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Protest in Berlin
Erdogan-Gegner fordern Demokratie

In Berlin haben rund 1.500 Gegner des türkischen Präsidenten Erdogan demonstriert. Sie verurteilten zwar auch den versuchten Militärputsch, warnten jedoch zugleich vor einer Diktatur der AKP. Zudem gab es Appelle an die EU, die Partnerschaft mit der Türkei zu beenden.

Von Kemal Hür |
    Teilnehmer der Demonstration mehrerer türkischer und kurdischer und Initiativen in Berlin gegen den versuchten Militärputsch und für mehr Demokratie in der Türkei.
    Für die Organisation des Protestmarsches hatten sich mehrere türkische und kurdische Vereine und Initiativen zusammengeschlossen. (AFP / Tobias Schwarz)
    "Es wird der Tag kommen, an dem das Volk Erdogan zur Rede stellen wird", skandieren rund 1.500 Demonstranten in Berlin Neukölln und ziehen Richtung Kreuzberg. Auf einem großen Transparent, das in der ersten Reihe getragen wird, steht auf Deutsch und Türkisch das Motto der Veranstaltung: "Weder Militärputsch, noch AKP-Diktatur. Die Lösung ist Frieden und Demokratie".
    Der 50-jährige Erzieher AB[*] läuft in der zweiten Reihe hinter dem Transparent. Er hat Angst um seine Verwandten in der Türkei, sagt er:
    "Ein großer Teil meiner Familie lebt in der Türkei. Alle sind wachsam, alle haben Angst und hoffen, dass nichts passiert. Ich komme aus einer alevitischen Familie. Um meine Sorgen mit den anderen zu teilen, bin ich hier."
    Unter den Demonstranten gibt es viele Aleviten wie AB[*]. Für die Organisation dieses Protestmarsches haben sich mehrere türkische und kurdische Vereine und Initiativen zusammengeschlossen. Sie alle verurteilen den Putschversuch. Erdogans hartes Durchgreifen aber bezeichnen sie als einen zivilen Putsch.
    Provokation durch Erdogan-Unterstützer
    AB[*] wirft dem türkischen Präsidenten sogar vor, er wolle einen Bürgerkrieg provozieren und schicke seine Anhänger zur Machtdemonstration auf die Straße:
    "Erdogan bereitet einen Krieg vor. Dazu braucht er die Unterstützung der Bevölkerung. Dementsprechend werden die Menschen vorbereitet mit Aufrufen. Und ich denke, das wird auch hier seine Folgen haben. Und viele Menschen werden auch hier auf die Straße gehen."
    Als der Demonstrationszug in Kreuzberg in eine Straße einbiegt, wo es viele türkische Anwohner und Geschäfte gibt, kommt es zu einer ersten Provokation. Drei junge Männer schwenken vor einer Spielhalle türkische Fahnen und stimmen einen Fan-Gesang auf Erdogan an:
    "Recep Tayyip Erdogan – Recep Tayyip Erdogan …"
    Polizisten stellen sich vor den Erdogan-Anhängern auf. Ordner lassen ein paar aufgebrachte junge Männer aus dem Demonstrationszug nicht aus ihren Reihen heraustreten. Der alevitische Erzieher schüttelt mit dem Kopf und läuft mit seinen Freunden weiter. Hakan Taş, Linken-Politiker im Berliner Abgeordnetenhaus, der in der ersten Reihe mitläuft, eilt herbei.
    "Mörder Erdogan" - "Es lebe Öcalan"
    Er ist verärgert über die Polizei, die nicht die Personalien der jungen Männer mit den türkischen Fahnen aufnimmt. Die Polizei bewertet das Loblied auf Erdogan als Meinungsfreiheit. Hakan Taş spricht kurz mit den Beamten und kann es nicht nachvollziehen:
    "Die haben mit einer türkischen Fahne in der Hand versucht, die Massen, die an der Demonstration hier teilnehmen, zu provozieren. Die haben lobende Worte über Erdogan gesagt. Auf der anderen Seite darf man aber nicht sagen, dass Erdogan ein Mörder ist. Das ist Doppelmoral der Berliner Polizei, die nicht hinzunehmen ist."
    Auf die Provokation reagieren Teile der Demonstranten aber doch mit dem Spruch "Mörder Erdogan" auf Türkisch. Und eine Gruppe junger Kurden skandiert auf Kurdisch "Es lebe Öcalan". Auf der Strecke durch Kreuzberg halten an ein paar Stellen Menschen türkische Fahnen aus ihren Fenstern heraus. Aber niemand lässt sich davon provozieren. Die Demonstration bleibt bis zum Schluss friedlich.
    Am Zielort werden keine Reden gehalten. Die Organisatoren hätten beschlossen, auf die üblichen Reden von Vereins- und Verbandsvertretern zu verzichten, heißt es. Die kurdische Teilnehmerin Songül Karabulut appelliert an die EU und die Bundesregierung, sich für eine politische Lösung der Kurdenfrage einzusetzen und nicht weiter an einer Partnerschaft mit Erdogan festzuhalten:
    "Wir erwarten, dass die Europäische Union und die Bundesregierung klare Absage an Erdogans Politik darlegt, ihre bisherigen bilateralen und internationalen Abkommen mit der AKP-Regierung einstellt, solange die Türkei nicht bereit ist, an den Verhandlungstisch zurückzukehren und die demokratischen Werte zu entwickeln."
    Demonstration endet mit Schweigeminute für die Opfer von München
    Serpil, eine 35-jährige Pädagogin, sieht die Demokratie in der Türkei in großer Gefahr. In zwei Wochen werde sie in der Heimat ihrer Eltern, wie sie die Türkei bezeichnet, ein letztes Mal ihren Urlaub verbringen. Sie habe zwar keine Angst, jetzt dorthin zu reisen, aber für sie als alevitische Türkin sei die Türkei kein normales Reiseland mehr:
    "Für mich wird das so eine Abschiedsreise sein. Wenn im ganzen Land ein Bürgerkrieg entfacht wird, oder die jetzt anfangen, die Minderheiten zu lynchen, die Todesstrafe eingeführt wird, die Scharia eingeführt wird, dann wird sich das für mich auf keinen Fall mehr rentieren, in die Türkei zu fliegen."
    Während Serpil noch spricht, kommt über den Lautsprecherwagen die Durchsage, dass der vorgesehene Reigentanz zum Abschluss ausfallen wird. In München seien mehrere Personen getötet worden. Die Demonstration endet deswegen mit einer Schweigeminute für diese Menschen.

    [*] Anmerkung der Redaktion:
    Aus rechtlichen Gründen haben wir den Namen anonymisiert.