Lauf gelassen – nachdem ein Journalist nach der Niederlage gegen Hoffenheim gefragt hatte, ob seine Spieler den Ernst der Lage nicht verstanden hätten:
„Hört auf der Mannschaft irgendwas mit nicht kapieren und keinen Einsatz vorzuwerfen. Jetzt erzähl ich euch mal was. Der alte Makoto Hasebe, der ist 39, der spielt das dritte Mal 90 Minuten in dieser Woche am Ende der Saison, wo wir unser 43. Pflichtspiel haben. Der hat teilweise Blut im Urin, weil er so kaputt ist. Und was macht er? Er spielt wieder! Und jetzt mangelnden Einsatz. Hört mir mit diesem Müll auf, sorry.“
Die Aufregung in den sozialen Medien war groß – vor allem wegen Glasners forschem Auftreten. Aber viele fragten sich auch: Wenn jemand schon mehrmals Blut im Urin hatte, weil er so kaputt ist, sollte er dann zum achten Mal in Folge in der Startelf spielen?
Sportmediziner: Blut im Urin nicht automatisch schlimm
„Der erste Punkt ist, dass Blut im Urin nicht automatisch etwas Dramatisches sein muss“, sagt der Internist und Sportmediziner Burkhard Weisser von der Uni Kiel. Eine sogenannte Hämaturie, also Blut im Urin, trete in Kontaktsporten wie Fußball häufig als Folge von Stößen oder Verletzungen im Bereich der Niere oder Blase auf. In den meisten Fällen sei das aber harmlos und verschwinde wieder von alleine. Die Belastung sollte aber reduziert werden.
„Der zweite Punkt ist, dass wenn es etwas Dramatisches wäre, dürfte man den gar nicht spielen lassen, das wäre grob fahrlässig. So nach dem Motto: der strengt sich so sehr an, dass er sich sogar gesundheitlich schädigt.“
Denn Blut im Urin könne genauso etwas Ernstes sein: eine Blasenentzündung oder Nierensteine zum Beispiel. Im schlimmsten Fall sogar ein Nierenschaden inklusive Tumor. Weisser sagt: der Befund muss immer zügig von einem Arzt abgeklärt werden.
Urin-Verfärbung laut Eintracht durch Rote-Beete-Saft
Eintracht Frankfurt stellt die Angelegenheit auf Deutschlandfunk-Anfrage allerdings anders dar. Hasebe sei uneingeschränkt spielfähig. Nach dem Auswärtsspiel Ende April in Augsburg habe es einmalig rote Verfärbungen in seinem Urin gegeben – und das sei auf den regelmäßigen Konsum Hasebes von Roter Beete zurückzuführen. Durch den Pflanzenfarbstoff Betanin kann sich Urin nach dem Konsum von Rote-Beete tatsächlich verfärben. Unproblematisch. Weitere Untersuchungen hätten das laut Verein bestätigt.
Warum aber hat Glasner dann etwas anderes behauptet? Laut ihm war es ja das Ergebnis der zuletzt so hohen Belastung Hasebes – und kein Einzelfall. Wusste er nichts von der Rote-Beete-Leidenschaft seines Spielers und den Untersuchungen? Dazu äußerte sich der Verein nicht, es bleiben Fragezeichen.
Weisser sieht Fürsorgepflicht der Vereine
Doch der Vorfall setzt auch ein anderes Thema auf die Agenda: Denn Eintracht Frankfurt schreibt auf Anfrage außerdem: Glasner habe mit diesem Beispiel die Einsatzbereitschaft der Spieler hervorheben wollen. Für Sportmediziner Weisser ein fatales Signal: „Ich würde das nicht als Zeichen von Einsatzfreude oder Charakterstärke sehen. Ich würde da eine Fürsorgepflicht des Vereins sehen. Wenn das wirklich ein gravierendes Symptom wäre, dürfte er nicht spielen. Dann sollte man das Gesundheitliche in den Vordergrund stellen.“
Die Gesundheit der Spieler stehe über allem, sagt Eintracht Frankfurt. Hätte es Zweifel am Gesundheitszustand gegeben, hätte Hasebe nicht weiterhin gespielt.
Unabhängig vom Fall Hasebe: Dass Fußballprofis glorifiziert werden, wenn sie unter Schmerzen oder mit Verletzungen spielen, hat auch in der Vergangenheit schon oft zu fragwürdigen Konstellationen geführt. Ein recht aktuelles Beispiel: Marvin Plattenhardt, Verteidiger von Hertha BSC.
Herthas Plattenhardt spielte mit Muskelfaserriss
Auf die Frage, wie er sich nach seinem entscheidenden Freistoßtor in der Relegation vergangenes Jahr gegen den Hamburger SV gefühlt habe, antwortete er beim klubeigenen Hertha-TV wenig später Folgendes: „Ist schwierig in Worte zu fassen. Ich glaube ich konnte da schon gar nicht mehr richtig sprinten und jubeln. Ich hatte davor schon einige Wochen mit einem Muskelfaserriss gespielt. Und in dem Spiel hatte ich es wieder ordentlich gemerkt und dann kann man da auch nicht mehr so die Sprints hinlegen, was man eigentlich sich wünscht.“
Laut Sportmediziner Weisser habe Plattenhardt damit eine noch schwerwiegendere Muskelschädigung riskiert. Und auch wenn die Spieler selbst Verantwortung für ihre Gesundheit tragen: Sind sie vielleicht auch Opfer des Leistungsdrucks? Eine Untersuchung der Nationalen Anti-Doping Agentur Nada hatte 2021 gezeigt, dass im deutschen Profifußball jeder dritte Athlet im Männer- und Frauenfußball vor Spielen Schmerzmittel zu sich nimmt. „Das kann ich als Mediziner nur ablehnen. Da sollte auch eine Kultur herrschen, dass nicht eine Gesundheitsschädigung in Kauf genommen wird, um noch ein Spiel zu gewinnen.“
Immerhin: zumindest im Umgang mit Kopfverletzungen findet langsam ein Umdenken statt. Ende März haben alle Erst- und Zweitligisten ein Protokoll zum einheitlichen Umgang mit Kopfverletzungen unterschrieben. Für einen richtigen Kulturwechsel reicht das vielen Kritikern aber noch nicht.