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Projekt Tame Impala
Bunte Beats zu Konfetti und Laser

Kevin Parker versetzt mit dem Hybrid-Sound seines Projekts Tame Impala weltweit Fans in bunte, süßliche Träume, zudem ist der 34-Jährige Liebling der Pop-Elite und hat u.a. mit Rihanna, Kanye West, Lady Gaga gearbeitet. Jetzt ist sein neues Album erschienen: Was ist das Geheimnis seines Erfolgs?

Von Marcel Anders |
    Tame Impala performt auf dem Northside Festival 2019 im dänischen Aarhus.
    Nach fünf Jahren bringt Tame Impala mit "The Slow Rush" ein neues Album heraus. (Imago / Ritzau Scanpix / Helle Arensbak)
    Hipster-Alarm in Berlin: Kevin Parker empfängt im Soho House. Ein schlaksiger Späthippie mit Vollbart, langem Haar und relaxtem Vibe. Trotz nasskaltem Wetter trägt er T-Shirt, Jeans und Sneaker. Dazu schlürft er Protein-Shakes und empfängt die deutschen Medien mit breitem Grinsen. Schließlich, so sagt er, sei er nur Musiker.
    Musik: "One More Year"
    Kevin Parker: "Ich habe es immer geliebt, Gitarren wie Keyboards klingen zu lassen und Keyboards wie Gitarren. Einfach, um für Verwirrung zu sorgen."
    Jahre für ein Album
    "Für mich ist es wichtig, dass ich mir Zeit lassen kann. Wäre das nicht der Fall, also würde man mich zwingen, ein Album in einem Jahr hinzubekommen, wäre es nicht dasselbe und bestimmt nicht so gut."
    Sein Sound passt in keine Schublade…
    "Ich überlasse es anderen, meinen Sound zu beschreiben und picke mir dann den besten Begriff heraus."
    Den Erfolg von Tame Impala kann er nicht erklären:
    "Ich sehe mich nicht als Messias. Wenn ich so etwas höre, muss ich lachen. Und wisst ihr, wer am meisten darüber lacht? Meine Freunde. Die finden das saukomisch."
    Bei der Live-Umsetzung ist er ein Perfektionist.
    "Auf der Bühne haben wir eine Show, die ständig besser wird. Die sich entwickelt und immer verrückter wirkt."
    Musik: "Lost In Yesterday"
    "Lost In Yesterday" aus "The Slow Rush" dem vierten Album des australischen Ein-Mann-Projekts Tame Impala. Auf diesem Werk befasst sich Mastermind Kevin Parker mit dem Phänomen "Zeit". Ein Thema, mit dem sich der eher unscheinbare Typ mit dem Vollbart und den hippiesken langen Haaren auskennt: Zwischen seinen Veröffentlichungen liegen bis zu fünf Jahre.Für die meisten Menschen eine Ewigkeit, für Parker etwas, das er nicht kontrollieren kann und allein deshalb für faszinierend hält:
    Kevin Parker: "Die Zeit vergeht unglaublich schnell, aber nur, wenn man ihr keine Aufmerksamkeit schenkt. Es hat ein bisschen was davon, als wäre sie die Schildkröte und wir der Hase. Im Grunde sollten wir in der Lage sein, sie ganz locker zu schlagen. Zumal wir so viel davon haben und wir binnen einer Woche so viel erreichen können. Aber dann lassen wir uns ablenken und schon ist eine neue Woche angebrochen. Wohin sind die letzten sieben Tage verschwunden? Es ist, als ob die Zeit rasend schnell verrinnt, ohne dass wir es merken. Nur, wenn wir auf die Uhr starren, bewegt sie sich ganz langsam. Aber irgendwie lassen wir uns immer ablenken und dann vergeht sie wie im Flug. Sie trickst uns also regelrecht aus. Und das halte ich für eine wunderbare Sache."
    Das Thema "Zeit" spielt denn auch in viele Songtitel hinein: "One More Year", "Lost in Yesterday", "It Might Be Time" oder "One More Hour" drehen sich um Nostalgie und Gedanken zur Zukunft, um vergangene Momente, an die sich Parker gerne erinnert, oder die er sich für die Zukunft ausmalt.
    Der Sound verzückt die Massen
    Der 34-Jährige aus der australischen Hafenstadt Fremantle betreibt mit seiner Musik bewusste Realitätsflucht: Er taucht ab in eine musikalische Traumwelt voller Harmonie und Wärme. Darin findet er alles, was ihm die reale Welt nicht bieten kann. Ein Ansatz, den er seit frühester Kindheit verfolgt und der eine therapeutische Wirkung hat. Parker selbst nennt seinen Sound "Epiphany Pop" - Pop, der auf Offenbarungen und Eingebungen basiert:
    "Das ist ein lustiger Begriff, den mein Freund Jay und ich uns eines Tages haben einfallen lassen. Einfach, weil die Musik eine inspirierende Qualität hat. Du hörst einen Akkord und er bringt dich dazu, über das Leben oder die menschliche Existenz nachzudenken. So etwas in der Art. Das Ganze hat eine humorvolle aber auch tiefgründige Komponente. Von daher habe ich "Eingebungs-Pop" für das ultimative musikalische Genre gehalten – und den Begriff auf unserer damaligen MySpace-Seite verwendet. Er ist hängengeblieben."
    Eine nette Beschreibung für einen Hybrid aus Electronica, Retro-Pop und Psychedelia, der mit üblichen Genre-Parametern kaum fassbar ist: Parker mischt tanzbare Beats mit atmosphärischen Synthie-Gemälden und verträumten Melodien. Ein Hauch von Daft Punk, Supertramp und frühen Bee Gees. Darüber legt er einen spacig-entrückten Gesang, der an Stil und Stimme von John Lennon erinnert. Dieser Sound verzückt die Massen: Tame Impala-Stücke werden hunderttausendfach gestreamt. Das können auch gelegentliche Noise-Eruptionen nicht verhindern. Oder sind sie gar dafür verantwortlich, dass man Parker gelegentlich unter Rockmusik ablegen möchte?
    Musik: "One More Hour"
    Investiert Herz und Seele
    Was im Zusammenspiel so tiefenentspannt klingt, entsteht in einem aufwändigen, kräftezerrenden Arbeitsprozess: Parker verschanzt sich über Monate in seinem Studio in Fremantle oder mietet zwischenzeitlich auch mal ein Haus in Paris oder Los Angeles, um dort auf frische Ideen zu kommen. Ansonsten meidet er soziale Kontakte und arbeitet wochenlang täglich von mittags bis 5 Uhr morgens an seinen Song-Ideen. Dabei hat er alle Instrumente im Kreis um sich herum angeordnet, weshalb er von seinem "Flugzeug-Cockpit" spricht. Bei der Produktion macht Parker alles alleine, mischt auch den finalen Sound und geht oft an seine Grenzen: Er ernährt er sich von Rotwein und psychedelischen Pilzen und sei bei jedem Album – so sagt er - kurz davor, verrückt zu werden:
    "Bei der Produktion meiner bisherigen Alben habe ich festgestellt, dass das ein elementarer Bestandteil ist. Ein Indiz dafür, dass ich da Herz und Seele investiere. Und wenn ich je ein Album machen sollte, bei dem ich nicht kurz davor bin, komplett durchzudrehen, dann wäre das ein Zeichen, dass es eben nicht wirklich fertig ist."
    Parker ist ein Perfektionist, der alles tut, um den Sound aus seinem Kopf im Studio hörbar zu machen. Dazu verfremdet er seine Stimme im Computer, lässt Gitarren wie Synthesizer klingen, schichtet Klangschicht auf Klangschicht – und veredelt das Ganze mit honigsüßen Harmonien. Parker tüftelt lange an winzigen Details, die niemandem auffallen außer ihm selbst. Auch ein Grund, warum oft so viel Zeit zwischen zwei Produktionen liegt. Wenn ihm mal nichts einfällt, was selten vorkommt, nutzt einen simplen, aber effektiven Trick: Er schläft einfach mal eine Nacht zu einem Beat oder Loop. "Ich war todmüde, wollte aber unbedingt an dem Song weiterarbeiten. Also habe ich ihn auf Endloswiederholung gestellt und mich im selben Raum schlafen gelegt. Als ich morgens aufwachte, lief er immer noch und plötzlich hatte ich die fehlenden Melodien im Kopf. Insofern scheint der Trick funktioniert zu haben. Vielleicht war es aber auch reiner Zufall, dass ich den Song danach so schnell beendet habe."
    Musik: "Half Full Glass Of Wine"
    The Making of Tame Impala
    Kevin Parker ist schon immer ein Einzelgänger und Multiinstrumentalist, zum Perfektionisten wird er allerdings erst später. Der Sohn einer Südafrikanerin und eines Vaters aus Zimbabwe, die ins australische Perth zogen, verbringt seine Kindheit mit wilden Lo-Fi-Experimenten. Er verwendet das Studio-Equipment seines Vaters, der in einer Coverband Stücke von Supertramp, den Beach Boys und den Beatles spielt. Diese Musik hat großen Einfluss auf den jungen Kevin. In der heimischen Garage versucht er sich als zweiter Brian Wilson und George Martin an Multitracking: Er nimmt sein eigenes Schlagzeug- und Gitarrenspiel mit Gesang auf. Die meisten seiner Texte wirken einsam und verloren. Hier wirkt die Scheidung seiner Eltern nach. Für Parker wird die Musik zur Zuflucht. Er schreibt hunderte Songs, spielt in zig Bands und entwickelt eine Vorliebe für psychedelische Endsechziger-Sounds. Einflüsse, die er auf seine Weise umsetzt, rau und brachial, aber auch betont melodisch. Er verschickt Demos an australische Plattenfirmen und erhält schließlich ein Angebot vom Indie-Label Modular, das er spontan annimmt. Es bewahrt ihn davor, in seinem Astronomie-Studium zu scheitern:
    "Das war keine gute Idee. Obwohl: In Astronomie habe ich zumindest ein bisschen Talent gezeigt, denn das war eines meiner Hobbies. Aber ich habe das Studium geschmissen, als mich die Plattenfirma anrief. Ich hatte noch eine Examensprüfung, für die ich nicht wirklich gelernt hatte, weil ich halt nur noch an die Musik dachte. Ich ging extra langsam zum Prüfungssaal - in der Hoffnung, dass der erlösende Anruf kommen würde. Es waren nur noch wenige Meter bis zu dem Raum, wo ich mein Telefon hätte ausschalten müssen, als es wirklich klingelte. Es war das Label mit einem Angebot. Also drehte ich mich um, stieg in mein Auto, fuhr nach Hause und träumte davon, Rockstar zu werden."
    Das wird er, sogar relativ schnell.
    Musik: "Solitude Is Bliss"
    "Solitude Is Bliss" von "Innerspeaker", dem ersten Album von Tame Impala, das im Mai 2010 erscheint. Ein Überraschungserfolg, der nicht nur die australischen Charts stürmt. Tame Impala servieren einen Mix aus Garagen-Rock, Psychedelia und Krautrock. Die Indie-Welt ist begeistert. Zwei Jahre später folgt "Lonerism". Das Album zeigt eine ganz andere Seite an Kevin Parker, seine Vorliebe für Popmusik. Die wird in Zukunft noch offensichtlicher: Was auf "Innerspeaker" allenfalls marginal zu erahnen ist, tritt hier deutlicher in den Vordergrund. Parker greift auf Einflüsse aus dem 70s-Pop zurück, setzt mehr auf Synthesizer und Sampler statt Gitarren, laboriert mit Ambient-Sounds und ist wesentlich zugänglicher und massenkompatibler. Diese Lust an der Veränderung wird bei Tame Impala zum Teil des Konzepts:
    "Da ist dieser Teil von mir, der gegen alles rebelliert, was mir von außen angetragen wird. Oder von dem ich denke, dass es von mir erwartet wird. Deswegen handhabe ich es seit meiner Kindheit so: Wenn man mir etwas vorschreiben will, tue ich prinzipiell das Gegenteil davon."
    Musik: "Elephant"
    Kevin Parker steht in einem gelb gemustertem Hemd vor einem blauem Himmel.
    Tame Impala inszeniert seine Konzerte als Party-Happenings (Neil Krug)
    "Elephant" aus dem Album "Lonerism" von 2012. Das Werk beschert Tame Impala ein Millionen-Publikum und macht Parker zum Liebling der Kritiker. Dabei drehen sich die Songs vor allem um eine gescheiterte Beziehung und Parkers Gefühl, nicht Teil der hedonistischen Musikwelt zu sein. Partys, Preisverleihungen und das Abhängen mit Kollegen, so erkennt Parker auf der ersten Welttournee, sind nicht sein Ding. Er ist ein Außenseiter, der sich seine Ruhe haben will und an immer neuen Songideen bastelt. Sein erklärtes Ziel mit "Lonerism" ist, wie "eine Mischung aus Britney Spears und Flaming Lips" zu klingen. Oder, Zitat, ein "abgefucktes Album für Kylie Minogue" aufzunehmen.
    Musik: "Endors Toi"
    Seine musikalische Reise setzt Parker 2015 mit dem Album "Currents" fort: Die 13 Songs gehen mehr in Richtung Disco, R&B und Electro-Pop, setzen noch mehr auf synthetische Klänge, aber auf Minimalismus: "Beim zweiten Album war es noch so, dass in jeder einzelnen Sekunde mindestens 400 verschiedene Sachen passierten. Da sind ständig neue Instrumente und Melodien aufgetaucht. Einfach, weil ich das Gefühl hatte, dass ich jeden Winkel des Sounds ausfüllen muss. Aber als ich das Album zwei Jahre später noch einmal gehört habe, fiel mir auf, dass es nicht sonderlich zugänglich war. Insofern wollte ich diesmal etwas, das simpler klingt. Das minimalistischer ist. Denn solche Musik habe ich immer geliebt, weil sie so viel Platz aufweist. Außerdem habe ich das Gefühl, dass Simplizität in der Musik eine schwer zu erreichende Qualität ist - also etwas ganz Besonderes. Und wenn mir da ein toller Song gelingt, ist das wirklich eine Leistung."
    Ein Grammy liegt im Garten
    Allerdings ist Parker zunächst wenig überzeugt von seinem dritten Werk. Kurz vor Veröffentlichung bezeichnet er es als "completely unlistenable". Doch es kommt völlig anders: Es wird das erfolgreichste Album seiner Karriere, mit Gold- und Platin-Auszeichnungen in Australien, England und den USA. Außerdem einer Grammy-Nominierung und einem ARIA Award für das Album des Jahres. Der australische Grammy erhält bei Parker einen Ehrenplatz: Er vergräbt ihn in seinem Garten.
    "Ich weiß nicht mehr genau, was mir in dem Moment durch den Kopf ging, aber meinetwegen kann der Award dort ewig bleiben. Ich habe ihn nicht einmal besonders tief eingebuddelt – vielleicht einen Zentimeter unter der Oberfläche. Und vielleicht findet ihn irgendwann mal der Gärtner. Aber hoffentlich erst, wenn mir das Haus nicht mehr gehört. Ich will, dass er erst in weiter Zukunft entdeckt wird."
    Musik: "Cause I´m A Man"
    "Cause I´m A Man". Der Song steht repräsentativ für den R&B-Vibe von "Currents" – und wird hundertmillionenfach gestreamt. Parker avanciert zum Star der Generation Playlist, weil seine Musik offen für alle erdenklichen Einflüsse ist und den aktuellen Hörgewohnheiten entspricht. Seine Konzerte inszeniert er als Party-Happenings: Die Bühne zieren ein riesiges, freischwebendes Raumschiff, mehr Laser als Rihanna und doppelt so viele Konfetti-Kanonen wie bei Beyoncé. Ein buntes Spektakel zu kunterbuntem Sound:
    "Wer je im Konfettiregen gestanden oder eine richtig tolle Lasershow erlebt hat, weiß, wie toll das ist. Ich bin mir zwar nicht sicher, ob ich damit ewig weitermache, aber im Kontext meiner Musik trägt es schon dazu bei, den Leuten ein Erlebnis zu bescheren, das sie eben nicht jeden Tag haben. Das eine wunderbare visuelle Ergänzung darstellt. Klar, könnte man die Musik auch ohne diese Dinge genießen. Aber wenn sie das Ganze besser machen und dazu beitragen, dass die Leute komplett ausrasten, fahre ich sie gerne auf."
    Musik: "Borderline"
    "Borderline" - eine weitere Kostprobe aus "The Slow Rush". Ein Album, das polarisiert, weil es sich so weit von Parkers Frühwerk entfernt und noch tiefer in die Popmusik eintaucht.
    Ein gefragter Songwriter
    Fans erster Stunde gefällt diese Entwicklung nicht, doch der 34-Jährige erkennt darin nichts Negatives: Für ihn ist es weiter "Epiphany Pop", wenn auch mit neuesten technischen Hilfsmitteln. Der trifft den Geschmack des aktuellen Mainstream-Publikums und ruft die lieben Kollegen auf den Plan: Parker ist inzwischen ein gefragter Songwriter für Lady Gaga, Rihanna oder Mark Ronson. Kevin Parker ist ein Multitalent, das eine interessante Entwicklung durchläuft. Zwar ist er schon sehr erfolgreich, doch vielleicht hat er den Höhepunkt seines Schaffens noch gar nicht erreicht. Wir dürfen gespannt sein, was als nächstes kommt – doch dazu müssen wir wohl ein bisschen Zeit mitbringen.
    Musik: "It Might Be Time To Face It"