Musik: "Pieces of Heaven"
Musik: "Looking for the Light"
"Looking for the Light" vom neuen Transatlantic-Album "The Absolute Universe". Mit der kreischenden Hamond-Orgel im Intro, der fast schon doomigen 6/8 Basslinie und dem rauhen Gesang von Mike Portnoy ist der Song nicht nur ungewohnt heavy - er ist mit vier Minuten auch einer der kürzeren Tracks. Die Supergroup gibt es seit rund zwanzig Jahren, gegründet von Ex-Dream Theater Schlagzeuger Portnoy, Marillion-Bassist Pete Trewavas, Neal Morse, Ex-Sänger von Spock's Beard und Roine Stolt, Gitarrist der schwedischen Prog-Rock-Institution The Flower Kings.
Roine Stolt: "Ich bin ziemlich sicher, dass mir damals Mike eine Mail geschickt hat. Eine gemeinsame Freudin hatte mir erzählt, dass Dream Theater vor den Konzerten einen Flower Kings-Song über die PA laufen ließ. Und ich dachte, Dream Theater, das ist interessant. Tolle Band, tolle Gitarren, tolles Schlagzeug und so... aber der Metal-Sound war nicht die Art von Progressive Rock, die mich interessiert hat - zumindest damals. Und dann etwa ein Jahr später kam eine Email von Mike. Darin stand, dass er und Neal Morse eine Band auf die Beine stellen wollten. Und ich habe zurückgeschrieben, klar, warum nicht. Außerdem hat er geschrieben, dass er überlegt, den Bassisten von Marillion an Bord zu holen. Ich kannte Marillion ich hatte eine Platte aus den 80ern, nachdem es hieß, die sind die neuen Genesis. Aber wenn ich ehrlich sein soll: Ich dachte ....nicht ganz die neuen Genesis. Ich meine, die Musik war gut, aber nicht so gut wie Genesis.
Marillion klingt seit Jahrzehnten nicht mehr nach Genesis. Bei Transatlantic dagegen ist der Seventies-Prog fester Bestandteil der DNA. Aus der musikalischen Mixtur sind, neben dem individuellen Sound der vier Mitglieder, ein paar Zutaten ganz deutlich rauszuhören: Yes, Genesis, Kansas, und nicht zuletzt auch die Beach Boys und die Beatles.
Musik: "The Sun Comes Up Today"
Auf dem aktuellen Transatlantic-Album "The Abolute Universe" fließen die vielen musikalischen Einflüsse noch organischer ineinander als auf den ersten vier Werken. Vielleicht auch, weil die Band diesmal mehr Zeit im Studio hatte. Beim Debütalbum vor 20 Jahren, so Roine Stolt, ging dagegen alles sehr schnell.
Es gab keine Pläne, es war keine Tour angedacht
Roine Stolt: "Es gab gar keine Pläne, es war keine Tour angedacht, ich weiß nicht mal, ob wir einen Plattenvertrag hatten. Vielleicht... vielleicht auch nicht. Jedenfalls haben wir uns getroffen und dann ziemlich schnell aufgenommen. Ich glaube, das ganze erste Album war nach drei oder vier Tagen fertig."
"SMPTe" hieß das erste Album; benannt nach dem gleichnamigen Timecode, der zufällig die Anfangsbuchstaben aller vier Musiker enthält: Stolt, Morse, Portnoy und Trevawas. Bei den längeren Tracks sind die Übergänge zwischen den verschiedenen Passagen manchmal etwas holprig, aber "SMPTe" ist ein klares Statement und ein Wewgweiser für die Nachfolger: Es besteht aus einem halbstündigen Epos, zwei Songs à zwanzig Minuten - unter anderem ein Cover der Procul Harum Suite "In Held (`Twas in I) - und zwei kürzere Songs: Das hookige "Mystery Train"und die Akustik-Ballade "We All Need Some Light"
Musik: "We All Need Some Light"
Ein bombastisches Finale à la Pink Floyds "Comfortably Numb", orchestrale Keyboardteppiche und donnernde Röhrenglocken inklusive. "We All Need Some Light" ist trotzdem der schlankste Song auf dem ersten Album von Transatlantic. Regelmäßig legt die Band mehre Keyboard- und Gitarrenspuren übereinander, und auch beim Gesang reichen vier Stimmen oft nicht aus. Auf dem ersten Live-Album klingt das Quartett deshalb manchmal etwas dünner als im Studio; auf späteren Touren haben sich die Vier als Verstärkung den Sänger und Multiinstrumentalisten Daniel Gildenlöw von Pain of Salvation auf die Bühne geholt. Im Studio ist Transatlantic aber ein Quartett geblieben, seit zwanzig Jahren in der selben Besetzung, und nicht immer ohne kreative Differenzen.
Roine Stolt: "Wir sind vier willensstarke Musiker, vor allem Neal, Mike und ich. Pete ist ein sehr sanfter und umsichtiger Mensch, sehr kompromissbereit. Das ist eine super Eigenschaft, wenn man in einer Band ist, gerade wenn die Kollegen so starrköpfig sind. Aber ich glaube so funktionieren die meisten Bands. Bei den Beatles waren das John, Paul und George - und vielleicht manchmal auch Ringo, und so war es auch bei Pink Floyd oder Yes - es gab ständig Diskussionen, und das muss auch so sein. Es zählt, dass am Ende gut Musik rauskommt, und dafür ist ein bisschen Reibung manchmal nötig."
Auch wenn solche Reibung am Ende meistens produktiv ist - manchmal sind die Differenzen so groß, dass ein Kompromiss unmöglich erscheint. So war es auch beim aktuellen Album:
Roine Stolt: "Forevermore" war die ursprüngliche Fassung. An der haben wir die ganze Zeit gearbeitet, und genau so sollte das Album klingen. Und dann, nach mehreren Monaten Arbeit, und zwischendurch Tourneen mit anderen Bands, wurde es Zeit, das Album endlich fertigzustellen. Aber dann kam eines Tages eine Email von Neal: Hey, ich glaube das Album ist viel zu lang. Das müssen wir kürzen..."
Musik: "Heart Like A Whirlwind"
Das neue Transatlantic-Album war so gut wie fertig, aber Neal Morse war plötzlich nicht mehr glücklich damit. Er wollte konnte sich kein Doppelalbum mehr vorstellen, wollte die Hälfte der Songs rausschmeißen, kürzen und oder durch andere ersetzen. Roine Stolt wollte das nicht.
Roine Stolt: "Ich fand das Album aber so gut wie es war. Ich glaube Mike ging es genauso. Pete war sich nicht sicher, für ihne hätte es vielleicht auch etwas kürzer sein können. Wir konnten uns also nicht einigen, was wir damit machen."
Musik: "Overture"
Roine Stolt: "Und dann hatte glaub ich Mike die brilliante Idee, einfach beides zu machen. Neal hatte eine sehr starke Vision, er wollte kürzen und vereinfachen. Und ich fand, wir hätten dann zu viele gute Teile verloren, von denen ich wusste, dass die die Fans sie lieben werden. Das war ja auch das Album, das wir machen wollten. Es hatte einen natürlichen Flow, die Songs haben gut ineinandergegriffen. Und das wollte ich nicht aufs Spiel setzen; ich wollte nicht die Schere anlegen, nur um die Musik zugänglicher zu machen."
Musik: "Swing High, Swing Low"
Roine Stolt: "Und es gab so tolle Stücke wie "Rainbow Sky", das Neal streichen wollte. Ich meine, es ist sein Song, und ich glaube es ist sein Bester auf dem Album, poppig, total erhebend, und einfach wichtig für die Platte. Ich kämpfe für meine Ideen, aber ich will auch für die guten Ideen von Neal kämpfen. Pete hatte auch einen Teil davon geschrieben, und das sollte alles rausfliegen. Deshalb hab ich gesagt, nein, nein, nein, nein! Der Song ist genau da wo er hingehört! Den brauchen wir!"
Musik: "Rainbow Sky"
Mit "The Breath of Life" und dem Doppelalbum "Forevermore" hat Transatlantic zwei gleichberechtigte Versionen des neuen Albums geschaffen. Die kompakte Fassung hat 14 Tracks, die längere, verspieltere hat 18. Zehn davon finden sich auf beiden Alben, allerdings in verschiedenen Versionen - mal länger, mal kürzer, und manchmal mit unterschiedlichen Soli und Texten.
Musik wie aus einem Paralleluniversum
Roine Stolt: "Neal sollte also die kürzere Fassung zusammenstellen, das war seine Version. Und ich war für die längere, die "Forevermore"-Version verantwortlich. Und damit war das Problem gelöst: Wir haben einfach beides gemacht. "
Ein Album wie aus einem Parallel-Universum, in dem die Beach Boys neben "Smiley Smile", auch das Doppelalbum "Smile" aufgenommen haben - und in dem neben dem "White Album" auch eine halb so lange Verson von "The Beatles" existiert - produziert von George Harrison. Tatsächlich haben beide Versionen von "The Absolute Universe" eine ganz eigene Identität. "The Breath of Life" ist rund, stimmig, zugänglich und hat wenig Fett - zumindest für Prog-Verhältnisse. Vergleichbar vielleicht mit "Leftoverture" von Kansas oder "Moving Pictures" von Rush. Die "Forevermore" Fassung dagegen ist eine ausufernde Prog-Odyssee der alten Schule.
Musik: "The World We Used To Know"
Transatlantic, das ist nicht nur ein guter Bandname, sondern auch das passende Adjektiv: Mike Portnoy und Neal Morse sind Amerikaner, Pete Trewavas ist Brite und Roine Stolt kommt aus Schweden. Für die ersten vier Alben haben Stolt und Trewavas den Atlantik überquert, diesmal allerdings wäre die Einreise nach Amerika mit zu großen Schwierigkeiten verbunden gewesen - und die hatten nichts mit der Pandemie zu tun.
Roine Stolt: "In den letzten paar Jahren ist es zunehmend schwierig geworden, ein Visum zu bekommen. Man kann sich darum bewerben, aber es gibt absolut keine Garantie und es kostet Geld. Deshalb hab ich ziemlich früh gesagt, dass es für Pete und mich ein Problem sein könnte, nach Amerika zu kommen. Und Pete wollte auch nicht zukünftige Visa aufs Spiel setzen - wenn man nämlich einmal abgelehnt wurde, ist das ein großes Problem. Das steht dann in den Akten, er wurde abgelehnt. Und er will ja irgendwann wieder mit Marillion auf Tour gehen. Deshalb hab ich vorgeschlagen, das Album in Europa aufzunehmen, aber das hat erstmal niemand ernst genommen. Erst nach einer Weile ist es eingesickert, wie ernst die Situation ist und dass die Einreise nach Amerika schwierig ist. Ich meine das klingt verrückt - wir sind ja keine Terroristen; wir wollen nur mit ein paar Freunden Musik schreiben."
Am Ende haben sich die Vier auf ein Studio in Schweden geeinigt, das erste Mal diesseits des Atlantik. Die längere, entspanntere Studiozeit hat sich bemerkbar gemacht: Der Aufbau der beiden grundverschiedenen Alben ist sehr stimmig, und die Leitmotive, die sich durch die gesamte Suite ziehen, sind diesmal besonders effektiv eingesetzt. Ob mit der Wucht der ganzen Band oder einfach mit einer akustischen Gitarre.
Musik: "Love Made a Way (Prelude)"
Die Musik von Transatlantic ist so komplex; es erscheint fast wie Zauberei, dass sie in so kurzer Zeit entsteht. Die Erklärung ist allerdings ziemlich banal - vieles ist schon geschrieben, wenn sich die Band das erste Mal trifft. Vorher schicken die Musiker ihre Demos hin und her.
Aus Versehen Episch
Roine Stolt: "Ich hatte schon viel Musik, Neal hatte schon viel Musik und Pete hatte auch eine ganze Menge. Aber am ersten Tag im Studio ging es erst mal darum, dass die Instrumente alle richtig verkabelt waren. Und dann sagte Neal sowas wie, ich habe hier noch ein kleines Klavierstück, das mir heute Morgen eingefallen ist. Plötzlich gab es also wieder Musik, die noch niemand gehört hatte. Ich weiß nicht, ob das wirklich auf dem Album gelandet ist, aber es ist typisch für unseren spontanen Arbeitsprozess. Nichts ist in Stein gemeißelt, wir sind offen für Einfälle, wir arbeiten an einem Song, ohne zu wissen, wo das hinführt. Wir haben nicht gesagt, "lasst uns zehn Songs aufnehmen". Wir arbeiten an etwas, dann gucken wir ob es uns gefällt, wir nehmen es auf und weiter gehts. Und vielleicht sage ich sowas wie, ich hab da eine schöne Passage auf Petes Demo gehört, können wir die vielleicht als Chorus verwenden?"
Mellotrons, mehrstimmiger Gesang, sphärische Gitarren und Stücke, die zu lang für eine Schallplattenseite sind; mit dem ersten Album hat Transatlantic vor mehr als 20 Jahren ein Zeichen gesetzt und seitdem die Messlatte immer weiter nach oben verschoben: "The Whirlwind" von 2009 ist eine einzige, fast 80 Minuten lange Suite und "The Absolute Universe" sind gleich zwei davon - drei, wenn man die Blu-ray-Fassung mitzählt, die noch länger ist als das epische "Forevermore" und Tracks aus beiden Versionen enthält. Für "Islands", das aktuelle Album seiner Band The Flower Kings, hat Roine Stolt 21 kurze Songs geschrieben und aufgenommen; bei Transatlantic wäre das schwer vorstellbar.
Roine Stolt: "Ich glaube es gibt schon fast die Erwartung, dass wir mit Transatlantic die - wie Mike es nennt - Epos-Könige sind. Wir nehmen viele lange Songs auf, ich weiß, dass eine Menge Fans das lieben und ich kanns gut verstehen. Inzwischen erwarten die Leute auch einfach, dass wir etwas Monumentales machen. Mir persönlich ist das eher egal."
So sehr Neal Morse, Roine Stolt, Pete Trewavas und Mike Portnoy mit ihren Epen dem Prog der 70er verhaftet sind - auch nach mehr als zwei Jahrzehnten ist Transatlantic kein Nostalgie-Akt. Das neue Album "The Absolute Universe" zitiert zwar fröhlich die Vergangenheit, blickt aber dabei in die Zukunft - mit moderner Produktion und einem revolutionären "was wäre wenn" - Ansatz, der dem Konzeptalbum-Format eine Adrenalinspritze verpasst. Seit dem ersten Album vor 22 Jahren ist einiges passiert: Mike Portnoy trommelt nicht mehr für Dream Theater. Neal Morse hat Gott gefunden und Spock's Beard verlassen, aber ein bisschen vom Spocks Beard-Sound bei Transatlantic eingeschmuggelt. Das futuristische Mutterschiff, das die meisten Cover von Transatlantic schmückt, fliegt dagegen unbeirrt weiter. Wohin genau? Das wird unterwegs entschieden.
Roine Stolt: "Als wir im September 2019 mit den Aufnahmen zum neuen Album angefangen haben, hat niemand gesagt, lasst uns diesmal ein noch größeres Epos machen. Wir haben das nicht abgesprochen. Es ist einfach passiert."
Musik: "Set us Free"