Sie kommen mit Mütze und Schal von der Arbeit angehetzt, an diesem dunklen und kalten Abend in Berlin: 17 Hertha-Fans zwischen 18 und 65 treffen sich im "Haus der Fußballkulturen". Ihr Ziel: Einem vergessen Opfer des NS-Terrors seine Geschichte zurück zu geben: Eljasz Kaszke, Hertha-Fan wie sie, jüdischen Glaubens, 1940 im KZ ermordet.
"Also am Ende, finde ich, hat jeder, der im Dritten Reich zu Tode gekommen ist, es verdient, dass man sich mit ihm beschäftigt, seinen Namen zurückzubekommen und im Idealfall natürlich auch ein Foto."
"Bei mir ist tatsächlich das Interesse zum einen dadurch, dass ich Fußballfan bin, ich bin Fan von Hertha BSC, und zum anderen aufgrund des wachsenden Antisemitismus in Deutschland aktuell habe ich mir gesagt: Man sollte gerade die Zeit in Deutschland beleuchten, um einfach auch mal aufzuzeigen, was damals tatsächlich passiert ist."
Frustrierend langwierige Anfragen in Archiven
Die Fanbetreuung von Hertha BSC, das Fanprojekt Berlin und die Gedenkstätte Sachsenhausen haben das Projekt Kaszke gemeinsam ins Leben gerufen. Es begann mit einem Workshop in der Gedenkstätte, um die historischen Grundlagen der Judenverfolgung zu vermitteln.
"Und dann sind die Teilnehmerinnen und Teilnehmer alleine losgezogen, haben ganz viele Archive angefragt, Bücher gewälzt, diverse Leute genervt und haben schon ganz viel rausgefunden."
Sagt Katja Anders von der Gedenkstätte Sachsenhausen. Die Fußballfans mussten erleben, wie frustrierend langwierig Anfragen in unterbesetzten Archiven sein können. Sie hatten aber auch beflügelnde Erfolgserlebnisse:
"Wir waren im Landesarchiv und hatten tatsächlich auch die Entschädigungsakte von der Witwe von Kaszke. Das war dann in 100 Seiten ein unglaublicher Überblick."
Geschichte wird lebendig
Robert Daniels ist Hertha-Fan und Student der Psychologie. Die Schnittstelle zwischen Sport, Geschichte und Politik werde in der Forschung viel zu selten bedacht, meint er. Andere Mitstreiter fasziniert die Detektivarbeit, die einem vergessenen NS-Opfer wieder ein Gesicht verleiht.
"In der Gruppe sind wahnsinnig viele Informationen zusammengekommen. Wir haben auch ein Bild von ihm gefunden, was dann natürlich auch irgendwie ein schöner Meilenstein in der ganzen Sache ist. Geschichte wird so lebendig."
Die Fußballfans wissen jetzt, dass Kaszke in Warschau geboren wurde, in Berlin als Kaufmann wohl recht erfolgreich war, weil er sich ein Auto leisten konnte. Dass er kinderlos war, als er in Sachsenhausen ermordet wurde. Hilfreich war auch das Hertha-Archiv, sagt die zuständige Historikerin Juliane Röleke.
"Die Mitgliedskartei und die Mitgliedsbücher von 1919 bis 1954, da sind dann eben die Namen verzeichnet, Eintrittsdaten. Man kann Adressen nachvollziehen und das waren wichtige Ausgangsdaten, um dann weiter zu schauen."
Die düsteren Seiten der Geschichte des Fußballs zeigen
Hertha BSC unterstütze solche Projekte, auch Gedenkstättenfahrten nach Auschwitz würden mitfinanziert, sagt Hertha-Archivarin Röleke.
"Grundlegendes Ziel des Vereins ist es, Fans anzusprechen, die ein gewisses Interesse mitbringen an historischen, politischen Themen, die auch miteinander ins Gespräch zu bringen und immer wieder Bildungsangebote zu schaffen, wo sich diese Menschen begegnen, die sonst vor allem über das Thema Hertha BSC verbunden sind."
Die von den Fans rekonstruierte Biografie von Eljas Kaszke soll im April öffentlich präsentiert werden. Das Material wird dann der Gedenkstätte Sachsenhausen zur Verfügung stehen, aber auch im Hertha-Archiv anderen Fans zugänglich sein. Denn die Liebe zum Verein dürfe nicht den Blick auf die düsteren Seiten der Geschichte des Fußballs in Deutschland verstellen, meint Hertha-Fan Rolf, der seinen Nachnamen nicht nennen will:
"Ein Verein, der so alt wie Hertha BSC ist, 1892 gegründet, über 125 Jahre alt, da ist einiges an Geschichte - und da sollte man auf jeden Fall auch beleuchten, was in der Vereinszeit alles passiert ist und wie verschiedene Epochen sich auf das Vereinsleben ausgewirkt haben."
Ejias Kaszke, soviel wissen sie jetzt, wurde 1938 aus dem Verein ausgeschlossen. Zwei Jahre später starb er im KZ Sachsenhausen. Seine Urne ruht auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin Weißensee.