Auf dem Landschaftsfriedhof in Gatow, im Berliner Süden, weit abgelegen von der Innenstadt, versammeln sich bereits am frühen Vormittag viele Journalisten. Seit den 80er-Jahren gibt es dort ein islamisches Grabfeld. Es liegt idyllisch am Rande des Friedhofs unter Laubbäumen. Auf dem Sandweg zur offenen Grabstelle liegen bunte Rosenblätter. Im Hintergrund, in einem abgeblühten Rapsfeld flattern die Fahnen der EU-Mitgliedstaaten im Wind.
Paul Stauffenberg vom Zentrum für politische Schönheit versteht sich als aggressiver Humanist. Er sagt, "Wir tun als Künstler, was Greenpeace für die Umwelt tut". Wie die anderen vom Zentrum für politische Schönheit trägt er schwarze Farbe im Gesicht. Er wird nicht müde, den Sinn und Zweck der umstrittenen Aktion zu erklären.
Anonym begraben, in Massengräbern verscharrt, das ist das Schicksal Tausender Flüchtlinge, die ihre Flucht nach Europa nicht überleben. Paul Stauffenberg hat in den letzten Wochen viel gesehen.
"Es gibt Friedhöfe auf Sizilien, da ist nicht mal erkennbar, dass dort Gräber sind, da läuft jeder drüber. In Griechenland gibt es ein Massengrab im Hinterland, das ist nicht als Friedhofsfeld gekennzeichnet. Da wurden in den letzten vier Jahren bis zu 700 Einwanderer unbekannt verscharrt.
Wir halten das für menschenunwürdig und es geht jetzt darum, diese Einwanderer menschenwürdig in Berlin zu bestatten und ihnen eine menschenwürdige letzte Ruhestätte zu ermöglichen."
Die Menschenwürde bewahren
Eine Frau aus Syrien ist im März im Mittelmeer ertrunken, als das Boot gekentert ist. Nur ihr Mann und drei Kinder der Familie haben das Unglück überlebt. Die Künstler haben die Frau entdeckt, exhumieren und überführen lassen. Wie genau, das möchte Paul Stauffenberg nicht preisgeben. Es heißt: An diesem Tag soll die Mutter aus Syrien in einem weiß lackierten Holzsarg auf dem islamischen Grabfeld in Berlin- Gatow begraben werden. Ein zweiter, leerer Sarg, wird symbolisch für das Kind in die Erde gelassen.
Vorher ermahnt Stefan Pelzer, auch er vom Zentrum für politische Schönheit, die umherstehenden Journalisten, doch die Würde des Ortes zu achten. Die Frage, ob tatsächlich der Leichnam der Frau im Sarg liegt, verbittet er sich.
"Wir tragen heute eine starke mutige Frau und ihre zwei Jahre alte Tochter zu Grabe. Was ich Ihnen erzähle, ist keine Geschichte, sondern die Realität. Wer ernsthaft glaubt, dies ist nur eine Geschichte, die wir erzählen wollen, der ist an Geschmacklosigkeit nicht zu überbieten. "
Kunst mit politischer Botschaft
Stefan Pelzer zittern die Hände, er wirkt sichtlich berührt. Doch die Mahnung an die eigens geladenen Journalisten erscheint skurril.
Das Dauerklicken der Kameras, die Jagd nach dem besten Bild ist gewollt und wird doch als geschmacklos verurteilt. Die Künstler selbst bleiben über jeden Verdacht erhaben, setzen sie sich doch für die gute Sache ein, fordern ein menschliches Schicksal für Tausende Flüchtlinge, für die die Festung Europa den Tod bedeutet. Paul Stauffenberg.
Das Dauerklicken der Kameras, die Jagd nach dem besten Bild ist gewollt und wird doch als geschmacklos verurteilt. Die Künstler selbst bleiben über jeden Verdacht erhaben, setzen sie sich doch für die gute Sache ein, fordern ein menschliches Schicksal für Tausende Flüchtlinge, für die die Festung Europa den Tod bedeutet. Paul Stauffenberg.
"Wir erwarten von dieser Aktion, Europa in ein Einwanderungsland zu verwandeln. Offensichtlich ist die Politik blind, angesichts dieser Chance, die wir da haben. Schauen Sie sich Amerika Anfang des 20. Jahrhunderts an. Die Welt wäre nicht die Welt heute, wenn Amerika sich damals den Einwanderern gegenüber so verhalten hätte wie die Europäische Union den Einwanderern gegenüber heute."
Auch die Schuldigen sind schnell ausgemacht. Die Namen von über 30 Politikern stehen auf einer offiziellen Gästeliste. Sie gelten als bürokratische Mörder. Allen voran Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Doch die eigens aufgebaute Bühne für die Politprominenz bleibt leer.
"Für mich ist das sehr persönlich"
Der Zug aus Journalisten und einigen wenigen, die spontan gekommen sind, bewegt sich in Richtung Grabstelle. Solara Shiha hält selbstgepflückte bunte Feldblumen in der Hand. Ihr ist es wichtig dabei zu sein, sie möchte sich solidarisch zeigen. Die 28-jährige Syrerin hat es durch ein Stipendium nach Berlin geschafft. Ihre Eltern leben noch in der Nähe von Damaskus. Sie erzählt, dass viele ihre Freunde mit Booten über das Mittelmeer geflohen sind. Sie hatten einfach Glück.
"Ich habe viele Freunde, die sind zum Glück jetzt in Schweden und in Deutschland. Für mich ist das sehr persönlich. Ich habe Leute im Bus kennengelernt, sie wohnen in Berlin und sind einfach hergekommen und ich finde, das ist sehr, sehr schön."
Der Imam erklärt den wenigen anwesenden Muslimen, wie sie sich gen Mekka verneigen. Er sitzt am offenen Grab, sieht hinein und beobachtet, wie die Totenträger den weiß lackierten Holzsarg langsam herablassen.
Das Zentrum für politische Schönheit plant weitere derartige Aktionen. Am Sonntag wollen sie mit einem "Marsch der Entschlossenen" vor das Bundeskanzleramt ziehen und dort ein Friedhofsfeld errichten.