Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, reichte die DLRG eine Petition mit 120.000 Unterschriften ein. "Schwimmbäder sind eine Daseinsvorsorge. Die Kultusministerkonferenz hat klargestellt, dass das sichere Schwimmen zur Ausbildung im Schulunterricht gehört", sagte DLRG-Sprecher Achim Wiese. "Wie soll das durchgeführt werden wenn keine Schwimmbäder vorhanden sind?" Die Schwimmfähigkeiten bei Kindern lasse dramatisch nach.
Wiese bezog sich auf Umfragen seiner Organisation und sprach davon, dass nur 41 Prozent der Grundschulkinder schwimmen könnten. 80 Bäder pro Jahr werden laut Wiese pro Jahr in Deutuschland geschlossen. Zwar würden auch welche gebaut, insgesamt gehe die Zahl der Bäder aber zurück.
Landsberg: "Kommunen zahlen zehn Euro pro Eintrittskarte dazu"
Gerd Landsberg vom Städte- und Gemeindebund sprach die Kosten an. Statistisch zahlten die Kommunen zehn Euro pro Eintrittskarte drauf, zudem mangele es an Personal, sagte Landsberg. Angesichts von 348 Ertrunkenen in den ersten acht Monaten 2019 müssen man trotzdem etwas gegen die Schließungen von Bädern tun. Das sei aber Aufgabe der Länder und nicht des Bundes.
Deutschland habe einst 6.700 Bäder gehabt, mittlerweile seien es nur noch 5.900. Auch wegen steigender Geburtenraten müsse man diese negative Tendenz umkehren, so Landsberg.
Lesen Sie nachfolgend die kompletten Interviews mit Achim Wiese und Gerd Landsberg.
Christoph Heinemann: Die Selbstauskunft klingt nicht gerade bescheiden, muss sie aber auch nicht. Als größte freiwillige Wasserrettungsorganisation der Welt bezeichnet sich die Deutsche Lebensrettungsgesellschaft, besser bekannt unter dem Kürzel DLRG. Die Organisation schlägt Alarm und hat 120.000 Unterschriften gesammelt, gegen die Schließung von Schwimmbädern in Deutschland. Der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages wird sich der Sache Anfang der kommenden Woche annehmen. Rund 80 Bäder schließen pro Jahr in Deutschland, und das seit langem, und das ist im wahrsten Sinne des Wortes lebensgefährlich, denn aus den Nichtschwimmern von heute können die Ertrinkenden von morgen werden, warnt die Organisation. Am Telefon ist jetzt Achim Wiese, der Pressesprecher der DLRG. Guten Morgen!
Achim Wiese: Guten Morgen, Herr Heinemann.
Heinemann: Herr Wiese, wieso schließen so viele Schwimmbäder in Deutschland?
Wiese: Im Grunde genommen ist das immer ein Grund: Die Gelder sind knapp, die Kommunen haben keine finanziellen Mittel, um das Bad zu unterhalten. Nur wir sagen sehr deutlich: Ein Schwimmbad betriebswirtschaftlich wird sich niemals rechnen, sondern es ist einfach eine Daseinsvorsorge, und wir sagen, sogar eine Pflichtdaseinsvorsorge. Rein formal ist das eine freiwillige, aber Schwimmen ist ein Kulturgut in Deutschland. Und das wurde gerade wieder bestätigt durch die Kultusministerkonferenz gestern durch eine Unterschrift, dass das sichere Schwimmen zur Ausbildung im Schulunterricht gehört. Nur wie soll das durchgeführt werden, wenn keine Schwimmbäder vorhanden sind?
Heinemann: Welche Folgen der Schließungen beobachten Sie?
Wiese: Wir beobachten sehr deutlich, dass die Schwimmfertigkeit insbesondere der Kinder dramatisch nachlässt. Wir haben drei Umfragen gestartet, 2005, 2010 und 2017, und die Zahl der Kinder, die heute noch sicher schwimmen können, also die, die die Grundschule verlassen, beträgt nicht einmal mehr 60 Prozent, sondern es sind genau 41.
"Jetzt benötigen wir einen Goldenen Plan Schwimmbäder"
Heinemann: Herr Wiese, was erwarten Sie von Ihrer Petition?
Wiese: Wir erwarten sehr deutlich, dass sich im nächsten Jahr der Bundestag dieses Themas annimmt und einen sogenannten "Goldenen Plan Schwimmbäder" ins Leben ruft. Es gab den "Goldenen Plan" in den 60er-Jahren. Die Sportstätten wurden geschaffen, insbesondere Schwimmbäder. Dann gab es den "Goldenen Plan Ost" Anfang der 90er. Und jetzt benötigen wir einen "Goldenen Plan Schwimmbäder". Wir wollen nicht ein Bad für jede Kommune, sondern wir fordern beispielsweise Ausbildungszentren, damit die Schwimm- und auch die Rettungsschwimmausbildung – denn die Schwimmer, die dann irgendwo auch ihren Urlaub verbringen, sollen natürlich auch sicher schwimmen können und sich auch sicher dort fühlen. Dazu benötigen wir auch Rettungsschwimmer, die dann eben halt auch für ihre Ausbildung die Bäder benötigen.
Heinemann: Gibt es unter den Städten und Gemeinden auch gute Beispiele?
Wiese: Natürlich gibt es auch Leuchttürme, wie wir heute so schön sagen. Natürlich! Insgesamt – Sie sagten es schon in Ihrer Anmoderation – 80 Bäder pro Jahr im Schnitt werden geschlossen. Das heißt, natürlich werden auch welche gebaut. Es werden mehr geschlossen, aber der Schnitt sind tatsächlich 80 Bäder. Das heißt, die Wasserfläche fehlt schlichtweg.
"Der Staat hat die Aufgabe, Schwimmausbildung zu betreiben"
Heinemann: Herr Wiese, manches Schwimmbad nennt sich heute Spaßbad. Was bringt es insbesondere jungen Menschen, wenn sie rutschen und springen, aber kaum noch schwimmen?
Wiese: Das bringt denen gar nichts, denn sie können sich nicht sicher in diesem Schwimmbad, in diesem Spaßbad bewegen. Auch da gibt es tatsächlich gute Beispiele. Man kann durchaus auch Freizeitbäder, sogenannte Spaßbäder, bauen, wenn dort natürlich auch eine Möglichkeit zur Ausbildung besteht, ein Lehrschwimmbecken mitgebaut wird. Dann haben wir natürlich auch nichts gegen Spaßbäder. Die Schwimmausbildung kann stattfinden und die Menschen können ihren Spaß im Wasser haben, denn das ist und soll auch so bleiben. Wir wollen nicht die Spaßbremse bedeuten oder werden, sondern Spaß im Wasser müssen und sollen alle Menschen haben.
Heinemann: Aber wenn ich Sie richtig verstanden habe: Reine Spaßbäder sollten nicht unbedingt mit Steuergeldern finanziert werden?
Wiese: Das ist so, weil der Staat natürlich auch die Aufgabe hat, diese Schwimmausbildung zu betreiben. Ich sagte gerade, die Kultusministerkonferenz hat das wieder manifestiert. Seit Ende der 70er-Jahre gilt, im Jahrgang drei und vier, spätestens in diesen Jahrgängen soll der Schwimmunterricht in den Schulen stattfinden, und dafür ist die entsprechende Infrastruktur zu schaffen.
Christoph Heinemann: Mitgehört hat Gerd Landsberg, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Guten Morgen!
Gerd Landsberg: Guten Morgen, Herr Heinemann.
Heinemann: Auch an Sie die Frage: Wieso schließen bei uns 80 Bäder pro Jahr?
Landsberg: Das ist ja im Vorbericht schon richtig beschrieben worden. Die Bäder sind teilweise alt. Sie können ein normales Bad wirtschaftlich nicht betreiben. Statistisch legen wir zehn Euro pro Eintrittskarte drauf. Der Renovierungsbedarf ist enorm. Bundesweit sind das 4,6 Milliarden. Es kommt ein weiteres hinzu: Es fehlt nicht nur das Geld, es fehlt teilweise auch das Personal, Leute zu gewinnen, die bereit sind, zu aller Zeit, auch im Sommer, abends, spät diesen Job als Bademeister auszuüben. Auch das ist nicht einfach. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass wir dieses Bädersterben beenden sollten.
"Wir fordern schon lange ein solides, langfristiges Investitionsprogramm"
Heinemann: Die DLRG macht folgende Rechnung auf: 348 ertrunkene Menschen allein in den ersten acht Monaten 2019. Was sollte daraus folgen?
Landsberg: Ja, das ist schlimm, und wir als Deutscher Städte- und Gemeindebund fordern schon lange ein solides, langfristiges Investitionsprogramm, weil die Bäder in die Jahre gekommen sind. Der Bund hat ja ein Förderprogramm aufgelegt mit 105 Millionen. Das ist natürlich vergleichsweise wenig. Aber interessant ist: Er hat es aufgelegt, und schon waren 408 Anträge von Kommunen da, von denen am Ende aber nur 67 bewilligt worden sind. Man muss auch sehen: Das ist natürlich nicht in erster Linie eine Aufgabe des Bundes, sondern der Länder. Die müssen einfach mehr Geld investieren.
Heinemann: Wieso konnten denn diese Bäder früher gebaut und finanziert werden und heute nicht mehr?
Landsberg: Das ist ganz einfach zu erklären. Es hat diesen "Goldenen Plan" gegeben. Man hat das als Herausforderung empfunden und hat dann investiert. Das war in den 60er-, 70er-Jahren. Dann kamen die dramatischen Finanzkrisen, nicht nur der Kommunen, sondern auch Land und Bund, und es ist eine freiwillige Aufgabe. Dann hat man das immer weiter zurückgefahren. Es kommt ein weiteres hinzu, Herr Heinemann. Es geht ja nicht nur um das Schwimmen. Es geht um eine Begegnungsstätte, denn im Schwimmbad, da finden Sie Arme, Reiche, Arbeiter, Manager, Professor, Studentin. Das ist ein ganz wichtiger Raum der Kommunikation.
Hinzu kommt: Wir haben nicht weniger, sondern deutlich mehr Kinder. Die Geburtenraten steigen. Das heißt, wir brauchen viel mehr Schwimmbäder. Wir hatten mal über 6700 und jetzt sind es nur noch 5900. Das heißt, die Tendenz ist negativ, und die müssen wir umkehren.
"Wir haben insgesamt einen Investitionsrückstand von 138 Milliarden"
Heinemann: Immer höhere Steuereinnahmen und immer weniger Geld für Bäder, Musikschulen etc. Wie passt das zusammen?
Landsberg: Das passt ganz einfach zusammen. Wir haben zwar bessere Einnahmen – das haben Sie richtig beschrieben -, aber auch die Ausgaben steigen. Der Sozialbereich steigt weitgehend ungebremst. Vieles, was gut versprochen wird auf Bundesebene, müssen Kommunen bezahlen. Wir haben insgesamt einen Investitionsrückstand von 138 Milliarden, und da sind die Bäder mit 4,6 Milliarden auch dabei. Deswegen brauchen wir da eine langfristige Lösung und keine kurzfristige.
"Ich würde das nicht gegeneinander ausspielen"
Heinemann: Herr Landsberg, in Köln wird gerade das Opernhaus für 800 Millionen Euro saniert. Ich wiederhole das noch mal: Es wird nicht ein neuer Stadtteil gebaut; es wird ein Opernhaus für 800 Millionen Euro saniert. Wie viele Schwimmbäder hätte man von diesem Geld bauen oder erhalten können?
Landsberg: Ja, davon hätte man natürlich eine Menge bauen und erhalten können, und das ist auch ein Konflikt, den die Kommunalpolitik überall hat. Wo setze ich das Geld für freiwillige Aufgaben ein? Und dann muss man natürlich sehen: Eine Stadt wie Köln hat natürlich auch ein hohes Interesse, als Kulturstadt wahrgenommen zu werden. Das erzeugt natürlich auch Nachfrage bei Touristen. Ich würde das nicht gegeneinander ausspielen. Aber man kann den Kommunen nur empfehlen, dieses Thema Schwimmbäder deutlicher nach vorne zu bringen. Andererseits muss man auch sehen: Wenn ich meine Heimatstadt Bonn anschaue, da sind zwei Bäder geplant gewesen und jedes Mal hat ein Bürgerbegehren gesagt, nein, das möchten wir nicht, nicht an der Stelle oder nicht so. Es ist gar nicht so einfach, neue Schwimmbäder zu bauen.
Heinemann: Jetzt wollen wir aber nicht die Verantwortung von schlechten Finanzierungen abwenden. Hamburg hat seine Elphi, Stuttgart den teuren Tiefbahnhof, das Land Berlin, wie wir alle wissen, versucht, einen Flughafen zu bauen, Köln habe ich jetzt genannt. Wieso müssen Schwimmerinnen und Schwimmer diese Millionengräber ausbaden?
Landsberg: Ich glaube, sie müssen sie nicht direkt ausbaden, aber sie müssen natürlich ihre Lobby – insofern ist ja diese Idee der DLRG gar nicht schlecht, diese Petition zu machen – deutlicher artikulieren. Aber natürlich spielt der Sport, die Vereine in der Kommunalpolitik eine wichtige Rolle. Das heißt nicht, dass sie sich in jedem Fall durchsetzen, aber das hat schon Gewicht.
Heinemann: Sollten Kommunen unter Aufsicht gestellt werden bei der Ausgabe öffentlicher Gelder?
Landsberg: Nein, natürlich nicht! Das ist ein wesentlicher Teil der kommunalen Selbstverwaltung. Wir haben ohnehin nur einen kleinen Teil. Es gibt übrigens Kommunen, die haben gar keine Spielräume. Bei den anderen sind das mal drei, vier Prozent der gesamten Ausgaben. Wenn Sie das noch streichen, dann ist die Demokratie vor Ort am Ende. Dann können Sie gar nichts mehr machen. Dann führen Sie nur noch Gesetze aus. Das will niemand und das würde auch mit der Verfassung nicht vereinbar sein.
Heinemann: Wie kann man so was wie in Köln, eine Sanierung für 800 Millionen Euro verhindern?
Landsberg: Das ist eine Entscheidung der Kommunalpolitik vor Ort. Da würde ich mich nicht einmischen.
Heinemann: Also weiter so?
Landsberg: Das muss Köln entscheiden und das müssen letztlich natürlich auch die Wähler entscheiden, ob sie mit der Kommunalpolitik einverstanden sind.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.