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Protest gegen Schulnoten
"Manche Eltern können Kritik schwer akzeptieren"

Eltern wehren sich heute stärker als früher gegen schlechte Noten oder die Nichtversetzung ihrer Kinder, stellt der Pädagoge Thomas Böhm fest. Doch der Bildungserfolg eines Kindes lasse sich nicht über eine juristische Klage herbeiführen, sagte er im Dlf. Das gehe nur gemeinsam mit Lehrern und Eltern.

Thomas Böhm im Gespräch mit Thekla Jahn | 21.06.2019
Ein Vater mit Tochter und Sohn bei den Hausaufgaben
Eltern konzentrieren sich heute sehr stark auf ihr Kind, sagt Pädagoge und Schulrechtler Thomas Böhm (Imago)
Thekla Jahn: In Berlin und Brandenburg haben gestern die Schulferien begonnen, die übrigen Bundesländer folgen jetzt peu à peu, und passend zu den so allmählich auszuhändigenden Zeugnissen ist ein Buch erschienen, ein Ratgeber, "Diese Note akzeptieren wir nicht: Welche Rechte Eltern in Schulen haben". Geschrieben hat es Doktor Thomas Böhm, der am Institut für Lehrerfortbildung in Essen-Werden Schulrecht und Rechtskunde lehrt. Schönen guten Tag!
Thomas Böhm: Schönen guten Tag, Frau Jahn!
Gespür für ein "rechtlich relevantes Argument"
Jahn: Herr Böhm, ein Ratgeber, der Eltern helfen soll, sich gegen die Benotung der Lehrer zur Wehr zu setzen?
Böhm: Ein Ratgeber, der Eltern helfen soll zu verstehen, wie Noten zustande kommen und was der Unterschied ist zwischen einer berechtigten, rechtlichen Kritik an Noten und einer persönlichen Unzufriedenheit, die darauf beruht, dass man vielleicht manche pädagogische Entscheidung sich anders gewünscht hätte, die aber nicht rechtlich zwingend anders ausfallen muss.
Jahn: Das heißt, nach dem Erscheinen Ihres Ratgebers wird es nicht eine Klagewelle gegen Lehrer geben.
Böhm: Nein, auf keinen Fall, denn unter anderem sollen die Eltern ja gerade ein Gespür dafür bekommen, ob sie ein rechtlich relevantes Argument haben, dass sie eventuell gegen eine Nichtversetzung oder eine Note vorbringen können oder ob der Beurteilungsspielraum des Lehrers Vorrang hat.
Kritik an Lehrern in "positive Richtung" lenken
Jahn: Wie ist Ihre Einschätzung? Wehren sich Eltern heutzutage stärker als früher?
Böhm: Eltern wehren sich stärker. Es gibt mehr Beschwerden, Widersprüche, Klagen. Es gibt aber auch mehr kritische Gespräche mit Lehrern, und ich hoffe auf diesem Wege, über die Veröffentlichung, dahinkommen zu können, dass die Energie, die Helikoptereltern, aber auch andere Eltern in Schule und in Kritik an Lehrern investieren, dass diese Energie in positive Richtung gelenkt wird, das heißt also, dass die Eltern erkennen, ein Lernerfolg, ein Erziehungserfolg der Kinder lässt sich letztlich nur gemeinsam mit Lehrern und Eltern erreichen. Auf dem Rechtsweg durch eine Klage oder einen Widerspruch kann ich ja nicht den Bildungserfolg des Kindes herbeiführen, sondern der Bildungserfolg hängt davon ab, ob das Kind was lernt. Das klingt völlig banal, wird aber bei manchen Auseinandersetzungen tatsächlich nicht ausreichend in den Blick genommen.
Kritik kann "positiver Ansatz für Verbesserung" sein
Jahn: Jetzt kann man in den letzten Jahrzehnten ja feststellen, dass es ja mehr oder weniger eine Inflation von Einser-Abituren oder von guten Noten gibt. Ist das wirklich so notwendig, diese Fixierung auf die gute Note für den letztlichen Bildungserfolg eines Schülers?
Böhm: Diese starke Fixierung auf die gute Note ist einerseits ein etwas merkwürdiges Phänomen, es passt ja auch nicht so wirklich gut zueinander, dass man auf der einen Seite sagen kann, generell haben sich Noten eher verbessert, und trotzdem nehmen Konflikte um Noten zu. Das lässt sich aus meiner Sicht aber durchaus erklären. Zum einen ist es ja so, dass mir ein Abitur als solches gar nicht so viel nützt. Ganz wichtig ist, welche Durchschnittsnote habe ich, wenn ich beispielsweise studieren will.
Gleichzeitig sind die Anforderungen für Berufszugänge angehoben worden, also den einen oder anderen Beruf, zu dem ich Zugang hatte mit einem Hauptschulabschluss oder einem mittleren Schulabschluss, da wird heute Abitur verlangt oder Fachhochschulreife. Ein weiterer Faktor ist, glaube ich, eine Schwierigkeit für manche Eltern und Schüler, Kritik oder negative Urteile tatsächlich zu akzeptieren, unter Umständen darin sogar einen positiven Ansatz für eine Verbesserung zu sehen.
Jahn: Ist es so, dass Eltern viel stärker als früher die Autorität von Lehrern anzweifeln?
Böhm: Ja, das ist auch deutlich zu merken. Das hängt einmal damit zusammen, dass generell ja staatliche Autorität häufig infrage gestellt wird und dann damit, dass Eltern sich sehr stark auf ihr Kind konzentrieren. Dann kommt es zu so Situationen, dass ich sage, wie können Sie denn mein Kind vom Unterricht ausschließen, und ich übersehe völlig, dass der Lehrer das getan hat, um den Unterrichtsanspruch der anderen Schüler zu schützen.
Lehrerentscheidungen mit "gutem Willen" begegnen
Jahn: In welchem Fall ist denn das Eingreifen von Eltern sinnvoll?
Böhm: Man muss damit leben, dass Schulen andere Vorgaben haben als die, die man selbst sich vielleicht wünschen würde. Man muss auch damit leben, dass Lehrer Entscheidungsspielräume haben, die sie anders nutzen können, aber man sollte immer mit einigem guten Willen verstehen können, warum das so ist und es nachvollziehen können. Wenn ich da sage, das kann ich nicht, und außerdem handelt es sich nicht um eine Kleinigkeit, sondern schon um etwas Wichtigeres, dann sollte man unverzüglich das Gespräch mit den Lehrern suchen.
Jahn: Wie groß, im Fall der Fälle, sind denn die Chancen, wenn Eltern tatsächlich einen Rechtsanwalt beauftragen und ein Gerichtsverfahren anberaumt wird?
Böhm: Die Chancen sind nicht so groß, wie viele Eltern sich das vorstellen. Also es gibt ja eine bestimmte Elternschaft, die davon ausgeht, wenn ich einen Anwalt beauftrage, dann wird das schon so sein, dass die Schule, die Schulaufsicht dem rechtgeben werden. Das ist in manchen Situationen so, dass da aus unterschiedlichen Gründen nachgegeben wird, obwohl es gar nicht notwendig wäre. Ansonsten hilft mir der Anwalt natürlich auch nur dann, wenn ich im Recht bin.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.