Ulrich Gineiger: "Wofür es sich zu leben lohnt" heißt ein Buch des Philosophen Pfaller. Die Frage, wofür es sich zu leben lohnt, das ist für zahllose junge Mädchen in Deutschland sonnenklar: so zu sein wie Heidi Klum. Germany's next Topmodel heißt es heute Abend in Köln. Abertausende junge Mädchen werden es am Bildschirm verfolgen. Nur ein paar Hundert werden die Gegenveranstaltung sehen, die heute Nachmittag vor der Kölner Domplatte auf sich aufmerksam macht: eine Party der Hamburger Organisation Pinkstinks. Eine Vereinigung, die darauf aufmerksam machen will, dass es sich nicht zu leben lohnt, nur um eine krankhafte Magersucht zu zelebrieren, oder die Persönlichkeit junger Mädchen auf den Horizont einer Barbiepuppe zu reduzieren. Die Veranstalterin von Pinkstinks, Stevie Schmiedel, habe ich gefragt: Angenommen, Heidi Klum würde bei Ihrer Party auftauchen, was todsicher nicht der Fall ist, was würden Sie ihr sagen?
Stevie Schmiedel: Ich würde sie fragen, wie sie sich fühlen würde, wenn ihre Kleine nach Hause kommen würde von der ersten Klasse und Germany's next Topmodel auf dem Schulhof nachspielen würde. Vielen Eltern geht das so heutzutage. Ihre Kinder kommen nach Hause und sagen, Du, Mami, ich glaube, ich bin zu dick, ich kann da nicht mithalten.
Gineiger: Auch wenn sie nicht dick sind?
Schmiedel: Genau! Über die Hälfte der Mädchen in Deutschland fühlen sich zu dick. Das sagen die Studien. Dabei sind nur acht Prozent der Mädchen in Deutschland übergewichtig.
"Heidi Klum verdient sehr gut daran"
Gineiger: Ich stelle mal folgende These auf: Männer finden Frauen aus Haut und Knochen attraktiv. Richtig oder falsch oder irgendwas dazwischen?
Schmiedel: Irgendwas dazwischen. Ich denke, viele Männer fragen sich, okay, das soll ich jetzt toll finden, das wird mir als Statussymbol verkauft, und machen da natürlich auch mit, gerade die jungen Männer. Das ist das, was sie in der Werbung täglich sehen, und natürlich finden sie das dann auch irgendwann attraktiv. Ein ganz genetisches "so finden wir Frauen toll" gibt es bestimmt nicht. Wir sehen, dass in verschiedenen Epochen, in verschiedenen Ländern immer verschiedene Schönheitsideale vorherrschen. Zurzeit haben wir ein besonders schlankes, das liegt natürlich an der Modewelt zurzeit und Heidi Klum verdient sehr gut daran, das zu vermarkten.
Gineiger: Frau Schmiedel, es ist ja nicht nur das Äußere, das heißt, der Trend dahin, immer dürrer zu werden. Es macht ja auch etwas mit den Frauen, mit den jungen Mädchen. Was genau?
Schmiedel: Genau! Es ist einfach so, dass die Mädchen sich sehr um ihren Körper kreisen. Durch diese Sendung, die auch in der Kinder-Spielwaren-Welt angekommen ist, mit Topmodel-Produkten für Sechsjährige, werden Kinder sehr früh erzogen, ständig auf ihren Körper zu schauen: Bin ich dünn genug, ist der Bauch eingezogen, sind die Oberschenkel dünn genug, passt da auch noch was zwischen, der sogenannte "Thigh Gap". Das sind Themen, die Kinder heute beschäftigen, leider viel zu viel. Das macht sie teilweise depressiv. Depression unter jugendlichen Mädchen steigt unglaublich an zurzeit und wir machen uns da Sorgen, nicht nur wir, sondern viele Sozialarbeiterinnen, die mit uns in Kontakt sind.
Gineiger: Wenn ich Sie richtig verstehe, ist das so eine Art, sagen wir, Persönlichkeitsdezimierung?
Schmiedel: Richtig. Es geht nicht darum, dass man toll ist, nett ist, viele Freunde hat und gute Leistung bringt - das auch -, sondern obendrauf muss man dabei auch noch wahnsinnig gut aussehen, und das setzt viele Kinder unter Druck. Wir merken einfach, dass Essstörungen ganz stark angestiegen sind in den letzten Jahren, aber auch, dass Mädchen nicht mit der Faust auf den Tisch hauen. Das merken unsere Pädagogen, die bei uns arbeiten, die sagen, man merkt, dass Mädchen nicht so viel Raum einnehmen wie Jungs, und das macht ihnen Sorgen.
"Darüber nachdenken, was mit unseren Kinder gemacht wird"
Gineiger: Nun hauen Sie auf den Tisch in der Einladung. Da darf ich kurz zitieren: "Alle sind eingeladen, die keine Lust auf Perfektion und Magerwahn haben. Mit Musik, Poetry-Slam, jungen Singer-Songwriterinnen und Straßentheater wird ab 16 Uhr gezeigt, dass man auf viele Weisen top sein kann, nicht nur Topmodel." Ein paar Hundert Leute seien Ihnen gegönnt, aber Tausende sind es am Abend. Und wenn nun dieser Abend vorbei ist, was bleibt denn? Was hinterlassen Sie?
Schmiedel: Protest geht ja heute vielfältig. Das heißt, wir sind auf der Straße, aber vor allem wird ein kleiner Protestfilm gedreht, und dazu hat Sookee, die berühmte Rapperin in Deutschland, extra für uns einen Song geschrieben. Auf diesen Song wird der kleine Film geschnitten und der wird noch in der Nacht viral gehen. Wir haben eine große Community in den sozialen Netzwerken. Das heißt, über Facebook und Twitter wird der Film wahrscheinlich schnell geteilt, und so wird auch noch länger dann der Protest im Netz sein und hoffentlich viele Leute bewegen, darüber nachzudenken, was denn da draußen mit unseren Kindern gemacht wird zurzeit.
Gineiger: So einleuchtend Ihre Argumente sind, auf der anderen Seite steht eine gigantische Werbemaschine. Welche Chancen räumen Sie sich ein?
Schmiedel: Wir räumen uns schon Chancen ein. Wir haben einfach gemerkt, wir hatten eine große Demonstration in Berlin im letzten September gegen den Deutschen Werberat, weil wir gesagt haben, Mensch, Kinder nehmen ständig die sexistischen Botschaften auf, die sie da draußen in der Leuchtwerbung sehen, denkt doch mal drüber nach. Und seitdem verändert sich intensiv die Werbung. Wir können bei der Axe-Werbung, bei der C&A-Werbung sehen, dass die sich schon bemühen. Gerade die Axe-Werbung ist nachträglich vom Werberat zum Beispiel gerügt worden, gemahnt worden, gesagt worden, Mensch, so geht es nicht weiter. Und wir merken schon, dass unsere Proteste Wellen schlagen, auch in den Netzwerken. Wenn wir ein Produkt rügen, dann ist das meistens innerhalb von ein paar Stunden verschwunden, so groß sind wir inzwischen geworden. Deshalb denken wir auch, dass unser Protest nicht unbeachtet bleibt.
Gineiger: Stevie Schmiedel von Pinkstinks zum Thema Topmodel und Magersucht. Wir haben das Gespräch vor dieser Sendung aufgezeichnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.