Sex, Dschinn, Religion
1001 Nacht gegen 114 Suren?
Von Dalila Zouaoui-Becker
(Wdh. v. 22.3.2020)
Orgien, Homosexualität, Aphrodisiaka und ein Gott, der alles lächelnd billigt: Durch die Geschichten aus 1001 Nacht weht der radikale Wind der Freiheit. Aber können sie einen Gegenentwurf zum herrschenden Islam darstellen?
Die Geschichten aus „Tausendundeiner Nacht" begleiten die Autorin und Übersetzerin Dalila Zouaoui-Becker schon von Kindesbeinen an, und noch heute staunt sie über die freie Welt der Erzählerin Scheherazade. Diese Welt war stets zu liberal für religiöse Fundamentalisten, die nie aufgehört haben, das „satanische“ Werk zu bekämpfen. 1985 wurde es beispielsweise auf Geheiß der Muslimbrüder öffentlich in Kairo verbrannt.
Gerade in Zeiten wie den unsrigen, in denen der islamistische Extremismus das Thema „Religion“ wieder in den Vordergrund gerückt hat, wird die Botschaft der Scheherazade umso dringlicher. Deutlicher denn je zeigt sich ihre ungeheure Sprengkraft, aber auch ihre tiefe Weisheit.
Es lohnt sich zuzuhören, wenn die berühmte Erzählerin dabei hilft, manche Fragen zu beantworten: Lässt sich die tolerante und hedonistische Botschaft von „Tausendundeiner Nacht" wirklich als ein Anti-Koran verstehen? Wie löst man den scheinbaren Widerspruch zwischen dem Motto „Genießen und genießen lassen“ und der Anbetung Gottes? Wie „islamisch“ überhaupt sind die arabischen Erzählungen? Kann man Gott selbst gegen Gotteskämpfer in Stellung bringen, also die Religion selbst als Waffe gegen die Religion und ihre Exzesse benutzen? Schafft das die Literatur oder letzten Endes doch nur ein religiöser Schlüsseltext?
Fragen, die sich auch das Abendland stellen muss. In der westlichen Welt haben geschönte und gekürzte Versionen des Werks dafür gesorgt, dass es seiner Sprengkraft beraubt wurde und völlig zu Unrecht als bloße Märchensammlung galt. Damit halten die Erzählungen aus „Tausendundeiner Nacht" dem Orient wie dem Okzident einen Spiegel vor und zeigen, wie Gesellschaften die eigene Geschichte und fremde Kulturen über zentrale Texte wahrnehmen.
Dalila Zouaoui-Becker ist Übersetzerin und freie Autorin. Sie lebt in Köln und schreibt über Sprachen, Literatur und Religion(en),u.a.: „Homère l'Oriental“ im französischen Onlinemagazin „Orient XXI“ (2017). Außerdem Vorträge über Sprache, Literatur und Religion am romanischen Seminar der Universität Köln.