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Prostitution
"Man muss Anlaufstellen für die Frauen schaffen"

Die rot-schwarze Koalitions will das Prostitutionsgesetz verschärfen. Die Bordellbetreiberin Felicitas Schirow findet Anlaufstellen für die Opfer allerdings wichtiger als die geplanten Strafen für Freier.

Felicitas Schirow im Gespräch mit Christine Heuer |
    Dirk Müller: Wie viele Frauen in Deutschland zur Prostitution gezwungen werden, darüber gibt es keine verlässlichen Angaben. Die meisten Beobachter sind sich aber einig, dass die Zahl nach dem liberalen Prostitutionsgesetz von 2002, beschlossen damals unter Rot-Grün, deutlich gewachsen ist. Deutschland gilt mittlerweile als Paradies für Sextouristen. In vielen anderen europäischen Staaten setzt man längst auf strengere Reglementierungen, wie auch jetzt gerade in Frankreich. SPD und Union möchten das Prostitutionsrecht nun auch in Deutschland wieder verschärfen. Vor allem sollen Freier von Zwangsprostituierten bestraft werden können.
    Meine Kollegin Christine Heuer hat über die Gesetzespläne der Koalition mit der Bordellbetreiberin Felicitas Schirow gesprochen, die zuvor auch als Prostituierte gearbeitet hat.
    Christine Heuer: Sie gelten als Aktivistin für die Legalisierung der Prostitution. Grundsätzlich gefragt am Anfang: Ist das wirklich ein Job wie jeder andere?
    Felicitas Schirow: Es ist schon immer legal gewesen, sich zu prostituieren. Bloß die Betriebe, wo die Prostituierten arbeiteten, die waren nicht legal. Die Prostitution galt als sittenwidrig und insofern waren die Frauen immer Repressionen ausgesetzt und konnten auch nicht so frei arbeiten wie ein normaler Gewerbetreibender.
    Heuer: Aber was daran ist eigentlich normal? Ist es nicht entwürdigend, sich selbst zu verkaufen?
    Schirow: Ach, dieser Spruch, ein Job wie jeder andere, das ist ja so ein dehnbarer Begriff. Ich sage immer, wenn es ein Job wie jeder andere wäre, dann würde ich nicht in der Prostitution arbeiten, weil es hat ja auch eine Menge Vorteile. Gerade für Frauen, die nicht so viel Zeit haben und nur mal spontan sich prostituieren, ist es sehr wichtig, dass die auf die Weise eine Möglichkeit haben, ihr Einkommen aufzubessern. Und es hat viele Vorteile auch für Frauen, die sonst eigentlich keine andere Möglichkeit mehr haben, Geld zu verdienen. Ja, Vorteile sind dabei, aber ich will natürlich nicht das verherrlichen, will auch nicht sagen, dass Prostitution jetzt ein Traumjob ist.
    Heuer: Das war es für Sie auch nicht?
    Schirow: Es hat Momente, die sehr schön sind. Man bekommt sehr viel Anerkennung. Manche Frauen blühen regelrecht auf, wenn sie das in einem angenehmen Umfeld machen und wenn die Freier auch nett sind. Das kommt ja oft vor, man mag es kaum glauben. Es gibt natürlich auch die andere Seite, wo Frauen zu Billiglöhnen in Bordellen arbeiten, und da gibt es natürlich viele Dinge, wo man dran arbeiten muss, um für diese Frauen auch bessere Möglichkeiten zu schaffen, sich zu wehren, dass sie zum Beispiel Anlaufstellen haben, wo sie sich hinwenden können, wenn sie das Gefühl haben, sie werden ausgebeutet.
    Heuer: Aber genau darum geht es ja jetzt der Großen Koalition. Sie möchte Zwangsprostituierten helfen und deshalb eine Strafe für Freier von Prostituierten einführen, die unter Zwang arbeiten. Sind Sie dafür oder dagegen?
    Schirow: Ich bin total dagegen, und zwar aus zwei Gründen. Erst mal ist das natürlich eine Frage, wie kann man dem Mann das nachweisen. Der wird normalerweise nicht sich eine Zwangsprostituierte bewusst suchen und wird das auch nicht erkennen können.
    Heuer: Erkennt er es wirklich nicht?
    Schirow: Das ist in der Praxis noch gar nicht vorgekommen, jemandem das nachzuweisen. Der Begriff Zwangsprostituierte wird ja sehr inflationär benutzt und es ist ja auch so, dass viele Frauen sich für sehr kleines Geld anbieten. Für die ist das aber oft, gerade wenn sie aus Osteuropa kommen, eine Menge Geld, was sie auch zum Teil nach Hause schicken. Zum Beispiel behauptet Frau Schwarzer, dass solche Frauen Zwangsprostituierte seien. Es ist aber gesetzlich gar nicht geregelt, was eine Zwangsprostituierte ist. Für mich ist das eine Frau, die für kleines Geld sich anbietet, die aber froh ist, dass sie diese Arbeit hat, weil in Deutschland muss sich kein Mensch prostituieren. Wir sind alle abgedeckt, wir werden alle finanziell versorgt und keiner muss im Bordell arbeiten.
    Heuer: Frau Schirow, was ist mit den Frauen, die vornehmlich aus Osteuropa nach Deutschland gelockt werden, denen man die Pässe abnimmt und die man zwingt, sich zu prostituieren? Gibt es die nicht?
    Schirow: Laut BKA sind das Zahlen, die sich im Promillebereich bewegen im Verhältnis zu den freiwilligen Prostituierten. Aber natürlich ist jedes einzelne Opfer eins zu viel, das ist auch ganz klar. Aber man muss am Gewerberecht arbeiten. Man müsste sehen, dass die Bordelle sich freiwillig zusammentun mit den Behörden, dass die da auch zum Beispiel über die Preise Auskunft geben, zu welchen Preisen die Frauen dort arbeiten. Man muss Anlaufstellen für die Frauen schaffen, an die sie sich wenden können, wenn sie sich in Not fühlen. Da muss man dran arbeiten.
    Heuer: Frau Schirow, es gibt auch andere Statistiken. Wir bewegen uns natürlich in diesem Milieu immer mit Schätzungen nur. Das Landeskriminalamt in Hannover sagt zum Beispiel, Zwangsprostitution sei in Deutschland die Regel, 90 Prozent der Frauen stünden unter Zwang und es habe ein Ausufern der Prostitution nach 2001 gegeben, nämlich nachdem Rot-Grün die Sittenwidrigkeit der Prostitution im Gesetz gestrichen hat.
    Schirow: Na ja, dieses möchte ich mal schriftlich sehen, weil ich kenne mehrere Bundeslagebilder Menschenhandel, die genau das Gegenteil sagen, dass sogar seit dem Prostitutionsgesetz die Zwangsprostitution beziehungsweise der Menschenhandel – es ist ja gar nicht immer Zwangsprostitution – abgenommen hätte, und die neueste ist von 2012 von Nordrhein-Westfalen. Die Zwangsprostitution oder der Menschenhandel hat dort um 30 Prozent abgenommen.
    Heuer: Es gibt aber diese Frauen, da stimmen Sie mir zu. Wie wollen Sie denen dann helfen?
    Schirow: Wir müssen erst mal Möglichkeiten schaffen, diese Frauen zu finden. Zum Beispiel hier in Berlin ist es so, dass die Steuerfahndung zusammen mit Kripobeamten in die Bordelle reingehen kann, auch jederzeit, und dort sind auch geschulte Mitarbeiter, die Ansätze von Zwang erkennen können und dann natürlich mit den Frauen ins Gespräch kommen können. Das Problem ist leider da, wenn eine Frau wirklich starkem Druck ausgesetzt ist und vielleicht ein Zuhälter sagt, ein Menschenhändler, ich kenne Deine Familie, ich weiß, wo dein Kind zur Schule geht, dass die natürlich dann kein Wort reden. Wir müssen also an dem Schutz der Frau arbeiten, an einem Bleiberecht, und dann sind wir schon ein ganzes Stück weiter.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.