Archiv

Prog-Metaller Devin Townsend
Selbstfindung eines Chamäleons

In seinen bisherigen Bands und Projekten macht der Kanadier Devin Townsend Metal, Prog, Akustik Rock, Pop mit Musical-Anklängen und sogar Country. Auf dem aktuellen Album "Empath" macht er: alles gleichzeitig.

Von Kai Löffler |
    Ein mann mit einer Gitarre steht auf einer Bühne.
    Devin Townsend geht keine Kompromisse ein. (imago stock&poeple (Zuma Press))
    Musik: "Genesis"
    Für den Song "Genesis" war ein kleines Heer von Musikern im Studio, mitsamt Orchester und Chor, die Musik entstammt aber einem einzigen Kopf. Kanadier Devin Townsend macht als Sänger und Gitarrist seit mehr als zwanzig Jahre erfolgreich Musik, die vor allem Metal und Prog zugeordnet wird. Genesis ist eine wilde Mischung von Stilen, aber Townsend hat sich nie in einem einzigen Genre zuhause gefühlt. Sein Durchbruch war vor rund 24 Jahren das Engagement als Sänger auf Steve Vais Album "Sex & Religion". Später hat er unter verschiedenen Namen seine Musik veröffentlicht, und schließlich auch unter seinem Eigenen. Pünky Brewster ist eine Punk-Parodie, Strapping Young Lad steht vor allem für Extreme-Metal und Ocean Machine - später neu aufgelegt als ein Devin Townsend-Album - ist technischer Prog. Vorher weiß Townsend so gut wie nie, wie die Musik klingen wird.
    So überrascht wie das Publikum
    "Ich glaube wenn ein Album Gestalt annimmt, ist das ein unterbewusster Prozess. Beim Schreiben fliegen Sachen raus, die sich falsch anfühlen und am Ende bleibt das übrig, was mich nicht stört. Und erst dann kann ich definieren, was für Musik es ist. Aber erst mal folge ich meiner Intuition und manchmal bin ich genauso überrascht wie das Publikum. Ob es heavy wird, oder ruhig, ich glaube, das weiß ich immer erst hinterher."
    Musik: "Ih-Ah?"
    Dank seiner spontanen Arbeitsweise ist auch die Entwicklung von Townsends Musik selten linear; kurze musikalische Phasen wechseln sich ab und werden zu Momentaufnahmen seines inneren Zustands. Auf die vergleichsweise straighte Metal-Platte "Physicist", geboren aus einer geplatzten Zusammenarbeit mit Ex-Metallica-Bassist Jason Newstead folgte "Terria", eines von Townsends komplexesten Alben.
    Durchdachte persönliche Texte
    Devin Townsend: So ziemlich jede Phase ist eine Reaktion auf das war vorher kam. Wenn ich also etwas lautes, aggressives mache, folgt darauf meistens das genaue Gegenteil. Bei "Physicist" war ich aber außerdem auch Mitte 20, jetzt bin ich Mitte 40, da liegen Welten zwischen. Wenn ich jetzt etwas schreibe, klingt es schon deshalb anders, weil ich ganz andere Einflüsse habe. Das Schwierigste ist... also, nicht direkt dass ich für die Musik verantwortlich bin, sondern eher dass ich Dinge rationalisieren und erklären muss, die intuitiv entstanden sind. Dieses Rationalisieren ist wichtig, viele Leute gucken sehr darauf, was Musiker und überhaupt Künstler sagen, und wenn das falsch interpretiert wird entstehen daraus Rückschlüsse auf deine Motivation, die oft einfach nicht stimmen. Mir fällt es aber schwer zu entschlüsseln, warum genau ich etwas gemacht habe. Man macht Dinge halt einfach, oder?
    Musik: "Kingdom"
    Während das musikalische Universum des Devin Townsend scheinbar keine Grenzen kennt, ist das textliche überschaubar. "The message is, There is no message" singt er im Song "Earth Day". Seine Texte sind durchdacht und persönlich. Vor allem aber sind sie meistens unpolitisch. Wer sich all zu weit aus dem Fenster lehnt, wird angreifbar, sagt Townsend. Außerdem vermeidet er so, dass ihm jemand Worte in den Mund legt.
    Ein Mann steht auf einer Bühne und spielt Gitarre
    Devin Townsend spielt für Kids in Israel (imago stock&poeple (Zuma Press))
    "Ich glaube auch dass deine Arbeit sehr leicht für die Agenda von jemand anderem eingespannt werden kann. Ich werde oft nach meinen politischen Ansichten gefragt oder kritisiert, weil ich für Kids in Israel spiele. Oder ich hab einen Freund der bei Fox News in Amerika arbeitet und will, dass ich in seine Show komme. Aber damit fühle ich mich nicht wohl. Es wäre leicht, meinen Kopf im Sand zu vergraben und so tun, als könne man Kunst nicht für politische Zwecke einspannen. Aber je bekannter ich werde, desto mehr muss ich mich damit auseinandersetzen. Deshalb erkläre ich meine Arbeit so oft - und wie gesagt, es fällt mir sehr schwer, zu rationalisieren wie und warum ich etwas gemacht habe. Bei "Empath" hab ich mir bei der Intention sehr strenge Parameter auferlegt, und hab deshalb auch eine Reihe von Youtube-Videos veröffentlicht, in denen ich über das Album rede. Und wenn Leute mich fragen warum, dann sag ich, weil es meine Motivation erklärt. Wenn also jemand der Musik seine Agenda überstülpen will, dann hab ich wenigstens schon gesagt, worum es eigentlich geht. Und das andere ist die Agenda von jemand anderem, mit der habe ich nichts zu tun. Ich versuche mich aber auch, so gut es geht aus Politik rauszuhalten. Politischer und sozialer Aufruhr sind zur Zeit so allgegenwärtig, da will ich den Leuten auch mal eine Pause gönnen. Die Frage ist jedenfalls sehr kompliziert. Ich hab da in letzter Zeit viel drüber nachdenken müssen."
    Musik: "Ziltoid Intro"
    Betont unpolitisch und - bei aller Absurdität - persönlich kommt auch das Konzeptalbum "Ziltoid The Omniscient" daher, komplett im Alleingang produziert und mit programmiertem Schlagzeug eingespielt. "Ziltoid" ist ein Ausreißer, selbst in einer so eklektischen Diskografie wie Townsends. Die Science Fiction-Story dreht sich um einen gereizten Außerirdischen auf der Suche nach der ultimativen Tasse Kaffee. Der Kaffee der Erde schmeckt ihm aber so schlecht, dass er seiner Armee befiel, den Planeten zu zerstören.
    "Ich glaube es hatte damit zu tun, dass ich jetzt Kinder habe. In der Strapping Young Lad-Zeit, hatte ich das Gefühl, dass ein Teil von mir wütende und aggressive Musik braucht, und ich glaube das kam auch aus einer Art Störung heraus. Als ich damals die Band aufgelöst habe, war ich aber nicht sicher wo es genau herkam. Ziltoid war als Charakter, also natürlich war er eine Puppe mit meinen Haaren, aber er war auch die Manisfestation dieses verwirrenden Teils meiner Persönlichkeit. Und dadurch dass ich ihn zu einem humorvollen Charakter gemacht habe, konnte ich mich objektiv betrachten. Das, kombiniert mit Kinderspielzeugen, war ein Spiegelbild all dessen was zu der Zeit in meinem Leben passiert ist. Die Kinder waren gewissermaßen der Grund für die Puppe."
    Ziltoid ist ein Spiegelbild von Townsend in seiner - wie er sie nennt - selbstzerstörerischsten Zeit; und die Ziltoid-Puppe, die in zahlreichen Videos zu auftaucht, trägt Townsends eigene verfilzte Haare, die sich der heutige Glatzenträger nach seiner Strapping Young Lad-Zeit abgeschnitten hatte.
    Hang zum Drama
    "Als das Album erschien, haben viele gesagt, was zur Hölle soll das sein!? Aber ich glaube mit etwas Abstand sehen die Leute es etwas klarer... hoffe ich."
    Musik: "Far Beyond Metal"
    Stilistisch und auch stimmlich ist Townsend ein Chamäleon, er mischt cleanen, zarten Geang mit angezerrter Rockröhre, Growls und Screams. Seine Gitarrenparts sind immer solide, selten virtuos und Soli spielt er so gut wie keine. Manche Elemente widerholen sich, z.B. bombastische Chorpassagen über Stakkato-Riffs und die bewusste Brechung von Genres, aber den einen "Devin Townsend-Sound" gibt es nicht. Wenn ein Element seine Musik vereint, dann ist es der Hang zum großen Drama. Townsend hat sich inzwischen als Musical Fan-geoutet; auf der aktuellen Unplugged-Tour spielt er ein Cover der Schmacht-Hymne "Bring Him Home" aus dem Musical Les Miserables und auch der Song "Why" vom aktuellen Album "Empath" haut in genau diese Kerbe.
    Musik: "Why"
    Trotz aller Erfolge - künstlerisch wie kommerziell - bleibt Townsend sein eigener schärfster Kritiker. Mit früheren Alben kann er oft nicht viel anfangen. Manchmal beginnt dieser Prozess schon in dem Moment, in dem er das Studio verlässt.
    "Ja, ist schon vorgekommen. Ganz oft ist es bei meiner Arbeit so, dass ich das Interesse verliere, sobald es fertig ist. Das ist bei den Bands so, das war bei Ziltoid so, bei fast allem. Sobald ich meinen kreativen Impuls artikuliert habe, verschwindet das Interesse. Und wenn ich mit der Arbeit an einem Album fast fertig bin, denke ich oft, okay, jetzt weiß ich was noch passiert, ich weiß wie es klingen wird, ich weiß was es ist, also bringe ich es jetzt einfach hinter mich und gehe damit auf Tour. Ehrlichgesagt fallen mir nur eine Handvoll Alben ein, bei denen das nicht so war. Eins davon war "Casualties of Cool", bei dem hat die Begeisterung angehalten."
    Musik: "The Code"
    "Casualties of Cool" ist ein Album, das in Devin Townsends Schaffen einen besonderen Platz einnimmt. Es ist das erste Projekt seit Strapping Young Lad, das nicht seinen Namen trägt. Townsend und Sängerin Ché Aimee Dorval bedienen sich in erster Linie bei Musik die älter ist als Rock: Country,
    "Ich glaube dieses erste Album ist eher auf meinem Mist gewachsen, ich hab Ché damals ins Boot geholt, es ist also eher eine Devin-Platte. In der Zukunft wollen wir aber mehr zusammenarbeiten. In den letzten paar Jahren haben wir erst eine Handvoll neuer Songs geschrieben, es ist ein langsamer Prozess. Aber ich finde Casualties of Cool ist eine gute Kombination unserer Energien."
    Lange Zeit hatte Townsend außerdem eine Stammband, unter anderem mit seinem Jugendfreund Brian Waddell am Bass. Das Devin Townsend Project oder DTP war seit 2008 sein fester musikalischer Partner, sowohl im Studio als auch auf Tour - bis er 2018 die Scheidung einreichte.2
    "Ja, ich hab die Band aufgelöst. So fällt es mir das Schreiben leichter. Eine Band, eine Rockband hat einfach sehr enge Parameter, an die man sich halten muss, vor allem wenn man sich von Rock wegbewegt. Ich hab mit dem Project (englisch ausgesprochen) auch kompliziertere Projekte angegangen wie "Dark Matters", aber es war immer ein Kampf. Man muss Leuten Sachen erklären, man muss ihnen Sachen beibringen. Und wenn ich das nicht mehr tun muss, kann ich auf einmal zehnmal so schnell arbeiten. Manche Fans haben nicht verstanden, warum ich das DTP beendet habe, aber für mich war es nicht nur das Beste was ich tun konnte, es war schon zwei oder drei Alben überfällig. Ich hätte es früher tun sollen, aber so war es auch okay."
    Musik: "Stars"
    Sein letztes Album vor DTP war Ziltoid, das bis heute letzte Studioalbum ohne Beteiligung anderer Musiker. Kurz davor allerdings hat er - ebenfalls alleine - zwei Alben aufgenommen, die an den experimentelleren Output von King Crimson, David Sylvian oder Scott Walker erinnern. "Devlab" und "The Hummer" sind avantgardistische, elektroakustische Klangexperimente ohne Gesang oder traditionelle musikalische Strukturen.
    Musik: "Consciousness Causes Collapse"
    "Devlab" hab ich geschrieben, weil ich zu der Zeit in meinem Haus ein Demo-Studio eingerichtet hatte. Ich hatte viel neues Equipment zum experimentieren und das hat die Dynamik des Projekts bestimmt. Und "The Hummer" war eine Antwort auf "Alien" von Strapping Young Lad, bei dem ich mich kreativ so verausgabt hatte, dass es schon ungesund war. Hummer war also gewissermaßen eine Art Wundsalbe für mich. Ich konnte mich erholen und wollte gleichzeitig komplett unabhängig sein. Ich hab keinen Strichcode drauf gedruckt, ich wollte es nicht wirklch kommerziell verkaufen. Hummer war vor allem für mich. Ich würde nicht sagen, ich hatte die meiste Freiheit - die hatte ich auch bei vielen anderen Alben - aber bei The Hummer war es mir wirklich wirklich egal, was andere davon halten. Es war einfach für mich."
    Fazit aus zweieinhalb Jahrzehnten
    Mit seinem neuen Album Empath hat Devin Townsend eine Art Fazit aus den zweieinhalb Jahrzehnten Schaffen gezogen und Extreme Metal, Pop, Prog, Symphonischen Rock, Musical, Folk, Elektronic auf einem Album vermischt. Nicht selten beschreibt das Label "Progressive Rock" Bands, die mit Mellotrons, Zwölfsaitigen Gitarren und krummen Rhythmen den Sound der Siebziger wieder aufleben lassen. Townsends Musik ist dagegen progressiv im wahrsten Sinne des Wortes, im ständigen Umbruch und immer nach vorne gerichtet, auch wenn er demnächst dann noch einmal zurückblicken muss.
    "Empath ist fertig - und jetzt muss ich damit auf Tour gehen. Das Album analysiert wer ich war, im kreativen Sinne, und wer ich heute bin. Nichts davon erfindet für mich das Rad neu, aber ich musste mich mit ein paar Sachen auseinandersetzen, die ich lange bewusst vermieden habe. Ich bin daran gewachsen, aber ich hab kein brennendes Verlangen, mich hinzustellen und es live zu spielen. Super wird es trotzdem!"
    Musik: "Spirits will Collide"