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Programm gegen Langzeitarbeitslosigkeit
DGB: "Tariflohn muss die Grundlage sein"

Mit einem Milliardenprogramm will die Bundesregierung Langzeitarbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt integrieren. Annelie Buntenbach vom Deutschen Gewerkschaftsbund sagte im Dlf, sie sei grundsätzlich froh über die Initiative. Fatal fände sie jedoch, dass Betriebe für geförderte Personen nur den Mindestlohn erstattet bekommen sollen.

Annelie Buntenbach im Gespräch mit Christiane Kaess |
    DGB-Bundesvorstand Annelie Buntenbach steht am 20.09.2016 bei einer Tagung des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) zur Rentenpolitik in Berlin vor einer Tafel mit der Aufschrift "Meine Rente muss reichen für...".
    Annelie Buntenbach vom DGB fordert, dass auch Langzeitarbeitslose zu Tariflöhnen arbeiten. (picture alliance/dpa - Bernd von Jutrczenka)
    Christiane Kaess: Im letzten Jahr waren es gut 800.000 Menschen in Deutschland. Sie waren oder sind noch immer sogenannte Langzeitarbeitslose, also mehr als ein Jahr ohne Job. Die meisten von ihnen müssen sehr lange mit den finanziellen und sozialen Folgen leben, denn Langzeitarbeitslose gelten als schwer zu vermitteln in den Arbeitsmarkt.
    Deshalb sucht die Politik immer wieder nach Lösungen des Problems. Gestern hat Arbeitsminister Hubertus Heil von der SPD nun seinen Gesetzentwurf dafür vorgelegt, diese Menschen wieder in Jobs zu bekommen. Vier Milliarden Euro sollen bis 2022 fließen, um 150.000 staatlich bezuschusste Stellen für langjährige Hartz-IV-Bezieher zu schaffen. Dabei sollen die Betroffenen fünf Jahre lang einen Lohnkostenzuschuss bekommen können. So hat es das Bundeskabinett in Berlin gestern beschlossen.
    Annelie Buntenbach ist Mitglied im Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes und sie ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Frau Buntenbach.
    Annelie Buntenbach: Guten Morgen, Frau Kaess.
    Kaess: Staatlich bezuschusste Jobs schaffen – wann hat das schon mal funktioniert?
    Buntenbach: Ich glaube, es muss in dem Fall funktionieren. Wir haben ja über Jahre hinweg trotz guter Konjunktur es nicht geschafft, die verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit aufzulösen, und deshalb bin ich froh, dass hier die Initiative der Bundesregierung jetzt kommt, Langzeitarbeitslosen auf dem Weg soziale Teilhabe zu ermöglichen. Und was wir wissen, was nicht funktioniert, das sind kurzatmige Programme, wo Leute dann für wenige Monate in einen Job gebracht werden, und gerade bei der Gruppe, um die es hier geht, die nicht ohne weiteres einen Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt wieder finden werden, geht es darum, dass die auch über eine etwas längere Perspektive die Chance haben, hier wieder reinzukommen und auch eine sinnvolle und gute Arbeit zu machen.
    Kaess: Sie setzen auf diese Langfristigkeit. Jetzt soll aber dieser Zuschuss, den es gibt, über die Jahre hinweg abschmelzen. Was glauben Sie denn, wie viele der neu geschaffenen Jobs können sich dann noch halten?
    Buntenbach: Da bin ich bei dem Abschmelzen, ehrlich gesagt, auch nicht sicher. Was mir aber noch größere Sorgen macht ist, dass jetzt hier festgelegt ist in dem Referentenentwurf – ich hoffe, das ändert sich noch im Gesetzgebungsverfahren -, dass die Grundlage der Mindestlohn sein soll und nicht der Tariflohn, das bedeutet nicht nur, dass diejenigen, die den Job bekommen, oft dann nicht so viel Geld nachher in der Tasche haben, dass sie wirklich aus dem Hartz-IV-Bezug rauskommen mit dem Mindestlohn, sondern das zweite Problem ist, dass wahrscheinlich an den Stellen, wo es nötig wäre, die Jobs gar nicht entstehen können, die hier gebraucht werden.
    "Die Hoffnung, dass sich neue Perspektiven ergeben"
    Kaess: Frau Buntenbach, lassen Sie uns gleich noch über Mindestlohn und tarifüblichen Lohn sprechen. Ich möchte noch einmal nachhaken: Kann es denn sein, oder sind Sie eher optimistisch oder pessimistisch, dass man eventuell unter Umständen in ein paar Jahren wieder 150.000 Menschen aus diesen Jobs, die geschaffen wurden, in die Arbeitslosigkeit entlässt, weil sich genau diese Jobs nicht halten werden, nachdem sie nicht mehr bezuschusst werden?
    Buntenbach: Ich denke, das wird man sehen müssen. Ich gehe davon aus. Ich weiß nicht, ob jeder Job sich hält. Was ich aber hoffe ist, dass für die Langzeitarbeitslosen, die hier auf diese Weise gefördert werden, sich auch für viele durchaus neue Perspektiven ergeben werden, wenn die über eine längere Strecke am Arbeitsmarkt mit dabei sein konnten, weil das hat sich bei den Bundesländern gezeigt, wo solche Programme ja auch schon gelaufen sind, dass dann, wenn sie die entsprechende Unterstützung haben, auch ein Coaching, für viele sich die Brücke in den ersten Arbeitsmarkt durchaus wieder öffnet und sie damit eine Chance bekommen, die sie nach jetzigem Stand einfach nicht haben.
    "Ein Arbeitsplatz zweiter Klasse"
    Kaess: Jetzt haben Sie es gerade schon angesprochen: Es gibt diese Forderung, die ortsüblichen oder tariflichen Löhne zu zahlen, zu erstatten, muss man sagen, und nicht nur den Mindestlohn. Jetzt könnte ich mir vorstellen, dass viele Langzeitarbeitslose sagen, ich fange aber auch gerne einmal auf einem Mindestlohn-Niveau an, Hauptsache ich habe erst mal einen Job.
    Buntenbach: Das wird sicher so sein, wobei ich habe ja eben schon gesagt: Es hat in den Bundesländern ja solche Programme schon gegeben. Die Erfahrung da war, dass es umso besser funktioniert mit der Teilhabe am Arbeitsmarkt und dann vielleicht auch mit einer längerfristigen Perspektive, wenn die Leute wissen, dass sie genauso behandelt werden wie andere Arbeitnehmer auch und nicht das Gefühl haben, das ist ein Arbeitsplatz zweiter Klasse. Deswegen würde das sehr schlecht sein, wenn diejenigen zum Mindestlohn beschäftigt werden und daneben die Menschen zu Tariflohn arbeiten. Aber das große Problem, was sich bei der Frage Tariflohn oder Mindestlohn stellt, ist, dass das ein Wettbewerbsnachteil ist für tarifgebundene Arbeitgeber. Gerade Kommunen oder kommunale Töchter, Wohlfahrtsverbände, die an Tarife gebunden sind, die können nicht einfach den Arbeitsplatz zu Mindestlohn-Bedingungen einrichten, sondern die müssten dann diese Lohnlücke, die Differenz zwischen dem Tariflohn und dem Mindestlohn, selbst zuschießen. Viele haben das aber nicht in der Kasse und können das nicht einfach aus eigener Tasche oben drauflegen, sondern ich finde, hier muss die Förderung durch die Bundesregierung genau auch so aussehen, dass gerade diese tarifgebundenen Betriebe, diese tarifgebundenen Arbeitgeber auch solche Jobs anbieten können. Auch das ist für mich ein wichtiger Grund, warum es heißen muss: Tariflohn.
    "Der Tariflohn blockiert nicht den Job"
    Kaess: Wenn Sie die Sorge haben, dass diese Jobs eventuell gar nicht entstehen, dann wäre die logische Folgerung daraus, dass die Tarifbindung in diesen Fällen hinderlich ist und eventuell sogar Jobs blockiert.
    Buntenbach: Nee! Anders herum wird ein Schuh daraus. Die Tarifbindung blockiert nicht den Job, sondern die Bindung dieses Programms allein an den Mindestlohn blockiert dann den Job, weil hier einfach klar ist, wenn in dem Betrieb Tariflohn gilt und es soll kein Arbeitsplatz zweiter Klasse sein, nicht ein Sonderarbeitsplatz oder eine Arbeitsgelegenheit, sondern diejenigen, die hier im sozialen Arbeitsmarkt als Langzeitarbeitslose einsteigen, sollen das auch auf Augenhöhe tun können – das hat die besten Erfolgsaussichten -, dann heißt das in dem Fall, dass Tariflohn die Grundlage sein muss.
    Kaess: Aber es muss ja nicht unbedingt gleich ein Arbeitsplatz zweiter Klasse sein, nur weil da ein Mindestlohn gezahlt wird. Aber Fakt ist doch: Wenn das nicht geht, weil ein Unternehmen tariflich gebunden ist, dann wird in dem Fall tatsächlich ein Job blockiert im Rahmen dieses Programms.
    Buntenbach: Nein. Ich sehe das anders. Dadurch, dass die Vorgabe des Programmes an der Stelle am Mindestlohn ansetzt statt am Tariflohn, werden wir hier Probleme bekommen, die wir normalerweise nicht hätten oder nicht haben sollten, weil gerade bei den Kommunen, kommunalen Töchtern, Wohlfahrtsverbänden, bei tarifgebundenen Betrieben solche Jobs für Langzeitarbeitslose im sozialen Arbeitsmarkt besonders gut aufgehoben wären. Deswegen fände ich das an dieser Stelle, muss ich sagen, fatal.
    "Beteiligung der Sozialpartner vor Ort"
    Kaess: Jetzt gibt es auch noch die Sorge sowohl von Arbeitgebern als auch zum Beispiel von der FDP, aber sogar zum Teil von Gewerkschaftsseite, dass da Stellen beim Staat geschaffen werden könnten und die normale Arbeit damit verdrängt wird. Wie sehen Sie das?
    Buntenbach: Dagegen kann man was tun. Wir haben da auch einen Vorschlag auf den Tisch gelegt, und zwar, die Sozialpartner vor Ort zu beteiligen, die sich damit ja am besten auskennen, was schadet dann vielleicht dem Arbeitsmarkt, was verdrängt oder was passt da gut rein. Das ist in dem Gesetzentwurf jetzt so noch nicht vorgesehen. Wir fordern, dass das noch passiert und dass wir genau diese Beteiligung der Sozialpartner vor Ort haben, damit hier keine Verdrängung stattfindet.
    Kaess: Wieviel Hoffnung haben Sie, dass sich da noch was ändert in dem Gesetzentwurf?
    Buntenbach: Oh, da haben wir eine ganze Menge Hoffnung, weil ich glaube, dass in dem parlamentarischen Verfahren wir noch mal klarmachen können, warum es wichtig ist, dass der Arbeitsmarkt vor Ort hier nicht durcheinandergebracht wird, sondern von allen Seiten auch akzeptiert wird, dass hier Langzeitarbeitslose einen guten Einstieg kriegen. Da, glaube ich, haben wir gute Argumente, um dafür zu werben.
    Kaess: … sagt Annelie Buntenbach. Sie ist Mitglied im Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Frau Buntenbach, vielen Dank für das Gespräch heute Morgen.
    Buntenbach: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.