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Projekt Weltverbesserung
Alles ist Vergleich. Vergleich ist alles.

Sich zu vergleichen, heißt es immer, mache doch nur unglücklich. Wenn das mal kein Ablenkungsmanöver ist! Zugegeben ist es alles andere als einfach, sich zu vergleichen.

Von Tina Klopp |
Symbolbild zum Thema Equal Pay Day / Gender Pay Gap / Entgeltgleichheit. Mann und Frau halten unterschiedlich grosse Glaeser gefuellt mit Geldscheinen in den Haenden. Berlin, 14.05.2013. Berlin Deutschland *** Symbol image on the subject of Equal Pay Day Gender Pay Gap Equal pay Men and women hold glasses of different sizes filled with banknotes in their hands Berlin 14 05 2013 Berlin Germany PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY Copyright: xUtexGrabowsky/photothek.netx
Mehr als jeder dritte Arbeitnehmer findet seinen Lohn ungerecht (imago images │photothek)
Dieser Essay ist der erste Teil unserer Reihe „Projekt Weltverbesserung” in „Feature“ und „Essay und Diskurs” im Deutschlandfunk.
Man soll sich nicht vergleichen. Sich mit anderen zu vergleichen macht nur unglücklich, ist eine oft gehörte Binse. Zumal sich ohnehin immer einer findet, der schneller, schöner, reicher ist, kaum einer von uns gehört ja zu den oberen Zehntausend – ganz gleich in welcher Kategorie (von so was wie 'beste Sockenverliererin', 'Steuererklärungzuspätabgeberin' oder 'Urlaubsreisen in Unwetterregionen Buchende' vielleicht abgesehen). Und dieser ganze Wettbewerbsgedanke sei doch ohnehin abzulehnen. Wo kommt er denn überhaupt her, der Wunsch, immer schneller, schöner, reicher sein zu wollen als alle anderen?
Das Christentum erklärte den Neid gar gleich zur Todsünde. Kein Wunder, ging es der Kurie doch in der Regel deutlich besser als dem gemeinen Volk, das nach der Unterweisung in die Zehn Gebote dann auch noch brav seine letzten Groschen für die Kollekte geben sollte.
Tina Klopp, 1976 geboren in Hamburg, promovierte Künstlerin, Redakteurin im Feature des Deutschlandfunks, hat unter anderem als Lektorin und Ghostwriterin gearbeitet, sie schreibt Features, Hörspiele und Zeitungsartikel.

Es ist verpönt, sich in Konkurrenz zu anderen zu stellen
Auf der anderen Seite steht die Geschichte vom Fuchs und den Trauben. Ein Fuchs kommt nicht an die Trauben heran, die oben am Weinstock hängen, und redet sich daraufhin ein, dass sie ihm ohnehin nicht geschmeckt hätten, - bestimmt sind sie sauer. Die Fabel ist mehr als 2.000 Jahre alt. Der Verdacht: Auch die Anti-Wettbewerbsargumentation könnte so eine alte Geschichte, so ein alter Zopf sein, ein menschengemachtes Märchen in diesem Fall, mindestens zum Zwecke der Selbstberuhigung. Eine zutiefst menschliche Strategie ist es, sich das schlecht zu reden, was man ohnehin nicht haben kann. Aber nur weil diese Strategie schon so lange existiert, muss sie noch nicht gut sein, zumindest nicht für alle. Vielleicht wird diese Geschichte von den sauren Trauben auch absichtlich verbreitet, mit dem Ziel, möglichst viele Menschen davon abzuhalten, sich nach den Trauben zu strecken. Ein Ablenkungsmanöver im Sinne der Leiterbesitzer zum Beispiel, die sich die begrenzte Zahl an sonnennahen Trauben dann unter sich aufteilen. Wie gut für die Privilegierten, dass wir Füchse die Geschichte längst verinnerlicht haben. Und uns die Beute schon ausreden, bevor sie für uns in Frage kommt. Eine PR-Agentur im Auftrag der Leiterbesitzenden hätte es sich kaum besser ausdenken können.
Auch die meisten Kritiker des Kapitalismus stören sich am permanenten Wettbewerb, am Kampf aller gegen alle, dem beständigen Höher, Schneller, Weiter. Aber was genau ist so schlecht am Wettbewerb, der zugespitzten Form des Vergleichs? Denn obgleich es verpönt ist, sich ständig in Konkurrenz zu anderen zu stellen, neidisch und kompetitiv zu sein, herrscht Wettbewerb ja überall, ob privat, politisch oder ökonomisch. Kinder laufen um die Wette, die Senioren-WG misst sich im Doppelkopf, Wissenschaftlerinnen, Romanautoren und Politikerinnen wetteifern um die besten Ideen, Firmen um die besten Produkte. Wettbewerb wird in der Regel mit großem Engagement und theoretisch auch mit großer Freude betrieben. Fußballweltmeisterschaften, private Wetten, Matheolympiaden – zu gucken, wer die oder der Bessere ist, scheint ein sehr menschliches Unterfangen.
Beliebte Vergleichgrößen: Status, Gehalt, Privilegien
Insbesondere im Privaten, im Zwischenmenschlichen, etwa in der Frage nach Status, Gehalt und Privilegien, haftet dem Vergleich ein schlechter Ruf an, Sozialneid gilt als besonders toxisch. Hier ergibt sich ein interessanter Zusammenhang. Denn zum einen weiß man aus Studien, dass es der direkte Vergleich ist, der den Menschen besonders schmerzt, dass man auf Freunde neidischer ist als auf Fremde – das zeigt etwa der Versuch der beide Spieltheoretiker Natalia Jiménez und Ramón Cobo‑Reyes von der Universität Granada: Zwei Freunde oder zwei Fremde sollten mehrmals eine beliebige Menge Geldes nach unterschiedlichen Regeln zwischen sich aufteilen. Überraschenderweise kamen die Fremden zu 100 Prozent über die insgesamt beste Verteilung überein, während das bei nur 60 Prozent der befreundeten Spieler der Fall war. Sie nahmen dabei in Kauf, dass sie selbst weniger Geld erhielten, – Hauptsache, die Freunde gingen nicht mit vollen Taschen nach Hause.
Analog dazu sind die meisten Menschen auf Freunde, die ein paar lumpige 100 Euro mehr im Monat haben, vergleichsweise neidischer als auf schwerreiche Firmen- oder Immobilienbesitzer, die das 10.000‑fache verdienen. Dabei macht Neid einen guten Sozialisten. Wer sich eingesteht, dass er sich an einer unfairen Verteilung stört, denkt auch eher über Alternativen zum bestehenden System nach.
Auf jeden Fall scheint es als Werkzeug der Erkenntnis unverzichtbar, sich mit anderen zu vergleichen. Die Frage ist: Welche Maßstäbe sollte man denn sonst anlegen, wenn nicht eine Orientierung an den anderen? Was ein Mensch können oder lassen sollte, ist ja keine absolute Wahrheit, das fällt ja nicht vom Himmel. In einer sozialen Gemeinschaft macht es Sinn, sich an anderen zu orientieren, womit auf gar keinen Fall gesagt werden soll, dass die Mehrheit immer Recht hat und die Minderheit nicht geschützt, gepflegt und gewertschätzt werden sollte, und schon gar nicht, dass man nicht nach seinen eigenen Werten suchen sollte, im Gegenteil. Aber die anderen bleiben am Ende der Bezugsrahmen, weil es sonst eben keinen anderen Rahmen geben kann, höchstens vielleicht so etwas wie einen Idealzustand. Es ist schlicht menschenfreundlich, sich an anderen Menschen zu orientieren und daher völlig zu unrecht verpönt. Was sollte wichtiger sein als Mitmenschlichkeit, worum sonst sollte es im Leben gehen?
Permanentes Korrektiv
Der Vergleich ist allerdings mehr als Verortung, mehr als eine persönliche Orientierung zum Zwecke der Selbsteinordnung, der Vergleich ist Ansporn und vor allem ein permanentes Korrektiv, ein Richtmaß für die Verteilung von Ressourcen, Bequemlichkeiten und Befugnissen in unserer Gesellschaft.
Eine Gesellschaft könnte Jobs und Chancen auch nach dem Zufallsprinzip vergeben oder alle gleichmäßig bedenken, aber das würde sich zum einen nicht sehr selbstbestimmt und zum anderen keinesfalls gerecht anfühlen. Vor allem aber wäre es grob fahrlässig – spätestens, wenn es darum geht, wer am Steuer eines Flugzeugs sitzt, die Amtsgeschäfte führt, Brücken baut oder bei der Blinddarm-OP das Skalpell führt. Hier macht es ja über die Maßen Sinn, die Bewerberinnen zu vergleichen und die besten auszuwählen, etwa mit Hilfe von Schulen und Universitäten. Denn die dienen gar nicht primär der Bildung, auch wenn das wichtig und schön ist – sie stellen auch permanente Ausleseprozesse dar, sind der Versuch, die geeignetsten für die Posten und Verantwortungen innerhalb der Gesellschaft zu ermitteln.
Der Mensch hat mindestens drei Grundmotivationen im Leben, die sich teilweise befördern und teilweise widersprechen: Er ist eitel, er ist ängstlich und er ist faul. Oder netter ausgedrückt: Der Mensch will geliebt werden, er will Unsicherheiten vermeiden und er hat es gerne bequem. Davon abgesehen mögen die meisten Menschen starke Gefühle, zumindest solange sie den Grundbedürfnissen etwa nach Sicherheit und Zuwendung nicht dauerhaft widersprechen.
Sich durch Leistung hervortun
Das Streben nach Anerkennung führt dazu, dass der Mensch sich gerne durch Leistungen hervortut, sein Wunsch, gemocht zu werden, treibt ihn außerdem dazu, seine liebenswerten Eigenschaften hervorzuheben. So erklärt sich, warum Menschen Erfinderinnen werden wollen oder Künstler oder Investmentbankerinnen, es erklärt auch, warum sie Kinder bekommen und sich für sie aufopfern, oder warum sie einen gemütlichen PKW gegen einen unbequemen, teuren Sportwagen eintauschen, ihre Wohnzimmer mit endlosen Bücherregalmetern oder überdimensionalen Marken-Flatscreens schmücken – je nachdem, was sie verrückterweise denken, was sie in ihrer persönlichen peer group nach vorne bringt.
Gleichzeitig, und oft gegenläufig dazu, tun Menschen alles dafür, überflüssige Anstrengungen zu vermeiden. Das lässt sich nicht nur an wiederkehrenden Ehestreitigkeiten über Hausarbeit ablesen, – ja, vielleicht ist der Unwille zur Hausarbeit sogar einer der treibenden Faktoren zur fortwährenden Unterdrückung der Frau. Man sieht das auch daran, dass Menschen ständig etwas entwickeln, das ihnen die Arbeit abnimmt: Rolltreppen und Fahrstühle, Autos und Staubsaugerroboter, Wasch- und Geschirrspülmaschinen. Jede dieser Erfindungen birgt zunächst einen enormen Bequemlichkeitsvorteil, Beispiel: Handy. Man muss zum Nachbarn nicht mehr rüberstiefeln und lange im Kuhstall nach ihm suchen, man tippt einfach eine Nummer, wenn man ihn um etwas Milch bitten möchte. Doch der Bequemlichkeitsvorteil währt meist nur kurz. Denn wenn alle Handys haben und alle die dadurch eingesparte Zeit wieder mit etwas anderem füllen, zum Beispiel, um sich einen Anerkennungsvorteil zu verschaffen, ist der Zeitgewinn schnell verdampft und man fühlt sich am Ende noch gestresster, weil nun ständig das Handy klingelt oder weil Haushaltsgeräte heutzutage piepsen, wenn man ihnen nicht schnell genug Beachtung schenkt, oder weil die drei Millisekunden, die man auf den Fahrstuhl wartet, sich am Ende manchmal stressiger anfühlen als die 20 Minuten, die man früher mit Treppensteigen verbracht hätte.
Viel erleben, aber am Ende nichts riskieren
Auch das Streben nach Sicherheit ist ein wichtiger Faktor, führt nicht nur zum mittelalterlichen Burg- und neuzeitlichen Alarmanlagenbau, macht Versicherungen zu einer der reichsten Branchen überhaupt, mit dem Thema Sicherheit lassen sich am Ende sogar Wahlen gewinnen. Selbst Menschen, die von sich behaupten, besonders viel zu leisten im Job und eine hohe Verantwortung zu tragen, gehen oft lieber längerfristige Arbeitsverträge ein oder lassen sich zumindest finanziell für ihr Engagement so entschädigen, dass sie nach einem – in ihrem Fall meist unwahrscheinlichen – Jobverlust trotzdem weiter auf großem Fuß leben könnten. Ein weiteres Beispiel für die große Bedeutung, die Angstvermeidung für den Menschen spielt, ist die Institution der Ehe, denn – wenn man romantische Ideen einmal außer Acht lässt – ist sie nicht zuletzt dem Wunsch geschuldet, eine verlässliche, langfristige Beziehung einzugehen und nicht jeden Tag aufs Neue fürchten zu müssen, dass der/die Geliebte einen alsbald für eine bessere Partie zurücklässt. Menschen mögen zwar große Gefühle, aber am liebsten kontrolliert. Das erklärt Phänomene wie Extremsport, Tourismus, Seitensprünge und Horrorfilme. Viel erleben, aber am Ende doch nichts riskieren.
Allerdings haben es nicht alle Menschen gleich sicher, gleich aufregend, gleich bequem in ihrem Leben, und schon gar nicht erhalten alle gleich viel positives Feedback für ihre täglichen Heldentaten. Der Supermarktkassierer arbeitet sehr viel für vergleichsweise wenig Geld. Er muss seine kleine, dunkle Wohnung alleine putzen und bekommt wenig Anerkennung für seine Leistung etwa im Ertragen eines monotonen Scannerpieptons oder selbstgerechter Kunden. Wenn in seinem Leben etwas Größeres kaputt geht oder er krank wird, steht schnell die Existenz auf dem Spiel. Er schläft schlecht, wenn größere Ausgaben anstehen, wenn nicht sowieso, weil er an einer lauten Straße wohnt, um seine Gesundheit ist es statistisch gesehen ohnehin schlechter gestellt, auch wenn solche Daten nicht allzu detailliert erhoben werden, um den sozialen Frieden nicht zu gefährden.
Vergleich Kassierer und Kunsterbin
Die reiche Erbin, Privatière und Kunstmäzenin hat für alles einen Bediensteten, putzt ihre riesigen Domizile an den hübschesten Flecken der Erde selbstverständlich niemals selbst, sie bekommt viel Ankerkennung für ihren erlesenen Geschmack, der sich auf dem Kunstmarkt praktischerweise immer wieder selbst bestätigt, weil alles, was sie kauft, inzwischen automatisch im Wert steigt, – was ihr dennoch ein Gefühl von Klugheit und Bedeutsamkeit verschafft, bestenfalls sogar die Chance auf Nachruhm und publizistisches Interesse, außerdem Zugang zu allerhand interessanten Menschen. Auch sie hat Ängste, aber die sind weit weniger existentiell.
Fest steht: Kassierer und Kunsterbin leben vermutlich beide nur einmal, beide sind als Menschen, weit davon entfernt gleich zu sein, dennoch gleich viel Wert. Es geht nicht darum zu beurteilen, wer von beiden am Ende glücklicher ist, – zu Recht ist es nur "the pursuit of happiness", also das Streben nach Glück, das es zu beurteilen gilt, nicht aber der biochemische Zustand des Glücks an sich, den zu messen ohnehin unmöglich ist – und wenn, dann gehörte das ins Feld der Psychologie – während sich über die gleichen Möglichkeiten, dem Glück einen Platz in seinem Leben einzuräumen, tatsächlich streiten lässt, und zwar aus gesellschaftlicher und gerechtigkeitstheoretischer Sicht.
Test, Bewerbung, Auswahl - der permanenter Vergleich
So versucht unsere Gesellschaft die Frage nach dem Erfolg in der Glückssuche in der Regel mit Hilfe des Wettbewerbs zu lösen, in der Schule zum Beispiel durch die Empfehlung für das weiterführende Gymnasium, durch Abitur- und Examensnoten und generell mit Hilfe von Tests, Bewerbungsgesprächen und Auswahlverfahren, ein permanenter Vergleich also – oder eben mit Hilfe des Marktes, auf dem sich der Gründer oder Erbe einer Firma beweisen muss, wobei über den Nutzen der Produkte oder Dienstleistungen noch nichts gesagt ist, man kann auch sehr erfolgreich sein, wenn man Langstreckenraketen herstellt oder Zigaretten oder Asbest oder SUVs.
Großen Erfolg kann man auch haben, wenn man sein Geschäftsmodell auf die Schwachstellen politischer Regelungen und Gesetze ausrichtet, im schlimmsten Fall, wie die Cum-Ex-Geschäfte, wenn man Millionen damit verdient, dass man sich auf Lücken im System stürzt, in diesem Fall, dass man sich im großen Stil Steuern erstatten lässt, die man nie gezahlt hat.
Die aktuellen Instanzen regeln die Job- und Privilegienvergabe nicht besonders gut, es gibt zahllose Tricks und Möglichkeiten, sich an ihnen vorbeizumogeln. Dennoch – was wäre die Alternative?
Immerhin sagt sogar der bekannte linke Philosoph Slavoj Žižek, ihm sei zur Verteilung von Ressourcen und Posten bislang leider auch noch kein besserer Mechanismus eingefallen als der Markt, und das heißt sicherlich nicht, dass er über diese Tatsache sonderlich erbaut wäre. Aber solange kein besserer Mechanismus gefunden ist, sollte zumindest alles dafür getan werden, dass er greift, so gut wie eben möglich. Dazu sind die Politik, die Justiz und im gewissen Maße auch die Medien da, letztlich also wir alle, als Mitglieder dieser Gesellschaft, in unserer Position nicht nur als Journalistinnen, Politiker oder Richterinnen, sondern schlicht als aktive Bürger. Und alle sollten ein Interesse daran haben, dass die Mechanismen zur Leistungsprüfung permanent überprüft und verbessert werden.
Wie nützlich, erfolgreich, fleißig ist jemand?
Wer denkt, dass es viel zu aufwendig wäre, zu beurteilen, wie nützlich und erfolgreich und fleißig jemand tatsächlich ist, dass der Vergleich eines viel zu hohen Maßes an Regulierung und Eingriff bedürfte, sollte bedenken: Genau das passiert ja schon die ganze Zeit. Ständig werden Ressourcen von den einen genommen, etwa in Form von Steuern, Mieten, Gebühren, Preisen, Verordnungen und zu anderen geschoben, in Form von Subventionen, Dividenden, Gewinnen und Einflussmöglichkeiten. Und genauso in die Irre führt der Einwand, dass es ja jedem frei stünde, den gleichen Weg zu wählen und gleichermaßen Erfolg zu haben, etwa als Erbin und Kunstmäzenin, - denn das würde zumindest Chancengleichheit und ähnliche Startmöglichkeiten voraussetzen, die existieren aber genauso wenig wie es einen neutralen Markt gibt.
Es ist zwar umstritten, in welchem Maße man Intelligenz messen kann, aber zumindest kann man die Ergebnisse der Messungen am Ende vergleichen. Und während es so scheint, als wären gute Intelligenzwerte eher gleich verteilt innerhalb der Gesellschaft, also über alle Milieus hinweg, sind es die attraktiveren Lebenswege keineswegs. Die ballen sich auffällig bei denen, deren Eltern es auch schon besser hatten.
Das Hauptproblem an der Leistungsgesellschaft ist, dass Leistung so schwer zu messen und der vermeintliche Erfolg oft nur konstruiert ist, der Markt als Argument nur vorgeschoben, um sich mit gutem Gewissen das größte Stück vom Kuchen einzupacken. Dass zum Beispiel die Kunstmäzenin gar nicht in dem Maße fleißiger, cleverer und nützlicher für die Gesellschaft ist als der Supermarktkassierer, dass ihr ein Leben in nicht nur 100‑facher, sondern etwa 10.000‑facher Komfortabilität gar nicht zustände.
Glühende Anhänger des Wettbewerbsgedankens
Die Autoindustrie etwa würde wohl niemals in Verdacht geraten, mit staatslenkerischen Alternativen zu liebäugeln, streicht aber gerne Staatshilfen und steuerliche Begünstigungen ein, auch wenn die mit marktwirtschaftlichem Verdienst wenig zu tun haben, eher mit guter Lobbyarbeit oder schlimmer noch: selbstverschuldeter Krise. So gibt es insgesamt viele glühende Anhänger des Wettbewerbsgedankens, die sich ihm selbst eher ungern aussetzen und die ersten sind, die für ihre Branche Steuererleichterungen, Subventionen oder Sicherheiten verlangen. Gar nicht erst zu sprechen von Preisabsprachen und Kartellen, oder dem Versuch, die Konkurrenz durch Dumpingpreise auszuschalten oder Monopole zu schaffen, letztere genießen derzeit nicht zuletzt Unternehmen wie google oder Facebook in vollen Zügen.
Wenn da keiner so genau hinguckt und keiner sich vergleicht, bedient sich am Ende der, der die bessere Konstruktion zu bieten hat, der besser bei der Steuer tricksen kann oder das üblere Produkt vertreibt – oder der mehr Geld für einen think tank ausgibt, um seine Weltsicht zu verbreiten.
Der Verdacht liegt nahe, dass es eher im Interesse der Reichen und Mächtigen liegt, die Geringschätzung des Vergleichs als gesellschaftliche Tugend zu lobpreisen und den Neid als Todsünde zu geißeln, und es an uns, den Machtlosen und Schlecht- bis Normalgutverdienern läge, sich die Situation nicht weiter schön zu reden.
Viele Menschen denken etwa, es würde mit Kündigung bestraft, wer den Kollegen das eigene Gehalt offenbart. Das stimmt natürlich nicht. Selbst wenn es eine Verschwiegenheitsklausel dazu im Arbeitsvertrag gibt, ist diese in der Regel unwirksam. Die Sorge der Geldgeber beziehungsweise derer, die mehr verdienen als andere, ist natürlich berechtigt. Denn die Frustration, die bei denen auftritt, die weniger verdienen, ist groß. Und wenn es schon nicht gelingt, alle mit einem geringen Gehalt abzuspeisen, so sollen doch wenigsten die, die mehr kriegen, darüber schweigen. So sichert man sich Gefolgschaft.
Gehaltsunterschiede machen krank
Allerdings machen Gehaltsunterschiede krank: Von wegen Managerkrankheit Herzinfarkt, – es sind eher die, die schlechter verdienen, die an Herzkrankheiten leiden. Wer sich unfair bezahlt fühlt, hat der Ökonom Armin Falk in einer Studie herausgefunden, bei dem steigt die Wahrscheinlichkeit einer Herzerkrankung um ein Drittel. Und immerhin mehr als jeder dritte Arbeitnehmer findet seinen Lohn ungerecht. Das Institut zur Zukunft der Arbeit ermittelte gar, dass wer sich ungerecht bezahlt fühlt, gesundheitlich um rund zehn Jahre altert.
Dass Ungleichheit besonders unglücklich macht, hat auch Hilke Brockmann von der Bremer Jacobs Universität untersucht. So macht mehr Wohlstand in der Regel zwar glücklicher. Aber wenn etwa in der chinesischen Gesellschaft, Brockmanns Untersuchungsgegenstand, vom wirtschaftlichen Aufschwung alle, aber einige sehr deutlich mehr profitieren, wächst im Gegenteil mit dem Wohlstand auch die Unzufriedenheit. Alles ist Vergleich, Vergleich ist alles.
Sich zu vergleichen heißt übrigens nicht, dass man dafür unbedingt immer jemanden braucht, dem es schlechter geht. Ohnehin ist bei vielen das falsche Bild verankert, dass immer einer dafür bezahlen muss, damit es einem selbst besser geht. Gesamtgesellschaftlich macht dieses Denkmuster aber keinen Sinn. Einer Firma, die niedrigere Löhne zahlt als andere, mag das individuell einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Insgesamt würden aber alle Firmen profitieren, wenn sie mehr Lohn zahlten, weil die Arbeitnehmer dann auch mehr Geld für die Produkte der anderen hätten. Wie die Exportquote der deutschen Industrie zeigt, hängt auch der westliche Wohlstand vor allem vom steigenden Wohl der Entwicklungs- und Schwellenländer ab, und nicht von deren weiterer Ausbeutung.
Der Mensch möchte mithalten können
Eigentlich ja ein optimistischer Blick auf die Welt, allerdings lässt er die Ausbeutung der Natur außer Acht und ist noch in der Steigerungslogik beständig wachsender Nachfrage gefangen. Eine Utopie würde erst daraus, wenn endlich alle mit weniger auskämen – denn das Glück hängt ja wie gesagt nicht vom permanenten Mehr ab, sondern davon, wie gut man abschneidet beim Vergleich.
So ist das Maß an Sicherheit und Bequemlichkeit auch in der westlichen Welt in der Vergangenheit stark gestiegen – eigentlich müsste es uns um ein Vielfaches besser gehen als den Menschen, die in den Zwanzigern des vergangenen Jahrhunderts gelebt haben. Tut es aber nicht. Denn das Maß, an dem wir uns messen, ist eben nicht der Mensch von 1920 und es sind schon gar nicht die über zwei Milliarden Menschen auf der Welt, die bis heute keinen Zugang zu Toiletten und Duschen haben, sondern es sind die Menschen in unserer Nähe, besonders also unsere Nachbarn, Kollegen, Familienangehörigen und Freunde. Es gibt kein absolutes Wohlstandsglück, über den weitaus größeren Teil der Geschichte konnten Menschen auch ohne Handy und Hubschrauber auskommen, es ist eher das Gefühl von aktueller Benachteiligung, von mangelnder Teilhabe an der jetzigen Gesellschaft, das für soziales Unglück sorgt. Das ist mehr als menschlich, der Mensch möchte schließlich mithalten können und dazu gehören.
Wie kann man Leistung bewerten? Nach welchen Kriterien sollen zum Beispiel Jobs entlohnt werden? Müssen nicht besonders langweilige, eintönige Jobs ohne Aufstiegschancen und Verantwortung auch viel besser bezahlt werden als etwa die vergnüglichen Selbstverwirklicherjobs, um ein Beispiel zu nennen, in der Kulturbranche? Sollte man für Jobs, in denen man über andere bestimmen darf, nicht eher weniger Geld bekommen, als für die, die permanenten Gehorsam erfordern? Weil das Bestimmen an sich schon so viel Spaß macht, dass es dafür nicht auch noch mehr Gehalt bräuchte? Führungskräfte führen hier gerne die "Verantwortung" ins Feld, die tragen Kindergärtner und Kindergärtnerinnen allerdings auch. Und sollten nicht Jobs von großer gesellschaftlicher Tragweite, sollten nicht Lehrerinnen oder Politikerinnen zum Beispiel, noch viel, viel besser entlohnt werden, um wirklich die vermeintlich besten Köpfe anzuziehen? Was ist mit der Ökobilanz eines Jobs? Und dem gesamtgesellschaftlichen Nutzen? Und muss nicht auch das gesundheitliche Risiko eines Jobs noch viel mehr in die Bezahlung einfließen?
Wer sich nicht vergleicht, zementiert den Status quo
Wer sich nicht vergleicht oder sich allzu leicht mit Worten wie "Verantwortung" oder "Unverzichtbarkeit" abspeisen lässt, zementiert den status quo. Ein bisschen mehr Neid aufeinander täte hier Not, und mehr und besserer Vergleich. Dann würde vielleicht auch den kaltherzigen Fremdenhassern etwa aus dem Umfeld von AfD und Pegida auffallen, dass sie ihre Missgunst auf die falschen Ziele konzentrieren. Anstatt die anzugreifen, die sich an ihnen bereichern, ihre Mieten in die Höhe treiben und die Steuerlast, greifen sie die an, die ohnehin schon viel schlechter dastehen, die Migranten und Flüchtlinge. Schäbiger geht es kaum. Natürlich schimpft die AfD auch auf Politiker und die sogenannten Eliten, aber auch die wären ja eigentlich des Neides kaum Wert, viel zu lumpig ihre Gehälter, viel zu beschränkt ihr Einfluss, verglichen mit denen, die die Gemeinschaft wirklich ausräubern, die Pharmakonzerne, die Versicherungsunternehmen, die Immobilienbesitzer oder Hedge Fonds, um nur einige ganz naheliegende Beispiele zu nennen.
Auf der anderen Seite wird oft geklagt, dass man für bestimmte Aufgaben keine Mitarbeiter mehr findet. Fleischabfälle im Schlachthof wegfegen, alten Menschen die Windeln wechseln, sich bis zum nächsten Bandscheibenvorfall über den Erdbeer- oder Spargelacker bücken. Nach der Marktlogik müsste man sagen: Wenn sich für einen bestimmten Job niemand mehr findet, muss man eben mehr Lohn zahlen. Das passiert aber nicht. Eher wird gesagt, dass nicht mehr gezahlt werden kann für diese gering qualifizierte Arbeit, weil sich das wirtschaftlich nicht mehr lohnen, das Produkt am Ende zu teuer würde.
Ganz anders im Fall von Managern und Vorstandsvorsitzenden. Die bekommen so hohe Gehälter und Boni, weil das gute Personal sonst nicht gehalten werden könnte und in besser dotierte Posten in die USA auswandern würde. In diesem Fall aber sagt interessanterweise niemand, dass sich das wirtschaftlich nicht mehr lohnt, so hohe Gehälter zu zahlen, weil dann am Ende die Produkte zu teuer würden. Es sind die gleichen Zusammenhänge, nur mit jeweils vertauschten Argumenten.
Es wäre viel zu gewinnen, wenn endlich fair verglichen würde
Das hängt am Ende mit der Globalisierung zusammen, oder viel mehr mit der fehlenden Globalisierung, – finden sich nicht ausreichend deutsche Erntehelfer, lassen sich halt günstigere aus dem Ausland beschaffen oder man verlagert gleich die ganze Produktion und hebelt damit die Lohnwünsche hiesiger Arbeitnehmer aus – die Unternehmen sind längst auf der ganzen Welt mobil, während die Arbeitnehmer eben nicht international organisiert sind. Dabei wären sie von der reinen Zahl her weit in der Mehrheit und hätten im Falle eines Streiks gute Chancen, die Bedingungen zu ihren Gunsten zu verändern. Es fehlt ein Weltbetriebsrat, eine Weltarbeitnehmervertretung. Und ob es sie je geben wird, ist die große Frage, – sie würde alles verändern, zu unser aller Vorteil.
Bekanntlich werden auch Frauen in den klassischen Kümmerer-Berufen wie Altenpflege, Krankenpflege, Erziehung schlechter bezahlt, während typische Männerjobs mit ähnlichen Ausbildungszeiten, Anforderungen und Belastungen gewerkschaftlich viel schlagkräftiger organisiert sind und häufiger bestreikt werden. Das alles nur kurz angerissen als Beispiele dafür, wie viel noch zu gewinnen wäre, wenn endlich richtig hingeschaut und fair verglichen würde.
Die Frage ist nicht nur, wer in Relation mehr oder weniger verdienen, sondern auch, wie groß das Gefälle dazwischen sein sollte. Die acht reichsten Männer der Welt besitzen so viel wie die ärmere Hälfte der Menschheit gemeinsam. Das ist absurd. Kein Mensch kann mehr als eine Million zum Leben brauchen. Im Gegenteil, er gefährdet damit alle anderen. Nicht nur, wie unlängst in der Zeit zu lesen war, weil sein Lebensstil im Vergleich zum Durchschnittsbürger extrem ressourcenverschwendend ist. Sondern auch, weil dieses zu viele Geld angelegt werden will, in hochriskante Papiere fließt und dabei zu den Verwerfungen auf dem Finanzmarkt führt, für deren Schäden dann wieder alle zur Kasse gebeten werden – wie damals bei den Auffangfonds für die Banken geschehen. Riesige Stiftungen entziehen zudem Milliardensummen der demokratischen Verfügbarkeit und überlassen es dem Stifter, sich für das eine oder andere hübsche Ziel zu begeistern, während ganz banale, aber umso dringendere Gemeinschaftsaufgaben nicht mehr geleistet werden können. Es wäre im Interesse aller, allzu große Macht- und Reichtumsüberschüsse in den Händen weniger zu verhindern.
100 Prozent Erbschaftssteuer, mit Bedingungen
Nicht zuletzt, indem man Erben so besteuert, dass ein Großteil der über Generationen angehäuften Reichtümer endlich wieder an die Gemeinschaft zurückfließt. Dass Menschen erben und damit mit sehr ungleichen Chancen ins Leben starten, störte schon den keinesfalls sozialistisch gesinnten Liberalen John Stuart Mill, denn die Aussicht auf ein Erbe widerspräche nicht nur dem Leistungsgedanken, sie würde auch den Anreiz senken, durch eigene Anstrengungen zu etwas zu kommen und wäre daher schädlich für die ganze Gesellschaft.
Sinnvoll wären zum Beispiel 100 Prozent Erbschaftssteuer auf alle Erbschaften über einem Freibetrag von 500.000, (oder notfalls auch 1.000.000 Euro, so dass wirklich niemand fürchten muss, dass er auf das Häuschen von Oma oder den Jonathan Meese von der Tante verzichten muss.) Diese Forderung ist politisch allerdings nicht durchzusetzen, und das nicht nur, weil die Vermögenden ihr Kapital dann angeblich in andere Länder abzögen. Das viel größere Hindernis auf dem Weg zu einer solchen Regelung ist witzigerweise die Mehrzahl der Menschen, die gar nicht oder kaum erben – wie gesagt, eine halbe Million dürften sie ja ohnehin behalten – und die offenkundig vollkommen unterschätzen, in welchem Maße sie von einer solchen Regelung profitieren würden. Warum? Sie vergleichen sich zu wenig. Sie sind viel zu wenig neidisch.
Es geht nicht darum, wie viel man denn tatsächlich mit diesem Geld anfangen könnte, sondern vor allem darum, die ungerechten Startchancen zu mindern und der wachsenden Ungleichheit zu begegnen. Doch das wird wohl auf immer eine Utopie bleiben.