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Prostituiertenschutzgesetz
Sexarbeiter unter Druck

Kondompflicht, "Hurenausweis", Auflagen - für Prostituierte wird das Gewerbe komplizierter. Kritiker halten das Gesetz nicht für praktikabel. Illegale Arbeiterinnen werden wegen drohender Geldbußen wohl noch seltener zur Polizei gehen, so die "Beratungsstelle Prostitution" der Diakonie Hamburg.

Von Yannic Hannebohn | 30.06.2017
    Eine Prostitutierte steht am 18.02.2014 in der Dudweiler Landstraße in Saarbrücken (Saarland).
    Eine Prostituierte auf dem Straßenstrich in Saarbrücken (dpa / Oliver Dietze)
    Die Lindenstraße im Stadtteil Sankt Georg in Hamburg. "Sperrgebiet" steht auf der Milchglasscheibe der Beratungsstelle Prostitution des Diakoniewerks Hamburg. Der Name passt. Zum einen ist hier im Stadtteil Sankt Georg Prostitution seit 1980 verboten, zum anderen sind die Räume hinter der Scheibe männerfreie Schutzzone. Aber wie für jede Regel gibt es Ausnahmen. Prostitution gibt es in Sankt Georg trotz Verbots und ich darf die Einrichtung vor der Öffnungszeit besuchen.
    "Wir haben zwei Eingänge, das ist quasi unser Eingang, das ist reiner Mitarbeiterinnenbereich, hier kommen die Frauen auch nicht rein.
    Viele neue Vorschriften für die Prostitution
    Die Leiterin der Einrichtung, Julia Buntenbach-Henke führt mich durch die Räumlichkeiten.
    "Unten im Keller haben wir die Möglichkeit zu duschen, wir haben ne Kleiderkammer, und Waschmaschinen, also dass die Frauen ihre Wäsche waschen und trocknen können. Und das Zentrum der Einrichtung ist quasi das hier. Sieht erst mal klein aus, aber in der Küche hockt man halt ganz gerne zusammen."
    Circa hundert Sexarbeiterinnen kommen regelmäßig, können sich hier, wenn sie wollen, juristisch beraten und ärztlich versorgen lassen. Ob es demnächst mehr oder weniger werden, wissen sie in der Beratungsstelle nicht. Denn mit dem neuen Prostituiertenschutzgesetz, das offiziell am Samstag in Kraft tritt, ändern sich viele Vorschriften für die Prostitution in Deutschland.
    Getrennte Toiletten, Pausenräume, Notrufsystem
    Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter müssen zur Behörde gehen und sich registrieren, sie sollen eine Gesundheitsunterweisung bekommen und dann einen Ausweis. Umgangssprachlich wird er auch Hurenausweis genannt. Durch das neue Gesetz sollen außerdem höhere Anforderungen an Prostitutionsstätten gestellt werden: Baulich getrennte Toiletten für Freier und Prostituierte etwa, ein valides Notrufsystem und Pausenräume.
    Manuela Schwesig wollte ein Gesetz machen, das vor allem die Frauen stärkt, die nicht selbstbestimmt der Sexarbeit nachgehen.
    "Wir müssen es respektieren, wenn Frauen sagen, sie möchten diese Arbeit machen und dann sollten sie da auch geachtet werden und nicht in irgendeine Schmuddelecke gestellt werden, aber wir müssen auch der Tatsache ins Auge sehen, dass eine Vielzahl von Frauen und Männern in diesem Land nicht in der Prostitution ihre Selbstbestimmung finden, sondern Ausbeutung erleben, Unterdrückung und auch Gewalt. Und ich hab ganz klar die Haltung: Ich möchte die dort schützen, die dort leiden."
    "Das Gesetz hat im Prinzip ein ganz gutes Ziel, also das Gesetz möchte ja mehr Schutz, mehr Selbstbestimmung für die Frauen in der Prostitution. Die Art wie das umgesetzt wird, das sehen wir einfach schwierig. Frauen, die sich nicht angemeldet haben, werden sich mit 'ner sehr hohen Wahrscheinlichkeit nicht mehr bei der Polizei melden, wenn sie Opfer von Gewalt werden. Wenn sie im Rahmen ihrer Tätigkeit Opfer von Gewalt werden und zur Polizei gehen, müssten sie ja wahrscheinlich auch offenbaren, dass das irgendwie im Rahmen ihrer Tätigkeit passiert ist, dieser Gewaltvorfall und das bedeutet, dass die Frauen auch da noch mehr an den Rand gedrängt werden als sie jetzt schon sind."
    "Hurenausweis" - für viele Sexarbeiter ein Problem
    Und auch die Annahme, dass eine Frau bei einer einmaligen Anmeldung von einem Abhängigkeitsverhältnis berichte, sei pure Utopie, betont Julia Buntenbach-Henke.
    "Dass das in ner halben Stunde geschehen würde, das sehe ich einfach nicht als realistisch. So: Schöne Idee, aber in der Umsetzung nicht praktikabel."
    Auch sonst ist die Registrierungspflicht die umstrittenste Neuerung. Dafür benötigen die Sexarbeiterinnen sowohl Meldeadresse wie Lichtbild. Für viele Prostituierte ist das ein Problem, wenn sie statt zu Hause Nacht für Nacht im Hotel wohnen. Und ihre Anonymität wahren wollen.
    "Für Sexarbeiterinnen ist die Anonymität sehr, sehr wichtig. Bis heute ist Sexarbeit in der Gesellschaft geächtet und die Folge eines Outings ist für viele tatsächlich die soziale Isolation. Freundschaften werden beendet, die Familie kehrt einem den Rücken, viele verlieren ihren tagestauglichen, soliden Arbeitsplatz."
    Sexarbeiter sehen Risiko von Erpressung und Stigmatisierung
    Josefina Nereus ist Sexarbeiterin, ihre Dienste bietet sie in ihrer eigenen Wohnung in Hamburg an. Nereus ist selbstbestimmt, trotzdem war ihr Outing problematisch. Die Vorstellung, dass sie ab nächstem Jahr ein Stück Papier besitzen muss, das ihre Zulassung als Prostituierte beglaubigt, findet sie falsch. Bevor sich nicht der gesellschaftliche Umgang mit Prostitution ändert, sei das Papier ein mögliches Risiko, stigmatisiert oder erpresst zu werden.
    "Ich glaube, das ist keine Situation, die vorteilhaft ist für Sexarbeiter. Sie werden nur noch mehr unter Druck gesetzt. Dann noch einen Ausweis mit sich zu führen, der bei einem Date gesehen werden könnte oder an der Kasse aus dem Portemonnaie fallen könnte oder beim Arzt, oder beim Jugendamt, ... das hilft Sexarbeiterinnen auf gar keinen Fall weiter, sie werden nur weiter in die Ecke gedrängt und weiter geächtet.
    Zwangsverhältnisse aufbrechen und Sexarbeiterinnen endlich respektieren, das waren der Spagat, den die Politiker hinbekommen wollten. Mit dem aktuellen Gesetz sei das nicht gelungen, finden viele Verbände und Prostituierte. Zeit nachzubessern wäre aber noch, die Übergangsphase läuft bis Ende des Jahres.