"Super hast du das gemacht: Sprung, Banane und Stein. Sprung, Stein, Sprung, Stein, den Apfel von oben holen, unten ausweichen. Wenn nur noch kurz im Flow bleiben könntest und nicht drauf gehst, würde sich die Gegend ein bisschen verändern."
So klingt es, wenn jemand auf der Bühne ein Computerspiel spielt und parallel dazu kommentiert, was gerade auf dem Bildschirm passiert. Karaoke Rave Night nennen das die Autoren des österreichischen Verlag Traumawien. Für Peter Moosgaard die Zukunft der Literatur:
"Die Idee war dahinter, das Internet in seiner kompletten Zeichenhaftigkeit als Literatur zu sehen. Allein dass der Computer so ein starkes Instrument ist, das nicht nur komplett die ganze Gesellschaft umkrempelt, sondern auch ein gewaltiger Textkörper ist, wieder als Literatur gesehen werden kann".
Für die Mitglieder von Traumawien ist mit dem Internet das traditionelle Schreiben zu seinem Ende gekommen. Codeschreiben ist das neue Schreiben. Und die eigentlichen Autoren sind Computerprogramme, die die Inhalte des Internets zusammentragen: Facebook-Posts, Youtube-Kommentare, Amazon-Rezensionen. Das ist alles Literatur. Oder eben auch nicht.
"Wenn man radikal und anarchisch was angehen will, dann muss man auch die letzten zwei Meter gehen und darf nicht davor stehen bleiben. Sondern es geht dann wirklich darum, das Ganze auf die Spitze zu treiben."
Die Karaoke Rave Night von Traumawien ist mit Sicherheit die radikalste Veranstaltung bei dem Literaturfestival Prosanova. Ein Experiment, auch für die Veranstalter.
"Der Anspruch ist ja ein Festival zu machen, das so ein Panorama der Gegenwartsliteratur zeigt, und da sind das halt Tendenzen oder Strömungen, die wir sehen, und die wir natürlich dann auch hier abbilden und auf der Bühne sehen wollen."
Zusammen mit den anderen Herausgebern der Literaturzeitschrift "BELLA triste" hat Karl Flender das Festival geplant. Die Grundidee: Literatur erlebbar machen. Unkonventionell und neuartig. Denn die meisten Formate wurden eigens für das Prosanova entwickelt. Zum Beispiel das Social Reading, wie Juan Guse erklärt: "Social Reading heißt im Grunde nur, man liest gemeinsam einen Text, das heißt digital, und kann die Kommentare der anderen mit lesen."
Juan Guse hat das Social Reading zusammen mit drei Autoren organisiert.
Social Reading: Der Autor als Lektor
"Normalerweise halte ich mich bei dieser Kategorie Frau zurück, weil ich weiß, dass wir nicht in der gleichen Liga spielen. Aber sie hat mir voll die Komplimente gemacht wegen meines Aussehens. - Herzlichen Glückwunsch, sie haben eben zum ersten Mal einen Satz mit „voll die“ und Genitiv gehört. What a day."
Das Social Reading ist eindeutig einer der Höhepunkte des Festivals. Auch die Autoren scheinen sich in ihrer Doppelrolle als Autor und Lektor total wohl zu fühlen. Aber sie machen auch deutlich, wo die Grenzen sind:
"Ich habe den Text erst gelesen, nachdem Jo den schon kommentiert hatte. Und habe dann gemerkt, dass durch den Kommentar plötzlich was verloren gegangen war. Da merkte ich so, dass diese Form an Texten zu arbeiten, natürlich dann auch ein bisschen was von der Poesie nimmt, wenn man sofort so ein Bild aufruft. - Absolut. Ich meine, deswegen machen wir ja das Ganze heute Abend, um noch mal kurz Ernst zu werden. Wir zwingen jetzt uns, alle unsere Assoziationen mitzuerleben. Und dadurch wird natürlich der Rhythmus empfindlich gestört."
E-Books, bei denen man die Kommentare der anderen Leser direkt mitlesen kann, wird es sobald also wohl nicht geben. Aber es gibt ja noch andere Möglichkeiten, das Internet für kollektive Schreibprozesse zu nutzen. In den USA werden Fernsehserien schon längst in sogenannte Writers Rooms geschrieben. Warum also nicht auch Romane?
"Das kann ich mir schon vorstellen. Dass man dann aber von Anfang an eben mit der Idee einen kollektiven Text zu schreiben, einen kollektiven Roman zu schreiben, arbeitet, und dass alle hierarchisch auf einer Stufe sind. Da muss klar sein: Wir sind eine Band."
Das Schreiben sieht Jan Brandt dadurch aber nicht in Gefahr. Für ihn gewinnt der Roman als Literaturform durch das Internet sogar noch an Bedeutung:
"Dieses Schreiben im Kollektiv funktioniert nur in einer überschaubaren Menge, weil sobald man dann sozusagen die Crowd da ran lässt, das ganze Netz, die ganze Welt, dann wird das viel zu vielstimmig. Dann verliert so ein Roman auch den Ton und die Tonlage. Dann wird das ein Sammelsurium. Dann wird das eigentlich nur eine Abbildung des Internets. Und das ist aber eigentlich kein Roman. Das ist keine Komposition. Dann fehlt praktisch alles das, was den Roman auszeichnet."
Den Reiz des Internets sieht Jan Brandt in den neuen Literaturformaten, die hier nur darauf warten, von den Autoren bespielt zu werden:
"Dieses Ernst genommen werden und diese Anerkennung, nach der man sich dann als Autor manchmal sehnt, das ist glaube ich auch Teil dieses Bruchs analog - digital. Das ist dann vielleicht auch Teil der alten Welt. Weil, dass man erst ein Schriftsteller ist, wenn man ein Buch veröffentlicht hat, das trifft ja nicht mehr zu, denn die Veröffentlichung ist ja schon da im Internet."
Noch geht unter dem Hashtag Prosanova wenig bei Facebook und Twitter. Obwohl doch die Mehrheit der Festivalbesucher angehende Autoren sind. Kathrin Passig ist fast die Einzige, die hier aktiv ist.
"Ich glaube schon, dass die jetzige Situation Autoren bevorzugt, denen es nichts ausmacht oder womöglich sogar Spaß macht, diesen regelmäßigen Kontakt zur Außenwelt zu pflegen."
Abgesehen davon findet auch Kathrin Passig, dass Facebook und Twitter längst eigene Literaturformate sind, die bisher noch zu wenig Wertschätzung erfahren. Aber bis zum nächsten Prosanova sind ja jetzt wieder drei Jahre Zeit.