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Propagandaschlachtfeld in Katalonien
In Spaniens Medien fehlt der unabhängige Blick

Am 1. Oktober wird in Katalonien über die Unabhängigkeit abgestimmt. Der politische Streit über die Selbstbestimmungsrechte der autonomen Gemeinschaft im Nordosten Spaniens spiegelt sich in den Medien. Sie haben kaum noch eine eigene Stimme. Stattdessen sind zum Megaphon von Politikern geworden.

Von Hans-Günter Kellner |
    Menschen tragen katalonische Fahnen
    Demonstration für die Unabhängigkeit Kataloniens (imago stock&people/ Matthias Oesterle)
    Es war eine Bühne voller Geschichte. Der Orangenhof des Palastes der katalanischen Autonomieregierung aus dem 16. Jahrhundert verlieh der Erklärung von Carles Puigdemont, dem Regierungschef der katalanischen Autonomieregierung, eine historische Dimension:
    "In Ausübung des legitimen Rechts auf Selbstbestimmung, das eine tausendjährige Nation wie Katalonien genießt, setzen wir ein Referendum zum 1. Oktober 2017 an."
    Katalonien, die tausendjährige Nation, sagt der Verfechter der Unabhängigkeit. Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy hält hingegen dagegen, Spanien sei, so wörtlich, "die älteste Nation Europas", als wäre der Gedanke an eine katalanische Eigenständigkeit völliger Unsinn. Spaniens Medien freuen sich über solche Polemiken und verbreiten sie gern, denn sie sorgen für Aufmerksamkeit. Den Medien mangele es am kritischen Umgang mit der Sprache der Politiker und ihrer Kommunikationsberater, kritisiert Journalismusprofessor Pablo Sagag, der an der Madrider Complutense-Universität zur Geschichte der Propaganda forscht. Besonders kreativ seien die Anhänger einer katalanischen Unabhängigkeit:
    Journalisten manipulieren mit Sprache
    "Das beginnt mit der Formulierung "das Recht zu entscheiden". Wer würde schon widersprechen, er habe ein "Recht zu entscheiden"? Gemeint ist eigentlich das Recht auf Unabhängigkeit. Spanien bezeichnen sie folglich als "autoritären Staat", denn er ist dagegen und betreibt für sie eine sogenannte "steuerliche Ausbeutung". Der Begriff "Der Prozess" – mit dem das Ringen um Unabhängigkeit gemeint ist, täuscht zudem vor, man wisse, wohin das Projekt führt. In Wahrheit scheint er nie zu enden. Mit der Manipulation der Sprache wird eine vermeintliche Wirklichkeit erschaffen."
    So scheinen Spanier und Katalanen in unterschiedlichen Scheinwelten zu leben. Sagag spricht von "semantischer Propaganda", die ohne die Medien als Erfüllungsgehilfen nicht funktionieren würde. Zu den Gründen meint der Professor: In immer schlechter besetzten Redaktionen werde zu wenig recherchiert, inhaltliche Kontexte würden kaum noch hergestellt und die journalistische Ausbildung lege mehr Wert auf technische als auf sprachliche Kompetenzen. Hinzu kommt:
    "Die Wirtschaftskrise hat die Medien dazu gebracht, die Unterstützung der Behörden zu suchen. Die Werbung von Behörden ist bei manchen Medien heute so wichtig wie die privater Unternehmen. Hinzu kommen Subventionen für die Presse wie in Katalonien. Wer nicht genüg eigene Einnahmen hat, wird von der Politik abhängig. Das führt zur Selbstzensur."
    Die kritische Distanz zur Politik geht verloren. Der katalanische Historiker Joan Escuiles von der Universitat Oberta de Catalunya betont, kein Gegner eines unabhängigen Kataloniens zu sein. Doch auch er beklagt, die Medien machten es den Politikern zu leicht. So empört es ihn zwar, wenn Nationalisten den bereits 1988 verstorbenen ehemaligen Präsidenten der katalanischen Regierung, Josep Tarradellas, zum Verfechter der Unabhängigkeit erklärten. Doch mit seinen differenzierten Ansichten komme er kaum noch zu Wort:
    Journalisten zitieren kaum Wissenschaftler
    "Als Historiker habe ich sehr viel Arbeit, solche Mythen zu dementieren. Aber ich habe nicht dieselbe Bühne wie ein Politiker. Ihnen dienen die Medien als Megaphon. Politikererklärungen werden auf dem Medienmarkt hoch gehandelt, meine Kommentare sind nichts wert. - Die Wirklichkeit ist komplizierter als ein Slogan. Sie ist nicht schwarz oder weiß. Die Medien lieben hingegen die Polemiken. Sie verhelfen zu Auflagen und Einschaltquoten. Komplizierte Erklärungen interessieren niemanden mehr."
    Der Streit um die Unabhängigkeit sei in erster Linie eine große Propagandaschlacht, gibt auch der katalanische Journalist Enric Juliana zu. Der stellvertretende Chefredakteur der in Barcelona erscheinenden Tageszeitung La Vanguardia sieht hinter dem für den 1. Oktober von der katalanischen Behörden angestrebten Unabhängigkeitsreferendum vor allem ein Ringen um symbolträchtige Bilder und Begriffe. Warum die Medien nicht schärfer zwischen Propaganda und Information trennten, erklärt er so:
    "Ich arbeite für eine katalanische Zeitung. Unsere Leser sind gespalten. Die Hälfte kauft die katalanische Ausgabe, die andere die spanische. Die einen finden, dass wir den Unabhängigkeitskurs stärker kritisieren sollten, die anderen, wir sollten ihn stärker unterstützen. Was sollen wir da machen?"