Christoph Heinemann: Die Kinder und Enkel der beiden Quandts beauftragten den Historiker Professor Joachim Scholtyseck von der Universität Bonn damit, die Familiengeschichte der Quandts während der NS-Zeit zu erforschen. Die Arbeit liegt inzwischen vor unter dem Titel "Der Aufstieg der Quandts", gerade erschienen im C. H. Beck-Verlag, und der Autor ist heute früh bei uns im Studio. Guten Morgen.
Joachim Scholtyseck: Guten Morgen, Herr Heinemann.
Heinemann: Herr Professor Scholtyseck, wie kamen die Quandts auf Sie?
Scholtyseck: Die Familie ist auf mich zugekommen, ich hatte eine Geschichte des schwäbischen Unternehmers Robert Bosch geschrieben und das war mehr oder weniger der Ausgangspunkt. Das ist eben auch eine Unternehmerpersönlichkeit gewesen, die eine gewisse Rolle in der Zeit des Aufstiegs des Nationalsozialismus gespielt hat. Und so sind die Quandts auf mich aufmerksam geworden.
Heinemann: Konnten Sie alle Dokumente sichten, die Sie sehen wollten?
Scholtyseck: Ja. Das war natürlich für mich ganz wichtig. Ich habe mir das auch zusichern lassen, dass ich also den Zugang zum Archiv bekomme, zum sogenannten Privatarchiv, und diese Dokumente dann eben auch zu verwerten. Das heißt, für mich war es auch wichtig, dass ich zugesichert bekam, dann alles das zu schreiben, was ich schreiben möchte, also ohne Eingriffsrechte der Familie, und das hat die Familie zugesichert und sie hat sich auch daran gehalten.
Heinemann: Wie packt man ein solches Werk, über 1.000 Seiten, praktisch eigentlich an, ein solches Projekt?
Scholtyseck: Also das Hauptproblem war tatsächlich diese gewisse Zeitnot. Drei Jahre Forschungsarbeit, das ist sehr schwierig, gerade für so eine Familie, über die es so gut wie keine Bücher gibt. Also wenn Sie an die Flicks denken etwa, da gibt es eine Masse an Forschungsliteratur. Und in drei Jahren muss man zunächst die Literatur sichten, man muss dann in die Archive gehen – es sind ja über 40 Archive, die ich besucht habe -, dann muss das ausgewertet werden und daraus muss dann eben auch noch ein Manuskript und anschließend ein hoffentlich gutes Buch werden. Das ist so die Hauptherausforderung gewesen.
Heinemann: Günther Quandt kontrollierte zwei kriegswichtige Konzerne: den Batteriehersteller AFA, später Varta, der Batterien für das Heer und Stromspeicher für U-Boote herstellt, und die Deutsche Waffen- und Munitionsfabrik, deren Name Programm war. Und Sie kommen, Herr Professor Scholtyseck, zu dem Schluss, dieser Mann, Günther Quandt, war tief in das Regime verstrickt. Wie tief?
Scholtyseck: Er war kein Ideologe im nationalsozialistischen Sinn, aber das war auch gar nicht nötig. Er hat diesen ganzen Aufstieg des Nationalsozialismus unter arbeitsökonomischen Aspekten betrachtet. Und er brauchte kein ausgeprägter Nazi zu sein, um trotzdem im Dritten Reich zu profitieren. Man könnte sagen, er war ein Mann "a man for all seasons". So hat das mein Kollege Lothar Gall mal ausgedrückt.
Heinemann: Ein Mann für alle Jahreszeiten?
Scholtyseck: Ja, ganz genau: ein Mann für alle Jahreszeiten, der in jedem Regime mehr oder weniger erfolgreich ist, ob das jetzt das autoritäre Kaiserreich ist, ob es die Weimarer Republik ist, das Dritte Reich und dann eben erstaunlicherweise auch wieder in der Bundesrepublik. Das ist schon sehr bemerkenswert.
Heinemann: Und Sie schreiben: "unmittelbare Verantwortung für begangenes Unrecht", und das bezieht sich auf die zirka 50.000 Zwangsarbeiter.
Scholtyseck: Ja, auf die etwa 50.000 Zwangsarbeiter. Die Zahl ist in der Form auch noch nicht so bekannt gewesen. Man wusste natürlich, dass es Zwangsarbeiter gab. Es gibt ja auch ein sehr gutes Buch von Rüdiger Jungbluth bereits darüber. Aber diese Dimension, die war bislang noch unbekannt, gerade wenn man denkt an eine große Fabrik dieser Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken in Posen, wo etwa 20.000 polnische Arbeiter unter zwangsarbeiterähnlichen Bedingungen gelebt haben. Dazu zählt aber auch der Bereich der Arisierungen, über die bislang auch so gut wie nichts bekannt gewesen ist.
Heinemann: Genau. Und Sie sagten eben, er sei kein glühender Ideologe gewesen, kein Nazi. Aber Arisierung, das klingt doch nach Antisemitismus auch schon?
Scholtyseck: Ja! Aber er war in dieser strengen Form kein Antisemit, das machte ihm nichts aus. Aber er hat eben kein Problem gehabt, sich dann trotzdem relativ schnell und gefühllos dieser Firmen zu bemächtigen, die zur Verfügung standen. Ein Beispiel ist diese Maschinenbaufirma Henri Pelz in Erfurt, die ist relativ früh von den Nationalsozialisten arisiert worden, und Günther Quandt bekommt das Angebot, diese Firma zu übernehmen, und er zögert nicht, also schon nach wenigen Monaten mit seinen Managern dort hinzugehen und diese Firma zu übernehmen. Und das bezieht sich auch auf die Arisierungen im besetzten Frankreich. Die Familie oder, sagen wir, Günther Quandt selbst und seine Manager haben dann tatsächlich sich ganz bewusst jüdische kleine Batteriefirmen ausgesucht, um diese zu übernehmen, weil man glaubte, da ist der Zugriff am einfachsten.
Heinemann: Sie sagten gerade, das machte ihm nichts aus. Haben Sie irgendwelche Dokumente gefunden, die moralische Skrupel erkennen lassen?
Scholtyseck: Diese Persönlichkeit Günther Quandt zu verstehen, das ist mir letztlich nach vier Jahren auch noch gar nicht möglich. Er ist ein Enigma, ein Rätsel, dieser Mann, in vielerlei Hinsicht. Es gibt so einen Fall, wo ein jüdisches Vorstandsmitglied aus der Firma herausgehen muss, weil der Druck der Partei zu groß ist, den besucht er dann, bevor dieser in die USA gehen kann, also ein Abschiedsbesuch. Da blitzt so etwas wie moralischer Anstand noch auf. Aber wenn man sich die anderen zwölf Jahre des NS-Regimes anschaut, dann ist das tatsächlich eine Ausnahme. Also moralische Skrupel spielen keine große Rolle.
Heinemann: Was trieb ihn also an?
Scholtyseck: Ich glaube, letztlich war Günther Quandt ein eindimensionaler Mensch, der sich wirklich auch hauptsächlich für das Geld interessiert hat. Um so ein Beispiel zu geben, das mich immer doch auch beeindruckt hat: Er war ja dann mit Magda verheiratet, eine junge Frau, die später Goebbels geheiratet hat, und in den 20er-Jahren, anstatt sich um seine junge Frau zu kümmern, kommt er Abends nach Hause zurück und setzt sich in den Lehnstuhl und studiert den Berliner Börsenkurier. Das ist so etwas, was ganz eindrucksvoll zeigt, wo seine Interessen liegen.
Heinemann: Ungewöhnlich. – Abgesehen von den vielen Einzelheiten, die Sie zu Tage gefördert haben, hat sich Ihre Sicht auf die deutsche Industrie in der NS-Zeit während der Arbeit an dieser Quandtschen Familiengeschichte jetzt verändert?
Scholtyseck: An und für sich nicht. Als ich die Studie begonnen habe, war mir im Grunde genommen schon klar, was ich dort entdecken würde. Die Dimensionen der Zwangsarbeit, die sind durchaus bemerkenswert. Über 50.000, das ist schon relativ viel von der Dimension her. Aber auf der anderen Seite passt das in dieses Bild der Teilhaberschaft, die die bisherige Forschung auch schon recht gut erarbeitet hat.
Heinemann: Würden Sie auch so weit gehen wie Herbert Schui? Beruht Ihrer Einschätzung nach der Reichtum der heutigen BMW-Großaktionäre auch auf den Leistungen von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen?
Scholtyseck: Ja, auch – das kann man durchaus unterstreichen. Aber nicht nur. Die Quandts, muss man sagen, waren schon vorher reich. Deswegen habe ich diese Studie auch genannt "Der Aufstieg der Quandts". Die kommen ja aus der brandenburgischen Provinz, Textilhersteller, im wahrsten Sinne des Wortes betucht, und der Vermögensaufbau beginnt ja schon in den 20er-Jahren mit diesem Kauf der Batteriefirma AFA, das war der größte Hersteller Europas, und dann eben auch der Kauf der Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken Ende der 20er-Jahre. Aber es ist natürlich ganz klar auch anhand der Daten nachweisbar, dass diese Akkumulation von Gewinn im Zweiten Weltkrieg dann eben auch fortgesetzt wird.
Heinemann: Herr Professor Scholtyseck, die Quandt-Erben haben Ihre Forschungsarbeit bezahlt. Sie sind ein namhafter Historiker, das ist klar. Aber bei gesponserter Forschung stellt sich natürlich immer gleich die Frage nach der Unabhängigkeit. Gab es da Momente während Ihrer Arbeit, in denen Sie gezögert haben, Dokumente zu verwenden, die Ihre Geldgeber vielleicht hätten doch sehr belasten können?
Scholtyseck: Zu keinem Moment. Man hat ja auch einen Ruf, Sie haben das angedeutet, zu verlieren und das gehört sich nicht nur nicht, sondern das ist an und für sich selbstverständlich, dass man eben alles auf den Tisch legt. Ich hatte aber auch das so abgesichert, dass das ein Drittmittel-Projekt ist, also ich der Familie gar nicht verantwortlich war, sondern meiner Universität Bonn, so dass diese Gefahr von Beginn an gar nicht bestand.
Heinemann: Aber die Quandt-Erben haben Ihr Buch vorab gelesen. Wie haben sie reagiert?
Scholtyseck: Ja. Ich habe dieses Manuskript fristgerecht – da bin ich auch etwas stolz drauf – im März diesen Jahres der Familie vorgelegt. Sie waren natürlich schon auch bestürzt, weil sie das in dieser Form nicht erwartet haben. Und so schwer das für so eine Familie auch sein mag, glaube ich, im letzten wird es auch für die Familie ein heilsamer Prozess sein. Man blickt da natürlich nicht dahinter, aber ich denke, dass das auch für die Familie Diskussionsstoff und Anregung gibt, um über diese Vergangenheit ihrer eigenen Familie intensiv nachzudenken.
Heinemann: Wobei das vermutlich für viele, viele Familien gilt in Deutschland.
Scholtyseck: Ja, natürlich, gerade für Familienunternehmen.
Heinemann: Ja nicht nur Unternehmen! Auch ganz normale Familien.
Scholtyseck: Ganz normale. Das könnten Sie ja jetzt auch bei Ihrer eigenen Familie sich anschauen, oder wenn ich denke an meinen Vater und meinen Großvater. Da sind natürlich viele Tabus, die ohnehin eben bestehen. Das ist in den 50er-, 60er-Jahren häufig verschwiegen worden, in den 80er- und 90er-Jahren brach das dann auf und man sieht ja eben auch jetzt an der Diskussion, das ist noch lange nicht beendet.
Heinemann: Der Historiker Professor Joachim Scholtyseck von der Universität Bonn, Autor des Buchs "Der Aufstieg der Quandts", gerade erschienen im C.H. Beck Verlag. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
Scholtyseck: Gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Joachim Scholtyseck: Guten Morgen, Herr Heinemann.
Heinemann: Herr Professor Scholtyseck, wie kamen die Quandts auf Sie?
Scholtyseck: Die Familie ist auf mich zugekommen, ich hatte eine Geschichte des schwäbischen Unternehmers Robert Bosch geschrieben und das war mehr oder weniger der Ausgangspunkt. Das ist eben auch eine Unternehmerpersönlichkeit gewesen, die eine gewisse Rolle in der Zeit des Aufstiegs des Nationalsozialismus gespielt hat. Und so sind die Quandts auf mich aufmerksam geworden.
Heinemann: Konnten Sie alle Dokumente sichten, die Sie sehen wollten?
Scholtyseck: Ja. Das war natürlich für mich ganz wichtig. Ich habe mir das auch zusichern lassen, dass ich also den Zugang zum Archiv bekomme, zum sogenannten Privatarchiv, und diese Dokumente dann eben auch zu verwerten. Das heißt, für mich war es auch wichtig, dass ich zugesichert bekam, dann alles das zu schreiben, was ich schreiben möchte, also ohne Eingriffsrechte der Familie, und das hat die Familie zugesichert und sie hat sich auch daran gehalten.
Heinemann: Wie packt man ein solches Werk, über 1.000 Seiten, praktisch eigentlich an, ein solches Projekt?
Scholtyseck: Also das Hauptproblem war tatsächlich diese gewisse Zeitnot. Drei Jahre Forschungsarbeit, das ist sehr schwierig, gerade für so eine Familie, über die es so gut wie keine Bücher gibt. Also wenn Sie an die Flicks denken etwa, da gibt es eine Masse an Forschungsliteratur. Und in drei Jahren muss man zunächst die Literatur sichten, man muss dann in die Archive gehen – es sind ja über 40 Archive, die ich besucht habe -, dann muss das ausgewertet werden und daraus muss dann eben auch noch ein Manuskript und anschließend ein hoffentlich gutes Buch werden. Das ist so die Hauptherausforderung gewesen.
Heinemann: Günther Quandt kontrollierte zwei kriegswichtige Konzerne: den Batteriehersteller AFA, später Varta, der Batterien für das Heer und Stromspeicher für U-Boote herstellt, und die Deutsche Waffen- und Munitionsfabrik, deren Name Programm war. Und Sie kommen, Herr Professor Scholtyseck, zu dem Schluss, dieser Mann, Günther Quandt, war tief in das Regime verstrickt. Wie tief?
Scholtyseck: Er war kein Ideologe im nationalsozialistischen Sinn, aber das war auch gar nicht nötig. Er hat diesen ganzen Aufstieg des Nationalsozialismus unter arbeitsökonomischen Aspekten betrachtet. Und er brauchte kein ausgeprägter Nazi zu sein, um trotzdem im Dritten Reich zu profitieren. Man könnte sagen, er war ein Mann "a man for all seasons". So hat das mein Kollege Lothar Gall mal ausgedrückt.
Heinemann: Ein Mann für alle Jahreszeiten?
Scholtyseck: Ja, ganz genau: ein Mann für alle Jahreszeiten, der in jedem Regime mehr oder weniger erfolgreich ist, ob das jetzt das autoritäre Kaiserreich ist, ob es die Weimarer Republik ist, das Dritte Reich und dann eben erstaunlicherweise auch wieder in der Bundesrepublik. Das ist schon sehr bemerkenswert.
Heinemann: Und Sie schreiben: "unmittelbare Verantwortung für begangenes Unrecht", und das bezieht sich auf die zirka 50.000 Zwangsarbeiter.
Scholtyseck: Ja, auf die etwa 50.000 Zwangsarbeiter. Die Zahl ist in der Form auch noch nicht so bekannt gewesen. Man wusste natürlich, dass es Zwangsarbeiter gab. Es gibt ja auch ein sehr gutes Buch von Rüdiger Jungbluth bereits darüber. Aber diese Dimension, die war bislang noch unbekannt, gerade wenn man denkt an eine große Fabrik dieser Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken in Posen, wo etwa 20.000 polnische Arbeiter unter zwangsarbeiterähnlichen Bedingungen gelebt haben. Dazu zählt aber auch der Bereich der Arisierungen, über die bislang auch so gut wie nichts bekannt gewesen ist.
Heinemann: Genau. Und Sie sagten eben, er sei kein glühender Ideologe gewesen, kein Nazi. Aber Arisierung, das klingt doch nach Antisemitismus auch schon?
Scholtyseck: Ja! Aber er war in dieser strengen Form kein Antisemit, das machte ihm nichts aus. Aber er hat eben kein Problem gehabt, sich dann trotzdem relativ schnell und gefühllos dieser Firmen zu bemächtigen, die zur Verfügung standen. Ein Beispiel ist diese Maschinenbaufirma Henri Pelz in Erfurt, die ist relativ früh von den Nationalsozialisten arisiert worden, und Günther Quandt bekommt das Angebot, diese Firma zu übernehmen, und er zögert nicht, also schon nach wenigen Monaten mit seinen Managern dort hinzugehen und diese Firma zu übernehmen. Und das bezieht sich auch auf die Arisierungen im besetzten Frankreich. Die Familie oder, sagen wir, Günther Quandt selbst und seine Manager haben dann tatsächlich sich ganz bewusst jüdische kleine Batteriefirmen ausgesucht, um diese zu übernehmen, weil man glaubte, da ist der Zugriff am einfachsten.
Heinemann: Sie sagten gerade, das machte ihm nichts aus. Haben Sie irgendwelche Dokumente gefunden, die moralische Skrupel erkennen lassen?
Scholtyseck: Diese Persönlichkeit Günther Quandt zu verstehen, das ist mir letztlich nach vier Jahren auch noch gar nicht möglich. Er ist ein Enigma, ein Rätsel, dieser Mann, in vielerlei Hinsicht. Es gibt so einen Fall, wo ein jüdisches Vorstandsmitglied aus der Firma herausgehen muss, weil der Druck der Partei zu groß ist, den besucht er dann, bevor dieser in die USA gehen kann, also ein Abschiedsbesuch. Da blitzt so etwas wie moralischer Anstand noch auf. Aber wenn man sich die anderen zwölf Jahre des NS-Regimes anschaut, dann ist das tatsächlich eine Ausnahme. Also moralische Skrupel spielen keine große Rolle.
Heinemann: Was trieb ihn also an?
Scholtyseck: Ich glaube, letztlich war Günther Quandt ein eindimensionaler Mensch, der sich wirklich auch hauptsächlich für das Geld interessiert hat. Um so ein Beispiel zu geben, das mich immer doch auch beeindruckt hat: Er war ja dann mit Magda verheiratet, eine junge Frau, die später Goebbels geheiratet hat, und in den 20er-Jahren, anstatt sich um seine junge Frau zu kümmern, kommt er Abends nach Hause zurück und setzt sich in den Lehnstuhl und studiert den Berliner Börsenkurier. Das ist so etwas, was ganz eindrucksvoll zeigt, wo seine Interessen liegen.
Heinemann: Ungewöhnlich. – Abgesehen von den vielen Einzelheiten, die Sie zu Tage gefördert haben, hat sich Ihre Sicht auf die deutsche Industrie in der NS-Zeit während der Arbeit an dieser Quandtschen Familiengeschichte jetzt verändert?
Scholtyseck: An und für sich nicht. Als ich die Studie begonnen habe, war mir im Grunde genommen schon klar, was ich dort entdecken würde. Die Dimensionen der Zwangsarbeit, die sind durchaus bemerkenswert. Über 50.000, das ist schon relativ viel von der Dimension her. Aber auf der anderen Seite passt das in dieses Bild der Teilhaberschaft, die die bisherige Forschung auch schon recht gut erarbeitet hat.
Heinemann: Würden Sie auch so weit gehen wie Herbert Schui? Beruht Ihrer Einschätzung nach der Reichtum der heutigen BMW-Großaktionäre auch auf den Leistungen von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen?
Scholtyseck: Ja, auch – das kann man durchaus unterstreichen. Aber nicht nur. Die Quandts, muss man sagen, waren schon vorher reich. Deswegen habe ich diese Studie auch genannt "Der Aufstieg der Quandts". Die kommen ja aus der brandenburgischen Provinz, Textilhersteller, im wahrsten Sinne des Wortes betucht, und der Vermögensaufbau beginnt ja schon in den 20er-Jahren mit diesem Kauf der Batteriefirma AFA, das war der größte Hersteller Europas, und dann eben auch der Kauf der Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken Ende der 20er-Jahre. Aber es ist natürlich ganz klar auch anhand der Daten nachweisbar, dass diese Akkumulation von Gewinn im Zweiten Weltkrieg dann eben auch fortgesetzt wird.
Heinemann: Herr Professor Scholtyseck, die Quandt-Erben haben Ihre Forschungsarbeit bezahlt. Sie sind ein namhafter Historiker, das ist klar. Aber bei gesponserter Forschung stellt sich natürlich immer gleich die Frage nach der Unabhängigkeit. Gab es da Momente während Ihrer Arbeit, in denen Sie gezögert haben, Dokumente zu verwenden, die Ihre Geldgeber vielleicht hätten doch sehr belasten können?
Scholtyseck: Zu keinem Moment. Man hat ja auch einen Ruf, Sie haben das angedeutet, zu verlieren und das gehört sich nicht nur nicht, sondern das ist an und für sich selbstverständlich, dass man eben alles auf den Tisch legt. Ich hatte aber auch das so abgesichert, dass das ein Drittmittel-Projekt ist, also ich der Familie gar nicht verantwortlich war, sondern meiner Universität Bonn, so dass diese Gefahr von Beginn an gar nicht bestand.
Heinemann: Aber die Quandt-Erben haben Ihr Buch vorab gelesen. Wie haben sie reagiert?
Scholtyseck: Ja. Ich habe dieses Manuskript fristgerecht – da bin ich auch etwas stolz drauf – im März diesen Jahres der Familie vorgelegt. Sie waren natürlich schon auch bestürzt, weil sie das in dieser Form nicht erwartet haben. Und so schwer das für so eine Familie auch sein mag, glaube ich, im letzten wird es auch für die Familie ein heilsamer Prozess sein. Man blickt da natürlich nicht dahinter, aber ich denke, dass das auch für die Familie Diskussionsstoff und Anregung gibt, um über diese Vergangenheit ihrer eigenen Familie intensiv nachzudenken.
Heinemann: Wobei das vermutlich für viele, viele Familien gilt in Deutschland.
Scholtyseck: Ja, natürlich, gerade für Familienunternehmen.
Heinemann: Ja nicht nur Unternehmen! Auch ganz normale Familien.
Scholtyseck: Ganz normale. Das könnten Sie ja jetzt auch bei Ihrer eigenen Familie sich anschauen, oder wenn ich denke an meinen Vater und meinen Großvater. Da sind natürlich viele Tabus, die ohnehin eben bestehen. Das ist in den 50er-, 60er-Jahren häufig verschwiegen worden, in den 80er- und 90er-Jahren brach das dann auf und man sieht ja eben auch jetzt an der Diskussion, das ist noch lange nicht beendet.
Heinemann: Der Historiker Professor Joachim Scholtyseck von der Universität Bonn, Autor des Buchs "Der Aufstieg der Quandts", gerade erschienen im C.H. Beck Verlag. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
Scholtyseck: Gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.