Seit Tagen protestieren Aktivistinnen und Aktivisten gegen den Bau eines rund 30 Kilometer langes Teilstück der A49 von Kassel Richtung Gießen. Dieser soll durch dichte Waldgebiete in Mittelhessen geführt werden, die mit altem Eichenbestand und vergleichsweise gesundem Mischwald als besonders klimaresistent gelten. Mehrere Hektar Bäume sollen für den neuen Autobahnabschnitt im Dannenröder Forst gefällt werden. Am Dienstag (13.10.2020) haben sich Umweltschützer als Protestaktion von einer Brücke auf der A3 abgeseilt. Die Polizei sperrte daraufhin beide Fahrspuren zwischen Idstein und Bad Camberg, was zu kilometerlangen Staus führte. An einem Stauende kam es zu einem Unfall, bei dem ein Mann schwer verletzt wurde.
"Finde es wichtig, dass Protest gewaltfrei bleibt"
Sie finde es ganz bedauerlich, dass ein Mann zu Schaden gekommen sei, sagte die verkehrspolitische Sprecherin der Grünen im hessischen Landtag, Katy Walther, im Dlf. Ob der Auffahrunfall im Zusammenhang mit der Abseilaktion zu sehen sei, müssten aber Gerichte entscheiden. Sie finde es "total gefährlich, so etwas zu machen", die Aktivisten hätten aber das Recht zu protestieren. Ihr ist es wichtig, dass sich alle Beteiligten vorher überlegten, "was ihre Aktionen für Konsequenzen haben" und "dass sie möglichst darauf gucken, dass keine Menschen zu Schaden kommen und sich niemand über den Rechtsrahmen hinaus bewege.
Der Ausbau beschäftigte in den vergangenen Jahren zahlreiche Gerichte. In Hessen steht der Bau der A49 im schwarz-grünen Koalitionsvertrag. Noch immer gebe es am Autobahnbau auf der A49 viel zu ändern, allerdings nicht aus Hessen heraus, sondern in Berlin. "Der Verkehrsminister hat es bis heute in der Hand, das Vorhaben zu stoppen und die Mehrheiten im Bundestag."
Sie verstehe die Wut der jungen Menschen, die da jetzt protestieren und überhaupt keine Argumente dafür fänden, dass man an dieser Stelle einen Mischwald rode für eine Autobahn, die über 40 Jahre alt sei und man nicht darauf eingehe, "dass die Pariser Klimaschutzziele nicht eingehalten werden und der Verkehrssektor am meisten dazu beiträgt".
Friedbert Meurer: Diese Aktion gestern auf der Autobahn A3 – gehen die Aktivisten da zu weit, sich von Autobahnbrücken abzuseilen und den Verkehr zu gefährden?
Katy Walther: Erst mal ist es so, dass die Aktivisten das Recht haben zu protestieren. Uns ist ganz wichtig, dass der Protest immer friedlich bleibt. Und ich finde es ganz bedauerlich, dass gestern ein Mensch zu Schaden gekommen ist. Aber die rechtliche Bewertung dieses Vorgehens müssen natürlich die Gerichte und die Staatsanwaltschaften vornehmen. Und ob dieser Auffahrunfall im Zusammenhang mit dieser Aktion gerichtlich bewertet werden muss, dazu möchte ich mich gar nicht äußern.
"Staatsanwaltschaft und Gerichten nicht vorgreifen"
Meurer: Eine andere Frage ist: Sind Sie damit einverstanden, wenn man sich von einer Autobahnbrücke abseilt? Unten fahren die Autos mit Tempo 130. Das ist okay?
Walther: Ich finde es total gefährlich, so was zu machen, und würde das auch persönlich nicht machen. Aber noch mal, ich habe es ja eben schon gesagt: Die Bewertung müssen da die Gerichte vornehmen, ob das im Zusammenhang zu sehen ist. Da gibt es ja auch schon einschlägige Urteile dazu. Aber da möchte ich der Staatsanwaltschaft und den Gerichten nicht vorgreifen.
"Wichtig, dass der Protest gewaltfrei bleibt"
Meurer: Sie könnten aber jetzt sagen, dass Sie die Aktivisten auffordern, das nicht mehr zu tun.
Walther: Das könnte ich natürlich machen und ich finde es wichtig, dass der Protest gewaltfrei bleibt. Das haben wir ja immer getan. Mir wäre es wichtig, dass die Aktivisten und alle anderen, die beteiligt sind an den Protesten, sich vorher überlegen, was ihre Aktionen für Konsequenzen haben, und dass sie möglichst darauf gucken, dass keine Menschen zu Schaden kommen. Das wäre mir wichtig an der Stelle.
Meurer: Klingt so: Sie raten davon ab, aber Sie fordern nicht direkt auf, es zu unterlassen?
Walther: Ich fordere zu einer Gewaltfreiheit auf und dass sich jeder überlegt, was es für Folgen hat, wenn er so oder so handelt, und ich glaube, da bin ich gerade ziemlich deutlich.
Meurer: Wie weit darf man gehen im Protest gegen den Autobahnbau?
Walther: Ich denke, wir drehen uns jetzt hier ein bisschen im Kreis. Ich habe ja gesagt, rechtlich kann ich diese Sache überhaupt nicht bewerten. Das müssen natürlich die Gerichte machen, inwieweit dieser Auffahrunfall am Ende eines Staus jetzt damit in Zusammenhang zu bringen ist.
Meurer: Ich will auch gar keine rechtliche Expertise von Ihnen. Aber Sie sind ja zum Beispiel im Dannenröder Wald und reden mit Demonstranten. Was sagen Sie denen dann?
Walther: Ich sage denen, passt auf euch auf, überlegt euch genau, dass auf der anderen Seite der Barrikade auch Menschen in Uniformen stecken, und seht zu, dass ihr euch nicht über den Rechtsrahmen hinausbewegt, dass ihr einen friedlichen Protest abhaltet, dass ihr alle Rechte nutzt, die ihr habt als Protestierende, die ja auch festgeschrieben sind. Und ansonsten möchten wir, dass kein Mensch zu Schaden kommt. Das ist meine Position an der Stelle.
"Wir haben da im Moment keine Handhabe"
Meurer: Die Sache selbst, dieser Autobahnbau: Die Grünen waren jahrzehntelang dagegen, haben es aber nicht verhindern können. Sie sollen gesagt haben, die Sache ist gelaufen. Ist die Sache gelaufen? Da gibt es nichts mehr zu ändern am Autobahnbau?
Walther: Natürlich gibt es viel zu ändern am Autobahnbau, aber nicht aus Hessen heraus, sondern das muss der Bundestag und der Bundesverkehrsminister machen. Es ist ja eine Bundesverkehrsautobahn, eine Bundesautobahn, und der Verkehrsminister hat es bis heute in der Hand, das Vorhaben zu stoppen, und die Mehrheiten im Bundestag – und das können sie. Es gab ja einen Moratoriumsantrag der Grünen, genau das zu erreichen und die ÖPP-Projektunterlagen offenzulegen, damit auch da die Bevölkerung Einblick nehmen kann. Beides ist abgelehnt worden vom Bundestag. Von daher haben wir da im Moment keine Handhabe.
Meurer: Stimmt dieser Satz von Ihnen, der von Fridays for Future-Mitgliedern kolportiert wird, dass Sie bei einem Treffen gesagt haben, der Kampf ist verloren?
Walther: Der Kampf ist nie verloren. Es ist natürlich so, dass es noch eine Handhabe gibt. Das habe ich gerade gesagt.
Meurer: Aber die Frage ist, ob Sie den Satz gesagt haben. Haben Sie es gesagt oder haben sie es so nicht gesagt?
Walther: Das habe ich ja gegenüber der "FAZ" schon richtiggestellt. Ich habe gesagt, dass wir von Hessen aus keine Handhabe haben, das Projekt jetzt zu stoppen. Das ist der Satz, den ich gesagt habe.
"Haben es in der Abwägung zu anderen Projekten im Koalitionsvertrag als wichtiges Anliegen der CDU gebilligt"
Meurer: Jetzt wird Ihrer Partei ja vorgeworfen, Sie haben im Koalitionsvertrag oder gegenüber Ihrem Koalitionspartner CDU nicht durchsetzen können, den Autobahnbau zu stoppen. Wie unwohl fühlen sich die Grünen in dieser Situation, dass sie das mit gebilligt haben?
Walther: Na ja, gut. Es ist ja immer so. Wir hatten im ersten Koalitionsvertrag noch reinverhandelt, dass die Finanzierung und die rechtliche Absicherung des Projektes stehen muss, weil wir davon ausgegangen sind, dass der Bund das Geld für dieses Mammutprojekt nicht aufbringen kann. Dann haben wir uns der Situation gegenüber gesehen, dass es dann doch passiert ist und dass wir in Hessen keine Handhabe haben werden. Von daher haben wir es in der Abwägung zu den ganzen anderen Projekten im Koalitionsvertrag als wichtiges Anliegen der CDU gebilligt. Fühlen wir uns damit jetzt wohl, wenn unsere Grünen Orts- und Kreisverbände seit 40 Jahren gegen dieses Projekt kämpfen und dort Umweltschutzprojekte und Klimaschutzprojekte mit jedem Hirschkäfer gemacht haben? – Nein, natürlich nicht.
Meurer: Jahre nach dieser Entscheidung, die ein paar Jahre zurückliegt, fünf, sechs Jahre, sagen Sie heute, das war ein Fehler, der CDU das zuzugestehen?
Walther: Na ja, gut. Wenn man allein regiert, dann kann man 100 Prozent seiner Sachen durchsetzen. Koalitionsverhandlungen sind natürlich immer Zugeständnisse an beide Seiten. Und wenn man sieht, dass man von Hessen aus keine Handhabe hat, eine Bundesautobahn zu verhindern, dann muss man sich in der Abwägung mit den anderen Projekten natürlich irgendwie entscheiden. Die Entscheidung ist gefallen und wir versuchen ja, auf Bundesebene nach wie vor – und das ist ja der Hebel – dieses Autobahnprojekt zu verhindern. Und dann werden wir sehen, was passiert.
"Es geht um die Zukunft der jungen Menschen"
Meurer: Wie schätzen Sie die Stimmung ein unter Klimaschützern? Es gab dieses Treffen von Ihnen, Frau Walther, mit Fridays for Future. Haben Sie das Gefühl, die jungen Leute sind von Ihnen ziemlich enttäuscht?
Walther: Na ja, gut. Es ist natürlich Wut und Enttäuschung da und die verstehe ich total. Es ist ja auch so. Es geht um die Zukunft von uns allen. Es geht um die Zukunft der jungen Menschen. Wir reißen die Klimaschutzziele von Paris und das ist natürlich was, was Frust und Wut auslöst. Ich verstehe die jungen Menschen, die da jetzt protestieren und überhaupt keine Argumente dafür finden, dass wir diesen Mischwald an der Stelle roden für eine Autobahn, die über 40 Jahre alt ist, und überhaupt nicht darauf eingehen, dass die Pariser Klimaschutzziele nicht eingehalten werden und der Verkehrssektor am meisten dazu beiträgt. Das verstehe ich. Aber natürlich ist es auch schwer zu verstehen für die jungen Leute, dass wir uns in der Demokratie nicht über Recht und Gesetz hinwegsetzen, und da kommen wir natürlich immer wieder in Konflikte und in Argumentationen, die wir führen müssen, aber die natürlich nicht immer anerkannt werden. Ich verstehe das total.
Meurer: Hat das der Glaubwürdigkeit der Grünen geschadet?
Walther: Ich finde, es würde der Glaubwürdigkeit der Grünen extrem schaden, wenn wir den Rechtsstaat einfach über Bord werfen. Natürlich ist es schwierig, in der Argumentation immer mit dem Rechtsstaat zu argumentieren, aber das ist das, was uns zum Schluss eint und was unser aller Leitlinie sein sollte. Von daher finde ich, dass es unserer Glaubwürdigkeit nicht geschadet hat, wenn man dieselben Maßstäbe hat wie wir. Aber ich verstehe auch, dass die Jungen da ganz andere anlegen.
Meurer: Wenn Sie mit dem Rechtsstaat argumentieren – ich werde Sie jetzt wahrscheinlich wieder nerven …
Walther: Sie nerven überhaupt nicht!
"Nicht diejenige, die die jungen Leute darüber belehrt, wie sie ihren Protest ausleben"
Meurer: Wenn Sie im Dannenröder Forst sind, dann müssten Sie denen eigentlich sagen, das mit den Baumhäusern ist illegal.
Walther: Na ja, gut. Die jungen Leute sind hin, haben ihre Protestformen gewählt, haben ihre Baumhäuser gemacht, haben jetzt eine Allgemeinverfügung, dass der Wald zu räumen ist in den verschiedenen Räumungsgebieten aus Sicherheitsgründen, und die Polizei setzt das jetzt durch. Ich bin ja nicht diejenige, die die jungen Leute darüber belehrt, wie sie ihren Protest ausleben.
Meurer: Sind Sie von denen mal aufgefordert worden, mit hochzuklettern?
Walther: Nein, bin ich nicht. Wir waren in guten Gesprächen, aber ich bin auch nicht schwindelfrei. Von daher wäre das auch nicht die richtige Aktion für mich.
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