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Prog-Metal Band Caligula's Horse
Dekadenter Galopp im 7/8-Takt

Knackig produzierte verzerrte Gitarren, synkopische Rhythmen: Die australische Band Caligula's Horse bringt so unterschiedliche musikalische Einflüsse wie Opeth, King Crimson, Jeff Buckley und Steely Dan elegant unter einen Hut. Ob das an der Magie des Mu-Akkords liegt?

Von Kai Löffler |
    Fünf schwarzgekleidete Männer stehen vor einer dunklen Wand und blicken in die Kamera.
    2010 in Australien gegründet: Caligula's Horse (Andrew Basso)
    Musik: "Water's Edge"
    Musik: "Slow Violence"
    Die Australier Caligula's Horse haben sich in den letzten Jahren als wichtiger Teil der Progressive Metal-Szene etabliert, mit einem spektakulären Auftritt beim Euroblast-Festival, als Opener für Bands wie Opeth, Mastodon und Dillinger Ecape Plan und nicht zuletzt mit fünf zunehmend ausgereiften Alben. Alles in nur einem Jahrzehnt - 2010 begegneten sich Sänger Jim Grey, der nebenbei Geschichte und antike Sprachen studierte, und Gitarrist und Musikstudent Sam Vallen zum ersten Mal. Damals spielten beide noch in unterschiedlichen Bands.
    Sam Vallen: "Als Jim und ich damals zum ersten Mal zusammengearbeitet haben, Ende 2010, sollte das Ergebnis ursprünglich mein Soloalbum werden. Und der Titel sollte "Caligula's Horse" sein. Also "Sam Vallen: Caligula's Horse". Aber Jim und ich hatten von Anfang an so viel Spaß, dass uns nach ein oder zwei Sessions klar wurde: Wir sollten lieber an etwas wichtigerem arbeiten, an einem größeren Band-Projekt."
    Jim Grey: "Sollen wir? Klar!"
    Sam Vallen: "Und dabei ist uns dann eingefallen, dass wir ja noch einen Namen brauchen. Und so haben wir einfach den Titel des Albums übernommen - warum auch immer. Es gibt diese historische Geschichte, die wahrscheinlich erfunden ist. Caligula war vermutlich weniger verrückt, als er oft dargestellt wird. Aber der Name steht auch für Betrüger, für Hochstapler..."
    Jim Grey: "Und genauso fühlen wir uns oft."
    Sam Vallen: "Es kommt immer wieder die Frage, warum die Band nicht "Incitatus" heißt, wie das Pferd. Also, erstens weil wir die Geschichte lieber mögen als das Pferd selbst. Aber vor allem sind wir einfach nicht Metal genug, um einen Namen wie "Incitatus" zu haben."
    Jim Grey: "Das klingt hardcore! Der Name ist so oft ein Thema, dass ich mich schon gefragt habe, ob wir ihn bereuen sollten. Und ich hab mich klar dagegen entschieden!"
    Musik: "The City has no Empathy"
    Das kreative Herz von Caligula's Horse - und die einzigen verbliebenen Gründungsmitglieder - sind Gitarrist Sam Vallen und Sänger Jim Grey: Vallen schreibt Musik, Grey die Texte dazu. Diese Zusammenarbeit klappte von Anfang an so gut, dass schon im April 2011, ein halbes Jahr nach der Gründung der Band, das erste Album fertiggestellt war. Auf "Moments from Ephemeral City" hat Vallen nicht nur Musik geschrieben und Gitarre gespielt; er war außerdem alleiniger Produzent und Toningenieur, verantwortlich für Mix und Mastering.
    Sam Vallen: "Als wir die Entscheidung getroffen haben, dieses Album auf die Welt loszulassen, hatten wir keine PR. Wir hatten keinen Plan. Wir haben nicht mal versucht, es an ein Label zu verkaufen. Wir haben es einfach nur bei Bandcamp hochgeladen, um zu gucken, ob sich jemand dafür interessiert. Und zu unserer Überraschung haben sich tatsächlich Leute dafür interessiert. Wenig später waren wir auf Tournee durch Australien. Das war kein großer Durchbruch oder sowas, es war alles noch ziemlich klein und Underground, aber für uns war es eine neue Erfahrung, die uns motiviert hat, mit der Band weiterzumachen."
    Sam Vallen: "Und das alles auf der Grundlage eines Albums, das ohne Ziel und ohne richtige Ambitionen entstanden ist. Jim und ich haben an den Songs rumgefeilt, bis wir irgendwann an die Grenzen unserer damaligen technischen und kreativen Fähigkeiten gestoßen sind. Ich glaube, wir hatten dann sehr schnell einen Erscheinungstermin. Ich habe das Album noch schnell gemastert und das wars. Aber Jim weiß das vielleicht besser."
    Jim Grey: "Das war etwas, das wir als Songwriter ziemlich schnell gelernt haben: Eine Entscheidung zu treffen, und dann alle anderen Optionen konsequent fallen zu lassen. Wenn es drei mögliche musikalische Richungen gibt, wählen wir die, die uns am besten erscheint, und die anderen sind raus. Und so wissen wir auch, dass es am Ende wirklich fertig ist - wir haben alle Entscheidungen getroffen und haben daran festgehalten."
    Sam Vallen: "Wenn wir an einem neuen Song arbeiten, dann gehen wir vom Fundament aus, von der Grundidee. Wir besprechen, was man daraus machen kann, wo es hinpasst, was genau der Kontext ist. Danach müssen wir uns dann nur noch fragen: Ist es der richtige Text, stimmt die Melodie, passt das Arrangement? Das kann man alles recht schnell abhaken, solange der Song von Anfang an eine eindeutige Richtung hat."
    Schon das erste Album, inzwischen neun Jahre alt, klingt schon unverwechselbar nach Caligula's Horse, wenn auch in einer Art Rohfassung: Dem Sound fehlt es noch an Druck, die Gitarrensoli sind ein wenig ziellos, und auch Gesang und Songwriting stehen noch auf etwas wackligeren Füßen - das alles aber nur im Vergleich zu späteren Alben; für sich gesehen ist "Ephemeral City" ein bemerkenswertes Debüt. Zwei Jahre später machte hat die Band mit ihrem zweiten Album "The Tide, the Thief & River's End" einen gewaltigen kreativen Sprung.
    Musik: "Dark Hair Down"
    Das zweite Album der Australier Caligula's Horse ist ein poliertes, poetisches Progressive Metal-Album, dessen Songs wie "Dark Hair Down" bis heute in den Setlisten auftauchen. Den erhofften Durchbruch brachte aber auch "The Tide, The Thief & River's End" nicht. Dann, weitere zwei Jahre weitere später erschien das dritte Album "Bloom", auf einem neuen Label. Damit änderte s ich für die Band einiges, sagt Sänger Jim Grey.
    Kein lokaler Underground-Act
    Jim Grey: "Frag mal mein Konto, wenn Du eine genaue Antwort haben willst. Die letzten paar Jahre, seit wir auf dem neuen Label sind, waren ziemlich wild für uns. Als Inside Out unser drittes Album "Bloom" veröffentlicht hat, war das eine Art Explosion. So groß sind wir gar nicht geworden, aber für uns war es eine riesige Überraschung. Wir waren mit einem Schlag kein lokaler Underground-Act mehr, sondern eine international bekannte Prog-Band. Das war ein kleiner Schock für uns, komplett ungeplant und unerwartet. Aber dann haben wir uns gesagt, okay, jetzt ziehen wir das auch durch."
    Sam Vallen: "Wir haben bei der Europatour zum Album "Bloom" gemerkt, wie alles auf einmal passiert ist. Das war kein langsamer Prozess, es war ein riesiger Schritt."
    Musik: "Rust"
    Als musikalische Vorbilder geben Caligula's Horse so unterschiedliche Künstler wie King Crimson, Devin Twnsend, Opeth, Jeff Buckley und Steely Dan an. Letztere haben den sogenannten Mu-Akkord populär gemacht, eine Umkehrung eines Dur-Akkords, in der sich die Sekunde und Terz reiben. Dieser Akkord ist zu einem Markenzeichen von Caligula's Horse geworden, sagt Gitarrist Sam Vallen, der Musik an der australischen Griffith University unterrichtet.
    Fünf schwarzgekleidete Männer stehen vor einer goldenen Wand aus Ketten und blicken in die Kamera.
    Caligula's Horse hatten einen spektakulären Auftritt beim Euroblast-Festival (Andrew Basso)
    Sam Vallen: "Mich hat vor ein paar Wochen einer meiner Studenten darauf aufmerksam gemacht, dass ich auf der Wikipedia-Serie des Mu-Akkords stehe."
    Jim Grey: "Das ist echter Ruhm!"
    Sam Vallen: "Dafür bin ich jetzt berühmt! Der Mu-Akkord ist eine erste Umkehrung mit Sekunde. Das heißt im Klartext, es ist ein Dur-Akkord mit etwas mehr Spannung. Für mich ist das ein praktisches Werkzeug, um Dur-Akkorde in der Musik zu verstecken; ich benutze den Akkord wahrscheinlich viel zu oft. Damit kann ich Dur-Harmonien in die Songs schmuggeln, ohne dabei zu fröhlich zu klingen; es klingt subtiler und differenzierter. Dieser Akkord und überhaupt das Akkord-Repertoire von Steely Dan, an dem ich mich großzügig bediene - verklagt mich bitte nicht - erzeugt positive Harmonien und versteckt sie in einem Kontext, der nicht so plakativ ist. Das ist allerdings der einzige Einfluss, den Steely Dans Musik auf Caligulas Horse hatte. Wir versuchen nicht, die schlanken Arrangements zu kopieren oder zu singen wie Donald Fagan. Das wär kein Spaziergang, oder, Jim?"
    Jim Grey: "Ich müsste dafür erstmal jahrelang rauchen!"
    Sam Vallen: "Es sind also die Akkorde, die dich nicht direkt anspringen, sondern im Hintergrund hocken und für Farbe sorgen."
    Musik: "Dream the Dead"
    Jim Grey: "Interessanterweise deckt sich das mit unserer Einstellung zu positiven Messages. Wir verbreiten gerne positive Vibes; wenn wir uns mit schwereren Themen befassen, dann versuchen wir immer auch, einen Lichtstrahl unterzubringen, einen Ausweg. Davon hört man viel auf dem neuen Album "Rise Radiant". Und auch umgekehrt. Wir wollen nicht immer nur Fröhlichkeit ausstrahlen, sondern auch sagen, "Hey, das Leben ist vergänglich". Und diese Extra-Schattierung passt perfekt zum Mu-Akkord."
    Wechsel zwischen Glück und Trauer
    Sam: "Absolut richtig; mir gefällt, dass wir nie zu sehr in eine Richtung kippen; also nie zu euphorisch oder total negativ sind. Das interessante ist doch die Spannung zwischen den beiden Extremen. So muss man nicht eine Stunde lang einem wunderschönen Falsett beim Weinen zuhören, sondern hat stattdessen einen Wechsel zwischen glücklich und traurig. Das beste Beispiel ist vermutlich "Dream The Dead" von unserem vorletzten Album. Der Song ist nur so überladen mit Mu-Akkorden. Aber ganz ehrlich, wir haben wahrscheinlich noch nie einen Song geschrieben, in dem nicht irgendwo ein Mu-Akkord versteckt ist."
    Musik: "Dream The Dead"
    Musik: "Inertia and the Weapon of the Wall"
    "Inertia and the Weapon of the Wall" ist der wahrscheinlich ungewöhnlichste Track in der Diskographie von Caligula's Horse. Das Intro zum Song "The Cannon's Mouth" ist ein dreiminütiger gesprochener Text, energisch vorgetragen von Jim Grey. Auf dem Konzeptalbum "In Contact" geht es um drei fiktive Künstler, und "Inertia" handelt von einem Dichter namens Ink. Bei Konzerten ist diese Nummer immer ein Höhepunkt des Abends, sagt Jim Grey.
    Jim Grey: "Damit hab ich nicht gerechnet. Wenn man ein gesprochenes Stück auf ein Album packt, rechnet man mit etwas Backlash. Oder damit dass es alle geschlossen hassen. Tun sie aber nicht, und das ist gut."
    Musik: "Inertia and the Weapon of the Wall"
    Nicht nur warten die Fans auf "Inertia", sie sprechen auch laut mit - wenigstens teilweise.
    Jim Grey: "Das erste Mal hat mich das umgehauen. Viele Leute kennen nicht den ganzen Text, sondern machen nur mmmmm mmm mmmm und sprechen dann das Ende mit. So wie das Leuten beim Singen machen."
    Sam Vallen: "Du tust das doch auch!"
    Jim Grey: "Ich tu das auch, und niemandem fällt es auf."
    Musik: "Inertia and the Weapon of the Wall"
    Jim Grey: "Aber was mir wirklich jedes mal die Schuhe auszieht, ist das Ende- überall auf der Welt."
    Musik: "Inertia and the Weapon of the Wall"
    Jim Grey: "Bei der Zeile schreien die Leute richtig mit."
    Musik: "The Cannon's Mouth"
    Gerade ist das fünfte Album von Caligula's Horse erschienen. Darauf geht es demokratischer zu; am Songwriting und den Arrangements waren diesmal nicht nur Vallen und Grey beteiligt, sondern erstmals auch der Rest der fünfköpfigen Band. Stilistisch ist "Rise Radiant" ein klarer Gegenentwurf zum Vorgänger, dem Konzeptalbum "In Contact". Es ist eine schnörkellosere, schlankere Version von Caligula's Horse, mit kürzeren Songs und erst recht kürzeren Soli. Die Musik sollte diesmal direkter sein und schneller auf den Punkt kommen, sagt Sam Vallen.
    Sam Vallen: "Wir wollten Songs, die auf eigenen Füßen stehen - und deshalb haben wir mehr mit kleineren Motiven experimentiert, und mit Musik, die weniger geschichtet ist. Vielleicht kannst du ja was zu den Texten sagen, Jim, und was die mit der Musik zu tun haben."
    Jim Grey: "Ich glaube es lag auch daran, dass es emotional ehrlicher sein sollte. Ich hab sonst vor allem in der Vergangenheit geschrieben. Gerade auf unserem zweiten Album, "River's Edge", hab ich oft Geschichten und Mythologie benutzt, um über meine Gefühle zu sprechen. Aber diesmal wollte ich nicht diesen umständlichen Weg gehen, sondern direkt über meine Gefühle sprechen. Das war mein persönliches Ziel auf diesem Album, und dadurch wurde alles ziemlich kurz und prägnant: Der Song sagt, was er zu sagen hat, und dann ist er zuende."
    Musik: "Resonate"
    Sam: "Das Schöne daran ist, dass unser Schreibprozess ziemlich ganzheitlich ist. Ich setze Jim nicht einfach vier Minuten Musik vor uns sage "hey, schreib mal Texte dazu". Wir treffen uns und planen den Song von Anfang an gemeinsam, und dann schreibe ich die Musik und er die Texte. Wir arbeiten dabei sehr eng zusammen, Schritt für Schritt. Und deshalb überträgt sich dieser direktere, ehrlichere Ton natürlich auch auf die Musik."
    Eine eigene Sprache
    Autor: Caligula's Horse passt zwar gut zu anderen modernen Prog-Bands wie Haken, TesseracT oder Thank You, Scientist, die Band hat aber eine eigene Sprache entwickelt, die sich an unterschiedlichen musikalischen Genres bedient. Das neue Album ist nicht nur ihr bisher erfolgreichstes, mit "Rise Radiant" hat die Band auch kreativ einen weiteren Schritt nach vorne getan. Während diesmal Fett und Schnörkel aus der Musik weggetrimmt wurden, sind in der Vergangenheit auch immer wieder die prächtigen langen Haare von Sänger Jim Grey der Schere zum Opfer gefallen, sagt Sam Vallen.
    Sam Vallen: "Ich muss tatsächlich daran arbeiten, dass Jim nicht bei jedem Video seine Frisur ändert - das ist Teil meines Jobs."
    Jim Grey: "Das klingt wie ein Witz, ist aber keiner. Und die Pointe ist mein Leben. Wenn ich traurig werde, rasier ich mir den Kopf. Das muss dann einfach sein. Glücklicherweise hab ich das in den letzten Jahren in den Griff bekommen, mit Meditation und Betreuung durch Erwachsene."
    Musik: "Firelight"