" Schwer zu verstehen
ist nämlich die Landschaft,
wenn du im D-Zug von dahin
nach dorthin vorbeifährst,
während sie stumm
dein Verschwinden betrachtet "
Man könnte meinen, dass in diesem allerersten Gedicht aus "Über das Land und das Wasser" schon der ganze Sebald drinsteckt: Der Hang zur etwas umständlich anmutenden Satzkonstruktion, der Hauch Melancholie, die stille Komik. Aber ganz so ist es dann doch nicht. Bei genauerem Hinsehen wirken die Verse aus den frühen sechziger Jahren - allein für sich genommen und allemal im Vergleich zu den großen Prosaperioden der späteren Werke - recht dürftig. "Schullatein" ist diese erste Abteilung aus dem von Sven Meyer besorgten Nachlassband überschrieben, und tatsächlich hat es der Leser hier eher mit Fingerübungen zu tun, tastenden Versuchen eines Schriftstellers, der erst mit Mitte Vierzig seinen Ton finden sollte. Auch die zweite Abteilung des Bandes wirkt recht disparat: Mythische Stoffe klingen an, historische Figuren treten auf, Landschaften werden evoziert. Einen roten Faden gibt es nicht. Gerne allerdings spielt Sebald mit literarischen Referenzen. So tritt in Holkham Gap, einem Gedicht auf die Küste von Norfolk, Onkel Toby auf, die heimliche Hauptfigur aus Lawrence Sternes "Tristram Shandy".
" Holkham Gap
Grüne Gegend
für Feldstecher
und tarnfarbene
Ornithologen
Dahinter die Bucht
ein Bogen noch weiter
als der äußerste
Horizont
Hier hat die Heimwehr
auf das Auftauchen
des Seelöwen
gewartet
Als das Ungetüm ausblieb
durfte der Strandhafer
die befestigten Streifen
wieder erobern
Doch Onkel Toby
mag dem Frieden
nicht trauen
Füllt sein Kopfpolster
mit Sand und wünscht sich
die Flut möge kommen "
So unentschieden Sebald sich thematisch gibt, so bescheiden bleibt er in formaler Hinsicht; der Zeilenfall passt sich ungefähr dem Sprachrhythmus an, recht wohlgefällig plätschert das ganze so dahin. Man merkt aber schon hier, schon in den siebziger Jahren, dass Sebald eigentlich ein Prosaautor ist, einer mit viel Rhythmusgefühl zwar, aber einer, der die lange Strecke bevorzugt, der Zeit braucht, um auszuholen. Ein paar Verse unter Hochspannung zu setzen war Sebalds Sache nicht; er ließ die Dinge lieber langsam anschwellen, absatzlos und immer wieder zurückgreifend, gleichsam in der eigenen Erinnerung wühlend.
"Mein Medium ist die Prosa, nicht der Roman", bekannte Sebald einmal selbst, und erwähnte die Lyrik dabei erst gar nicht. So versammelt "Über das Land und das Wasser" vor allem Gelegenheitsgedichte, denen man häufig anmerkt, wie sie nebenbei, in den Wartesälen und Hotelzimmern der Welt entstanden sind. Das gilt besonders für die dritte und letzte Abteilung des Buches. Hier sieht man den Erfolgsautor, wie er durch die Lande reist, einmal sogar noch Marienbad. Von Goethes Gedicht borgt er sich sogleich den Titel, und alsbald wandert er weiter, die Spuren der eigenen Prosa auch streifend, zur Begegnung mit Chopin, Kafka oder bloß nach Osnabrück und Oldenburg.
" In der schlaflos
verbrachten Nacht
auf Sonntag den 16.
Januar vorigen Jahres
fielen in dem schauder
haft rustikalen Hotel
Columbus in Bremer
haven mit großem
Gekreisch die vier
Stadtmusikanten
über mich her. Den
Schrecken noch in
den Gliedern saß
ich Glock acht allein
beim Morgenkaffee
gelbsüchtig von dem
durch die Butzen
scheiben in die Gast
stube dringenden
Licht. Draußen auf
dem regennassen
Kopfsteinpflaster
zogen die Schatten der
Auswanderer vorbei
mit ihren Bündeln
& Packen Leute aus
Kaunas & Bromberg
aus dem Hundsrück
& aus der Oberpfalz.
Aus dem Lautsprecher
leise noch immer
dasselbe Schiffer
klavier dieselbe
vor Rührung bebende
Männerstimme vergeßne
Wörter aus unserer Volks
poesie Heimatstern &
Seemannsherz. Später
vom Zug aus der Pulver
turm aus der Nibelungen
zeit Kaffeesilos quader
förmige Horte des
braunen Goldes am
Horizont eine Trabanten
stadt davor eine Kolonie
Schrebergärten die dereinst
vielleicht Roseneck
hießen Samoa oder
Burenland. Und jetzt
über der norddeutschen
Tiefebene unbeweglich
seit Wochen niedrige
blauschwarze Wolken
die Weser über die Ufer
getreten & irgendwo
in der Gegend von
Osnabrück oder
Oldenburg auf einem
Grasplatz vor einem
Gehöft eine einsame
Gans die langsam
den Hals wendet als
sie den Intercity
vorbeirauschen sieht. "
W.G. Sebald: Über das Land und das Wasser
Herausgegeben von Sven Meyer. Carl Hanser Verlag, München 2008. 120 Seiten, 14,90 Euro
ist nämlich die Landschaft,
wenn du im D-Zug von dahin
nach dorthin vorbeifährst,
während sie stumm
dein Verschwinden betrachtet "
Man könnte meinen, dass in diesem allerersten Gedicht aus "Über das Land und das Wasser" schon der ganze Sebald drinsteckt: Der Hang zur etwas umständlich anmutenden Satzkonstruktion, der Hauch Melancholie, die stille Komik. Aber ganz so ist es dann doch nicht. Bei genauerem Hinsehen wirken die Verse aus den frühen sechziger Jahren - allein für sich genommen und allemal im Vergleich zu den großen Prosaperioden der späteren Werke - recht dürftig. "Schullatein" ist diese erste Abteilung aus dem von Sven Meyer besorgten Nachlassband überschrieben, und tatsächlich hat es der Leser hier eher mit Fingerübungen zu tun, tastenden Versuchen eines Schriftstellers, der erst mit Mitte Vierzig seinen Ton finden sollte. Auch die zweite Abteilung des Bandes wirkt recht disparat: Mythische Stoffe klingen an, historische Figuren treten auf, Landschaften werden evoziert. Einen roten Faden gibt es nicht. Gerne allerdings spielt Sebald mit literarischen Referenzen. So tritt in Holkham Gap, einem Gedicht auf die Küste von Norfolk, Onkel Toby auf, die heimliche Hauptfigur aus Lawrence Sternes "Tristram Shandy".
" Holkham Gap
Grüne Gegend
für Feldstecher
und tarnfarbene
Ornithologen
Dahinter die Bucht
ein Bogen noch weiter
als der äußerste
Horizont
Hier hat die Heimwehr
auf das Auftauchen
des Seelöwen
gewartet
Als das Ungetüm ausblieb
durfte der Strandhafer
die befestigten Streifen
wieder erobern
Doch Onkel Toby
mag dem Frieden
nicht trauen
Füllt sein Kopfpolster
mit Sand und wünscht sich
die Flut möge kommen "
So unentschieden Sebald sich thematisch gibt, so bescheiden bleibt er in formaler Hinsicht; der Zeilenfall passt sich ungefähr dem Sprachrhythmus an, recht wohlgefällig plätschert das ganze so dahin. Man merkt aber schon hier, schon in den siebziger Jahren, dass Sebald eigentlich ein Prosaautor ist, einer mit viel Rhythmusgefühl zwar, aber einer, der die lange Strecke bevorzugt, der Zeit braucht, um auszuholen. Ein paar Verse unter Hochspannung zu setzen war Sebalds Sache nicht; er ließ die Dinge lieber langsam anschwellen, absatzlos und immer wieder zurückgreifend, gleichsam in der eigenen Erinnerung wühlend.
"Mein Medium ist die Prosa, nicht der Roman", bekannte Sebald einmal selbst, und erwähnte die Lyrik dabei erst gar nicht. So versammelt "Über das Land und das Wasser" vor allem Gelegenheitsgedichte, denen man häufig anmerkt, wie sie nebenbei, in den Wartesälen und Hotelzimmern der Welt entstanden sind. Das gilt besonders für die dritte und letzte Abteilung des Buches. Hier sieht man den Erfolgsautor, wie er durch die Lande reist, einmal sogar noch Marienbad. Von Goethes Gedicht borgt er sich sogleich den Titel, und alsbald wandert er weiter, die Spuren der eigenen Prosa auch streifend, zur Begegnung mit Chopin, Kafka oder bloß nach Osnabrück und Oldenburg.
" In der schlaflos
verbrachten Nacht
auf Sonntag den 16.
Januar vorigen Jahres
fielen in dem schauder
haft rustikalen Hotel
Columbus in Bremer
haven mit großem
Gekreisch die vier
Stadtmusikanten
über mich her. Den
Schrecken noch in
den Gliedern saß
ich Glock acht allein
beim Morgenkaffee
gelbsüchtig von dem
durch die Butzen
scheiben in die Gast
stube dringenden
Licht. Draußen auf
dem regennassen
Kopfsteinpflaster
zogen die Schatten der
Auswanderer vorbei
mit ihren Bündeln
& Packen Leute aus
Kaunas & Bromberg
aus dem Hundsrück
& aus der Oberpfalz.
Aus dem Lautsprecher
leise noch immer
dasselbe Schiffer
klavier dieselbe
vor Rührung bebende
Männerstimme vergeßne
Wörter aus unserer Volks
poesie Heimatstern &
Seemannsherz. Später
vom Zug aus der Pulver
turm aus der Nibelungen
zeit Kaffeesilos quader
förmige Horte des
braunen Goldes am
Horizont eine Trabanten
stadt davor eine Kolonie
Schrebergärten die dereinst
vielleicht Roseneck
hießen Samoa oder
Burenland. Und jetzt
über der norddeutschen
Tiefebene unbeweglich
seit Wochen niedrige
blauschwarze Wolken
die Weser über die Ufer
getreten & irgendwo
in der Gegend von
Osnabrück oder
Oldenburg auf einem
Grasplatz vor einem
Gehöft eine einsame
Gans die langsam
den Hals wendet als
sie den Intercity
vorbeirauschen sieht. "
W.G. Sebald: Über das Land und das Wasser
Herausgegeben von Sven Meyer. Carl Hanser Verlag, München 2008. 120 Seiten, 14,90 Euro