Völlig losgelöst - Von der Einsamkeit in der modernen Gesellschaft
Von Stefan Kühl
Einsamkeit ist ein großes Thema in den westlichen Gesellschaften geworden, sie kann jede und jeden treffen, ist in jeder Altersstufe anzutreffen. Und die Zahl einsamer Menschen ist in den letzten Jahren rapide gestiegen. Was können wir dagegen tun?
Einsamkeit ist als Thema längst in der Politik angekommen. Ende letzten Jahres hat das Bundeskabinett sogar eine Strategie der Bundesregierung gegen Einsamkeit beschlossen. Und setzt auf gesellschaftliche Aufklärung und Achtsamkeit. Zugleich soll die Erforschung der Einsamkeit gestärkt werden.
Wie lässt sich aber überhaupt dieses sich ausbreitende Gefühl von Einsamkeit erklären? Wie hängt es mit der Ausbildung von Freundschaften, Liebesbeziehungen und Kleinfamilien in der modernen Gesellschaft zusammen? Und wodurch lässt sich die Entstehung dieser zwischenmenschlichen Beziehungen fördern? Das sind Fragen, die insbesondere moderne Gesellschaften beantworten müssen, um gelingendes soziales Leben zu ermöglichen.
Schon seit der Hochzeit der Industrialisierung beklagen Zeitdiagnostiker den Bedeutungsverlust persönlicher Beziehungen. In Unternehmen, Verwaltungen, Krankenhäusern, Universitäten und Schulen degeneriere der Mensch, so die Diagnose, zu einem beliebig austauschbaren Rollenträger. Damit besteht die Gefahr, dass der ganze Mensch aus dem Blick gerät, die Bindungslosigkeit wächst, wenn der Kontakt zu anderen Menschen nicht mehr über eine Rolle vermittelt wird. Das Unpersönliche ist zur Signatur moderner Gesellschaften geworden. Um so wichtiger wird die Funktion von Freundschaftsgruppen und modernen Familienformen.
Stefan Kühl ist Professor für Organisationssoziologie an der Universität Bielefeld. Zugleich berät er Unternehmen, Verwaltungen und Ministerien in Fragen der Organisations- und Strategieentwicklung. Zuletzt sind von ihm u.a. die Bücher „Der ganz formale Wahnsinn: 111 Einsichten in die Welt der Organisationen“ (Vahlen Verlag) und „Ganz normale Organisationen - Zur Soziologie des Holocaust“ (Suhrkamp Verlag) erschienen.