Musik: "Prosthetic"
Eine knallige Primärfarbe, einmal rot, einmal gelb, ein einfaches Symbol in der Mitte des Covers: Das Design der letzten zwei Alben von Haken beschwört "Discipline", "Beat" und "Three of a Perfect Pair" herauf, die King Crimson-Trilogie der frühen 80er. Ob das eine bewusste Anspielung ist oder nicht, wahrscheinlich schon, "Vector" und "Virus" erzählen nicht nur gemeinsam eine Geschichte, sondern sind, genau wie die Crimson-Alben, musikalisch und klanglich fest miteinander verzahnt. Wie schon auf "Vector" hat der Sound des neuen Haken-Albums viel Transparenz und Druck und klingt extrem sauber, fast schon antiseptisch. Gemischt hat die Musik auch diesmal Adam Getgood, der Ex-Bassist von Periphery.
Musik: "Canary Yellow"
Implizierte Erwartungen
Inhaltlich knüpft "Virus" direkt an den Vorgänger an. Die Geschichte bringt die Figur des "Cockroach King" zurück, dem vor sieben Jahren die gleichnamige Hymne gewidmet war.
Musik: "Cockroach King"
Haken greift verschiedene Themen und musikalische Passagen auf und denkt diese in verschiedene Richtungen weiter, bis zu einer kompletten Neuinterpretation des Songs.
Musik: "Messiah Complex IV"
Musik: "Messiah Complex IV"
Beim oberflächlichen Hören drängt sich dieses Konzept nicht auf, abgesehen von den musikalischen Zitaten aus "Cockroach King". "Virus" ist eine Sammlung von Songs, die auch für sich stehen, ein Album, das auch ohne seine Geschichte funktioniert. Der Opener "Prosthetic", die erste Single des Albums, beginnt mit einem Stakkato-Metalriff und klingt dann in der Strophe, als hätten Robert Fripp und Doug Pinnick bei Dream Theater gespielt, ein rhythmisch verschachteltes Gitarrenriff über fettem, angezerrtem Bass.
Musik: "Prosthetic"
Neben solchen unerwarteten Klangkombinationen ist "Virus" vor allem sehr heavy. Die Band lehnt sich mehr denn je auf Meshuggah-artige Riffs und schafft es dabei trotzdem, in jedem Song einen effektiven Hook unterzubringen.
Musik: "Invasion"
Auf dem sechsten oder, wenn man die "Restoration"-EP mitzählt, dem verflixten siebten Studioalbum bewegt sich Haken in vertrauten, vielleicht etwas zu vertrauten Gefilden. Während wohl nur AC/DC es sich erlauben kann, immer wieder neue Variationen desselben Songs zu veröffentlichen, ist die Erwartungshaltung im Prog-Rock eine andere: ständige Erneuerung ist die Devise! Innerhalb der Songs ist Haken hier durchaus experimentierfreudig, mit Album als Ganzes dagegen greifen sie auf ein altes Muster zurück: einer Handvoll kürzerer Songs am Anfang, eine epische Suite am Ende. Das ist nicht erst seit Dream Theaters "Octavarium" abgenudelt, sondern drohte schon zu Zeiten von Genesis' "Foxtrott" und ELP's "Brain Salad Surgery" zum Prog-Rock Klischee zu werden. Dazu kommt, dass dieses Format am besten funktioniert, wenn das finale Epos den Rest des Albums in den Schatten stellt - und die fünfteilige Suite "Messiah Complex" ist nicht das einsame Highlight von Virus.
Ein Flagschiff des modernen Prog
Tight war das Zusammenspiel von Haken schon auf dem Debütalbum "Aquarius", inzwischen zehn Jahre alt. Daran hat sich nichts geändert; wenn überhaupt ist die transatlantische Band, die schon vor der Corona-Krise über Videokonferenz geprobt hat, noch mehr zu einer Einheit verschmolzen. Spielereien wie Diego Tejedas Lo-Fi Keyboardsounds sind zu einem organischen Teil von Hakens Sound geworden. Das schwächste Glied der Kette ist nach wie vor Sänger Ross Jennings. Das ist allerdings keine Kritik an Jennings; der ist genau der Richtige für Haken, ein charismatischer und kompetenter Frontmann. Nein, es ist ein Kompliment an die Kette, eine der virtuosesten und eingespielten harten Rockbands unserer Zeit.
Musik: "Messiah Complex ii"
Hakens neues Album ist kein radikaler Richtungswechsel, kein evolutionärer Durchbruch, aber vielleicht ist das die falsche Messlatte. "Virus" hat kein Gramm Fett, ist heavy und melodisch und das wohl vielseitigste und stimmigste Werk in der Bandgeschichte Hakens - und Haken ist nach wie vor ein Flagschiff des modernen Prog. "Virus" ist vor allem eine Reflektion, eine Auseinandersetzung mit Hakens Einflüssen, mit den vielen Facetten der eigenen Diskographie und eine Kulmination. Das Album klingt wie ein Fazit aus zehn Jahren Bandgeschichte, ein fetter Strich unter dem Ende eines Kapitels. Umso gespannter muss man auf das sein, was als nächstes kommt. Und solange kann man sich mit "Virus" mehr als nur die Zeit vertreiben.