Herbst vergangenen Jahres. Ein weitläufiges Wiesengelände an der Stadtgrenze von Frankfurt am Main und Steinbach am Taunus. Mike Josef, der Planungsdezernent und SPD-Vorsitzende von Frankfurt am Main, ist gekommen. Er stellt sich mehreren hundert Bürgern aus dem Umland der Stadt, die gegen seine stadtplanerischen Vorhaben mobil machen. Als Mike Josef zu sprechen beginnt, rollen Traktoren mit Protestplakaten auf den Platz.
"Ich begrüße auch die Landwirte, das ist nochmal ein anderes Thema, zu dem komme ich auch noch mal gleich."
Landwirte, Bürger von kleinen Taunusgemeinden nordwestlich von Frankfurt am Main, Lokalpolitiker: Sie alle wollen, dass Mike Josef seine Pläne stoppt, am Westrand der Mainmetropole einen neuen Stadtteil für bis zu 30.000 Menschen zu bauen.
Bürger: "Die können im Süden, im Osten, im Norden bauen – nur nicht im Westen."
Reporter: "Ein St.-Florians-Prinzip?"
Bürger: "So ist es."
Bürger: "Ich bin ein Gegner davon, weil ich auch die Gefahr sehe, dass die Gemeinden hier eingemeindet werden, weil Frankfurt schon seit Jahren hier auf den Speckgürtel schielt."
Reporter: "Ein St.-Florians-Prinzip?"
Bürger: "So ist es."
Bürger: "Ich bin ein Gegner davon, weil ich auch die Gefahr sehe, dass die Gemeinden hier eingemeindet werden, weil Frankfurt schon seit Jahren hier auf den Speckgürtel schielt."
Die Großstadt nutzen und zugleich auf Abstand halten
Der neue Stadtteil von Frankfurt am Main würde in der Tat sehr nahe an die Nachbarorte Eschborn, Steinbach oder Oberursel heranrücken. Das Projekt sorgt deshalb für Kontroversen. Im Hochtaunus-Kreis westlich von Frankfurt profitiert man zwar von der nahen Großstadt, will sie aber gleichzeitig auf Abstand halten.
Es geht um den Erhalt der landwirtschaftlichen Flächen zwischen den Taunusgemeinden und der nur wenige Kilometer entfernten Großstadt. Es geht um Frischluftschneisen – vor allem aber um das Landschaftsbild und den dörflichen Charakter der Speckgürtelgemeinden. Man arbeitet gerne in der Stadt, will aber auf dem Land leben, sagt Jürgen Banzer, ehemaliger hessischer CDU-Justizminister und Landtags-Abgeordneter des Main-Taunus-Kreises. Er organisiert gerade für kommenden Sonntag einen Protestmarsch gegen die Frankfurter Pläne für einen neuen Stadtteil:
"Das bedeutet, dass wir von fünf Standorten aus dem Main-Taunus-Kreis, dem Hochtaunus-Kreis und auch aus Frankfurt, wenn ich es genau weiß, zu einer Stelle in der Nähe der künftig denkbaren Baugebiete wandern werden, dort wird es dann eine Kundgebung geben."
"Kein Sturm auf Frankfurt, aber ein sichtbares Zeichen"
Doch anders als der SPD-Ortsverein Steinbach vor einigen Monaten wollen die CDU-Gliederungen des Frankfurter Speckgürtels am Sonntag nicht mit dem Frankfurter Planungsdezernenten über seine Pläne diskutieren – sondern lediglich ihren Unmut ausdrücken. Aber, so Jürgen Banzer:
"Dann wird es keinen Sturm auf Frankfurt geben, sondern eine ganz friedliche Demonstration, aber schon ein sichtbares Zeichen, dass die Bürger der betroffenen Nachbarstädte die Idee, dass man direkt an der Stadtgrenze einen neuen Stadtteil errichtet, nicht als eine gute Idee ansehen."
Doch nicht überall in der Hessen-CDU ist der Protest der eigenen Parteifreunde gern gesehen. Es ist Landtagswahlkampf und es herrscht riesige Wohnungsnot im Rhein-Main-Gebiet. Außerdem: Man sieht sich immer zweimal im Leben. Nicht ausgeschlossen, dass nach der Landtagswahl am 27. Oktober eine große Koalition nötig wird.
Verschiedene Interessen innerhalb Hessens CDU
Zudem unterstützt auch der Frankfurter CDU-Stadtverband im Grundsatz die Konzepte des SPD-Planungsdezernenten Mike Josef. Der hält den protestierenden Bürgern aus dem Umland bei seinem Ortstermin in Steinbach über den Lautsprecher entgegen, dass die Speckgürtelgemeinden längst nicht mehr genug bauen:
"Noch vor 20 Jahren war zwischen Frankfurt und dem Umland, was die Fertigstellung angeht, die Situation so, dass Frankfurt 50 Prozent der Fertigstellung gemacht hat und die Region auch 50 Prozent. Das war angesichts der Nachfrage. Heute ist die Situation so, dass Frankfurt zwei Drittel der Wohnbaufertigstellung macht und die Region macht ein Drittel."
Auch der Organisator der kommenden Demonstration, und Ex-CDU-Minister Jürgen Banzer, ahnt, dass es nicht gut wäre, wenn die Speckgürtel-CDU nun im Landtagswahlkampf so da steht, als ob sie nur die Interessen der oft wohlsituierten Taunus-Bürger verträte. Zumal, wenn die Großstadt-SPD um neuen, bezahlbaren Wohnraum für die urbanen Geringverdiener und die Mittelklasse kämpft.
"Wir wollen selbstständige Orte, wie wir sie jetzt haben"
Banzer, der selbst in Frankfurt zur Schule gegangen ist und dort einst Theologie studiert hat, weiß ja, wie stark das Umland von der Metropole profitiert - wirtschaftlich, kulturell oder auch durch hervorragende Kliniken. Aber er setzt dennoch auf klare Abgrenzung, erzählt er in seinem Wahlkreisbüro im mondänen Kurbad Homburg am Taunusrand:
"Wir wollen nicht, dass die ganze Region ein einziger Siedlungsbrei wird. Sondern wir wollen selbstständige Orte, wie wir sie jetzt haben. Die Menschen, die in diese Region gezogen sind, wollen das und wünschen sich das und wir wollen das stabilisieren. Es ist sowieso klar, die erhebliche Wohnungsnot, die wir in der Region haben, kann man sowieso nicht lösen. Da könnten wir alles bebauen und hätten immer noch nicht alle Fragestellungen gelöst."
Statt an ein neues Quartier am Frankfurter Stadtrand denkt Jürgen Banzer eher an Wohnhochhäuser in der Innenstadt der Mainmetropole – oder an neue Siedlungen ganz weit draußen, aber eben nicht vor den Türen von Eschborn oder Bad Homburg:
"Die hessische Landesregierung hat gerade eine Offensive für das Land, für die ländliche Entwicklung aufgelegt. Ich glaube, dass das richtig ist. Wir können in anderen Weltmetropolen, schauen sie mal London, da wird bis zu zwei, drei Stunden zur Arbeit gefahren, das wollen wir gar nicht, aber man muss das schon etwas in größeren Zusammenhängen denken."
Pendler-Wohnraum bis nach Fulda oder Gießen?
Übertragen auf hessische Verhältnisse hieße das etwa: Neubaugebiete rund um Fulda, Gießen oder im Westerwald für die Pendler ins Rhein-Main-Gebiet anstelle von Neubauten in Frankfurt und Umgebung. Ob das aber wirklich ein Wahlkampfschlager für die CDU bei der Landtagswahl am 27. Oktober sein wird? Jürgen Banzer jedenfalls versteht auch seine Parteifreunde in Frankfurt am Main, die das Thema Wohnungsnot in der Stadt nicht allein der SPD überlassen wollen:
"Wir graben ja auch nicht das Kriegsbeil aus und gehen da mit Axt und Stangen aufeinander los."
Doch lautstark demonstriert werden soll eben doch – am kommenden Sonntag, im Speckgürtel vor den Toren der Mainmetropole.