Henning Hübert: Der türkische Präsident Erdogan ist gerade auf Staatsbesuch in Deutschland und auf der Pressekonferenz wurde vor den Augen von ihm und Kanzlerin Merkel ein Fotojournalist abgeführt. Er trug ein bedrucktes T-Shirt: Freiheit für Journalisten stand da drauf auf Türkisch.
Diese Art des Protests funktioniert nach den Spielregeln eines Staatsbesuchs also nicht. Es haben aber auch in Berlin Reporter ohne Grenzen demonstriert, Verdi hat eine Fotoaktion gestartet für die zurzeit mehr als 150 Journalisten in türkischer in Haft.
Und: Der Publizist Michel Friedman ist uns zugeschaltet per Telefon aus dem Haus des Buches in Frankfurt, weil dort gleich mit prominenten Autoren eine Solidaritäts-Lesung des Börsenvereins des deutschen Buchhandels startet. Hallo Herr Friedman! Solidarität mit wem?
Michel Friedman: Mit der Freiheit, mit Menschen, die für Freiheit leben - Künstler, Journalisten, jeder Mann, jede Frau. In der Türkei werden die Menschenrechte von Präsident Erdogan mit Füßen getreten. Wer seine Meinung sagt, muss Angst haben, wird ins Gefängnis geworfen, wird unterdrückt. Wenn so ein Mann in Deutschland einen Staatsbesuch hat, die Frage ist: Warum hat ein Arbeitsbesuch nicht gereicht?
Dann muss die Freiheit hier in diesem Land ihm zeigen, was wir von der Unfreiheit, für die er steht, hält - nämlich gar nichts. Und deshalb lesen wir heute hier in Frankfurt - für die Freiheit, aber auch in Solidarität mit den verfolgten Autorinnen und Autoren in der Türkei. Denn es sind viele Menschen in Gefängnissen, nur weil sie eine Meinung haben - und das ist nicht hinnehmbar.
"Gleichzeitig auch die Feststellung: Wo steht man selbst"
Henning Hübert: Es wird gleich ab 18 Uhr auch in die Türkei gestreamt werden. Herr Friedman, was lesen Sie gleich vor?
Michel Friedman: Ich werde einen Text von Can Dündar lesen - "Lebenslang für die Freiheit". Ich glaube diese Überschrift ist genau das, um was es geht. Die Freiheit ist etwas sehr Dynamisches, und wenn man das Gefühl hat, man sei gerade angekommen, merkt man, dass man es gerade wieder erkämpfen muss. Und das sieht man an vielen Gesellschaften und Ländern.
In diesem Text schreibt der Sohn von Can Dündar ihm ins Gefängnis und man sieht, wie persönlich auch solche Prozesse ablaufen. Es ist natürlich ein politischer Prozess, von dem wir reden, aber gleichzeitig sind es Menschen, einzelne Menschen, ihre Familien, ihre Biografien, die davon getroffen werden, die zerrissen werden, die ihr Leben diesbezüglich teilweise völlig auseinandergerissen bekommen. Und darüber handelt dieser Text. Aber wir reden und werden auch vorlesen Texte von Ahmet Altan, wir werden einen Text von Aslı Erdoğan vorlesen.
Um was es geht, ist, nicht zu schweigen. Um was es geht, ist den Menschen, die, in welchem Land auch immer, in diesem Fall in der Türkei, für diese Freiheit der Meinung, der Kultur, der Positionen, leben und kämpfen, Kraft zu geben.
Das ist aus einem Land wie Deutschland nach wie vor keine große Leistung, man braucht nicht sehr mutig dafür zu sein. Aber die Wachheit, es für dort zu tun, ist gleichzeitig auch die Feststellung: Wo steht man selbst. Das heißt, wenn man es für dort macht, macht man es gleichzeitig auch für hier und für sich selbst.
Und wir sind froh, dass wir hier sehr viele gewinnen konnten, unter anderem Katja Böhne von der Buchmesse oder auch Alexander Skipis, die wir für diese Menschen, die für Freiheit im Gefängnis, in der Unfreiheit oder im Exil sind, unsere Stimme mit auch auf den öffentlichen Platz bringen können.
"Die Feinde der Demokratie, die sind momentan sehr laut"
Henning Hübert: Herr Friedman, da nachgefragt: Wo sitzt für Sie zur Stunde die Zivilgesellschaft, die unser Land repräsentiert - vor Texten regimekritischer türkischer Autoren oder beim Staatsbankett in Berlin?
Michel Friedman: Ich glaube, dies ist so ambivalent und vielschichtig wie das Thema selbst. Denn man muss schon darauf zurückkommen, dass auch in der Bundesrepublkik Deutschland nicht wenige mittlerweile eine Partei wählen, die ebenfalls gerne von Lügenpresse spricht, die ebenfalls gerne davon träumt, dass man nicht mehr sagen kann, was man sagen will, die Künstler unterdrücken, die sexuelle Diskriminierung nach vorne ziehen, die Menschen aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Religion beleidigen, die geistige Brandstifter sind.
Wir haben auch in Deutschland unvergleichbar hier eine stabile Demokratie, in der Türkei eine Autokratie, wenn nicht sogar eine Diktatur, aber auch Themen zu behandeln. Wir müssen der Freiheit, der Demokratie wieder viel mehr Sauerstoff zuführen. Denn auch hier gilt: Die Feinde der Demokratie, die sind momentan sehr laut, die sind momentan auch auf einem Erfolgsweg, und diejenigen, die für Demokratie kämpfen, müssen deutlich wacher, deutlich engagierter und auch deutlich klarer wieder ihre Positionen beziehen. So gesehen - ich komme darauf zurück, wenn man etwas tut, wo es bei anderen schon viel schlechter ist, erinenrt man sich vielleicht auch daran, dass man im eigenen Land vielleicht auch noch etwas mehr tun muss, als man bisher getan hat.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.