Wer sich bei Facebook, in den Kommentarspalten von Nachrichtenseiten oder auf Twitter umschaut, kann schon mal das Gefühl bekommen, dass das Internet kaputt ist; dass es dort zu viel Hass zu lesen gibt; und zwar auch solchen, der nicht durch die Meinungsfreiheit gedeckt ist, der eigentlich strafbar ist. Ein Problem, dem die nordrhein-westfälische Landesanstalt für Medien seit einem Jahr das Projekt "Verfolgen statt nur Löschen" entgegensetzt - aus guten Gründen, meint LfM-Chef Tobias Schmid.
"Wenn Sie sehen, dass über 35 Prozent der Bevölkerung das Empfinden hat, dass es im Netz mehr Hass als Sachinformationen gibt, wenn Sie sehen, dass Medienhäuser wie die Deutsche Welle ihre Kommentarfunktionen abschalten müssen, weil der Hass, weil die Aggressivität dort so stark ist, dass man sich nicht mehr traut, bestimmte Themen zu setzen oder zur Diskussion zu stellen, dann bleibt das Problem in seiner Gefahr für die Demokratie unverändert groß."
Maßnahmen zur Abschreckung - und zur Erziehung
Schmid geht es darum, illegale Hetze nicht einfach nur zu löschen, sondern sie zur Anzeige zu bringen - als Abschreckungsmaßnahme. Denn nur wer erfahre, dass der eigene Facebook-Post zum Beispiel als Volksverhetzung einzustufen ist, der oder die könne daraus auch etwas lernen.
Nach Ansicht der Kölner Staatsanwaltschaft ist genau das im ersten Jahr von "Verfolgen statt nur Löschen" eingetreten. Die Staatsanwaltschaft ist im Projekt dafür zuständig, die Anzeigen der beteiligten Medienpartner zu prüfen, etwa von RTL, dem WDR, der Rheinischen Post, der Deutschen Welle oder dem Kölner Stadtanzeiger.
Oberstaatsanwalt Markus Hartmann, Leiter der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen:
"Da ist einmal die Gruppe der echten Hardcore-Überzeugungstäter, bei denen man mit strafrechtlichen Maßnahmen reagiert, wo man sich von vorne herein nicht sicher sein kann, inwieweit man die mit den strafrechtlichen Maßnahmen auch noch erreicht. Aber da ist die weit größere Gruppe derjenigen, die einfach ihrem Unmut im Netz Ausdruck verliehen haben, die sozusagen mal über die Stränge geschlagen sind. Und da sehen wir sehr wohl, dass man im Rahmen der Ermittlungsverfahren die Leute erreicht. Viele haben sich geständig, einsichtig, reuig gezeigt und haben auch erkennen lassen, dass sie dieses Ermittlungsverfahren zum Anlass nehmen, zukünftig dann doch etwas differenzierter darüber nachzudenken, bevor sie posten."
110 Strafverfahren gegen Online-Hetzer eingeleitet
Die beteiligten Medien erstatteten bisher über 280 Anzeigen, woraus schließlich 110 Strafverfahren in Gang gesetzt wurden. Nach Ansicht der Projektpartner zeigen die Zahlen, dass sich das Problem mit dem digitalen Hass in den Griff bekommen lässt. Und zwar auch deshalb, weil sich die abschreckende Wirkung noch verstärken könnte: wegen der ersten Verurteilungen, die mit dem Anti-Hass-Projekt zusammenhängen.
Darüber werden dann nämlich in den kommenden Monaten auch die beteiligten Medien berichten, wie etwa die Sender der Mediengruppe RTL. Dann wird auch eine weitere Erkenntnis aus dem Projekt in die Berichte einfließen: dass der illegale Hass im Netz nicht von einer bestimmten Gesellschaftsschicht ausgeht, dass er sich durch die gesamte Bevölkerung zieht, egal ob Mann oder Frau, ob West-, Nord-, Süd- oder Ostdeutscher. Das ist wichtig zu wissen, meint Claus Grewenig, Bereichsleiter Medienpolitik bei RTL.
"Weil man dann eben weiß, man muss es eben auch entsprechend breit adressieren, wenn wir selbst in unseren journalistischen Formaten über dieses Thema wieder berichten. Und bis jetzt haben sich von unserem regionalen Programm RTL West über Nachtjournal und n-tv auch die unterschiedlichen Nachrichtenteile unserer Gruppe damit beschäftigt. Und das wird man auch in Zukunft tun, dass man das Thema als Diskussionsthema unabhängig jetzt von einem konkreten Fall weiter am Leben erhalten will, vor allen Dingen um den gesellschaftlichen Dialog da noch eine Stufe weiterzubringen."
Andere Bundesländer nehmen sich ein Beispiel
Aber auch der Dialog zwischen Staatsanwaltschaft und Redaktionen ist wichtig. Denn für die Redaktionen war es bisher schwer, überhaupt eine Anzeige zu stellen, weil es keinen zentralen Ansprechpartner gab. Nun gibt es ein vereinfachtes Verfahren, was auch daran liegt, dass zwei Staatsanwälte in Köln ausschließlich für die gemeldeten Posts und Kommentare zuständig sind. Weil diese Zusammenarbeit im Projekt offensichtlich gut funktioniert, ist "Verfolgen statt nur Löschen" inzwischen auch in anderen Bundesländern im Gespräch, etwa in Thüringen, Rheinland-Pfalz oder Bremen.
Nordrhein-Westfalen arbeitet derweil an einer Weiterentwicklung, sagt Tobias Schmid von der dortigen Landesmedienanstalt.
"Ich glaube, unsere Aufgabe muss es jetzt im nächsten Schritt sein, an diesem Thema weiterzuarbeiten und vor allen Dingen bei den professionellen Journalistinnen und Journalisten zu suchen: Wo können wir ihnen helfen? Wo können wir ihnen Tipps geben, Ratschläge geben? Wo ist es vielleicht auch so, dass wir die Medienunternehmen etwas klarer adressieren müssen und sagen müssen: Wer diesen Bereich demokratischer Kommunikation im Griff behalten will, braucht dafür auch Ressourcen. Das sind Dinge, um die wir uns kümmern müssen. Das heißt: Wie lernen wir oder wie lernen die, die das vor allen Dingen machen müssen, diese demokratische Kommunikationsform aufrechtzuerhalten, ohne sich von Aggressionen in die Ecke drängen zu lassen?"
Dann könne es auch wieder bessere Diskussionen im Netz geben – ohne dass dort der Hass dominiert.