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Projekt "Rent a Jew"
Das Judentum besser kennenlernen

Wohnungen kann man mieten, Autos auch - und seit kurzem auch einen Juden. Das Internetportal "Rent a Jew" vermittelt Referenten an Nicht-Juden, um so einen authentischen Einblick in das Judentum zu gewähren. Mit ihrem Namen möchte die Gruppe zeigen, dass ihre Mitglieder durchaus Sinn für Humor haben.

Von Gesine Kühne | 18.11.2016
    Ein Mann mit Kippa geht durch die Stadt
    "Direkter Kontakt ist das, was am meisten bewirkt", sagt der Koordinator von "Rent A Jew" Alexander Rasumny (Rent A Jew)
    "Rent A Jew": Meine Entdeckung auf Facebook bringt mich auf die Seite der "Europäischen Janusz Korczak Akademie e.V.", eine Bildungsstätte mit Häusern in München, Duisburg und Berlin - und kurz danach schon zu dem Mann, der "Rent A Jew" koordiniert. Alexander Rasumny empfängt mich in den hellen Räumen des jüdischen und interkulturellen Bildungsvereins.
    "Rent A Jew" ist eine Initiative, die ehrenamtlich von einigen jungen jüdischen Interessierten gegründet wurde und direkten Kontakt mit jüdischen Personen vermitteln möchte. Wir möchten Begegnungsängste abbauen und ein bisschen mehr über das Judentum informieren."
    Judentum jenseits von Holocaust und Israel
    Das Portal wurde vor einem Jahr gegründet. Das Ziel: dem interessierten Nichtjuden wird ein Mietjude vermittelt. Eigentlich sollen sich Gruppen melden: Schulklassen, Studentengruppen etc., aber ausnahmsweise darf ich mir als Einzelperson auch einen Juden mieten. Warum aber nur einen Juden mieten - anstatt zum Beispiel in die Synagoge zu gehen?
    Eine Frau hält ein jüdisches Gebetbuch in die Kamera.
    Das Projekt "Rent A Jew" möchte Nicht-Juden Einblick in jüdisches Leben in Deutschland geben (Rent a jew)
    "Problem Nummer eins: Judentum und Juden werden in den Medien reduziert auf zwei Themen, nämlich Israel und Holocaust. Aber es gibt ein Judentum, das hier ist und lebt und auch Bedürfnisse hat. Das zweite Problem ist: Es ist schwierig mit jüdischen Themen in die Medien zu kommen. Direkter Kontakt ist das, was immer noch am meisten bewirkt, das, was am meisten persönlich in einem Menschen verändert, so ist diese Idee entstanden."
    Dienstagnachmittag. Es ist ein kalter und grauer Tag in Berlin. Ich treffe heute mein Mietobjekt. Sein Name ist Till Beckmann, 36 Jahre alt. Unser Treffpunkt: "KosherLife" - ein jüdischer Supermarkt in Mitte.
    Abführmittel und Zinkzäpfchen
    "Du gehst in koscheren Supermärkten einkaufen?" - "Mitunter ja, wobei, es ist gar nicht mal so schwer, auch koschere Lebensmittel in einem ganz regulären Supermarkt zu finden. Ob der Tatsache, dass die orthodoxe Rabbiner-Konferenz jährlich eine Liste herausgibt mit allen möglichen Produkten, die in einem ganz normalen Geschäft koscher sind. Vom Abführmittel bis zum Zinkzäpfchen ist es kein Problem, über die Runden zu kommen. Wie du siehst, klappt bei mir ganz gut."
    Ähnlich wie die Veganer hat sich Till in den vergangenen zehn Jahren daran gewöhnt, Zutatenlisten auf den Verpackungen zu lesen. Zehn Jahre? Ja, denn der Mann, der als Workshop-Leiter und Job-Coach arbeitet, ist zum Judentum konvertiert. Und ist ob der Erfahrung, die er immer wieder mit Alltagsrassismus und antisemitischen Vorurteilen macht, Teil von "Rent A Jew". Ein sympathischer Aufklärer, der nicht den Zeigefinger schwingt, sondern meinem Unwissen mit geduldigen und charmanten Erklärungen begegnet.
    "Was bedeutet 'koscher' eigentlich?" - "Es bedeutet nichts anderes als 'erlaubt' - respektive den Vorschriften der Thora entsprechend. Du hast in der Thora bzw. von der Thora abgeleitet Lebensmittelvorschriften, wie zum Beispiel, dass Fleisch geschächtet sein muss, also komplett blutleer sein soll, es darf nur von bestimmten Tieren sein, es dürfen Milch und Fleisch nicht zusammen sein, es muss also immer getrennt sein. Wein muss koscher gekeltert sein und zehn Prozent müssen abgegeben werden für karikative Zwecke, für Menschen, die sich keinen Wein zum Schabbes leisten können."
    Soja statt Milch
    Klar, habe ich das mit dem Fleisch und der Milch schon mal gehört, mit Till im Schlepptau fällt mir aber zum ersten Mal auf, dass die Eiscreme - aus Milch bestehend - in einer separaten Kühltruhe aufbewahrt wird - zwar neben der Käsetiefkühlpizza, aber getrennt vom Geflügel. Ich lerne, dass es koschere Milch gibt, das ist Milch von Kühen, die so gehalten werden, dass auf gar keinen Fall irgendwelche Insekten mit der Milch in Berührung kommen.
    "Erklärt das auch, warum hier so viele Soja-Produkte rumstehen und keine richtigen, echten Milchprodukte?" - "Ja, das hat noch einen anderen Grund, Soja, also alles Pflanzliche ist erst einmal parve. 'Parve' bedeutet, dass du es sowohl zu Milch als auch zu Fleisch essen kannst. Nun gibt es natürlich die Menschen, die ganz gern nach einem leckeren Steak vielleicht noch einen Kaffee haben wollen mit etwas Creme drin oder irgendeine nette Nachspeise. Da ist Milch erst mal scheiße, denn du musst eine Weile lang warten bis du dann wieder milchig essen dürftest nach einem fleischigen Mahl und deshalb gibt es Sojaprodukte ..."
    Till Beckmann erzählt mir, dass manche jüdische Familien zwei Kühlschränke haben: einen für Fleisch und einen für Milchprodukte. Er allerdings verpackt die zwei, die nicht zusammen gehören, in Plastikdosen, so dass sie nicht in Berührung kommen.
    Miet-Idee mit Humor
    Beckmann erzählt sehr persönlich aus seinem Leben, dass er im Judentum irgendwie hängen geblieben sei, weil es seinem Leben einen Rahmen gibt. Deshalb konvertiert er auch. Er fühlt sich gut aufgehoben, geht samstags immer in die Synagoge.
    Was die Initiative "Rent A Jew" soll - das ist mir schon nach zwanzig Minuten Plauderei mit meinem gemieteten Juden absolut klar.
    "Wir möchten die Möglichkeit geben, sich mit lebendigen Juden auseinanderzusetzen und Fragen zu stellen, sich Juden als etwas Lebendiges vorzustellen, die auch hier Teil der Gesellschaft sind."
    Alexander Rasumny, der Koordinator von "Rent A Jew", erzählt, dass letztlich jede Gruppe sich einen Juden mieten kann. Voraussetzung sei nur, dass wirkliches Interesse besteht. Die Mietgebühr beträgt übrigens null Euro, der Name soll Aufmerksamkeit erregen und natürlich auch vermitteln, dass jüdische Mitglieder unserer Gesellschaft durchaus Sinn für Humor haben.