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Protestantischer Fundamentalismus
Jesus "war eben auch nur ein Mensch"

Jesus habe auch nicht genau genug gewusst, wer Gott wirklich sei, sagte der Wissenschaftspublizist und evangelische Christ Martin Urban im Deutschlandfunk. Urban ärgert sich über seine und die meisten Kirchen, wirft ihnen vor, die Erkenntnisse der Naturwissenschaft nicht ausreichend zu berücksichtigen. Sein neues Buch "Ach Gott, die Kirche" versteht er – kurz vor dem Reformationsjubiläum – als Weckruf.

Martin Urban im Gespräch mit Andreas Main |
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    Der Wissenschaftspublizist Martin Urban (Imago/teutopress)
    Andreas Main: Herr Urban, wenn aus Ihrer Sicht allenthalben Aberglaube kultiviert wird in der katholischen Kirche sowieso, in den evangelischen Freikirchen erst recht und bis in die Spitze der EKD hinein, frage ich Sie: Was bleibt übrig, wenn alles, was Spiritualität ausmacht, entkernt wird?
    Martin Urban: Also ich denke, viele oder fast alle dieser Aussagen, die wir im Glaubensbekenntnis nachsprechen, sind zu relativieren und nicht mehr absolut zu setzen – etwa gar die Vorstellung eines trinitaren Gottes. Jesus selbst hat nicht an die Trinität geglaubt, sonst hätte er sich ja selbst anbeten müssen. Es bleibt übrig – ja, das, was uns Jesus vorgelebt hat. Er hat den Psalm ausgesprochen im Sterben: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Und dazu aber noch immer gesagt: "In deine Hände befehle ich meinen Geist." Er hat die Hoffnung behalten, trotz der Erfahrung, keine Erfahrung mit Gott zu machen.
    Main: Das, was Sie sich wünschen, eine intellektuelle Kirche, die kritisch ist, die alles hinterfragt, die das Numinose für Hokuspokus hält – die hatten wir doch jahrzehntelang in der evangelischen Kirche in Deutschland. Sie sehen, wo das hingeführt hat. Leere Kirchen. Ist das das Erfolgsrezept?
    Urban: Ja, möglicherweise ist das ein Weg, der so nicht zu einem guten Ende führt, sondern zu einem schlechten. Die Kirchen werden verlassen. Aber ich bin ja auch der Meinung, der Pfarrer auf der Kanzel ist am falschen Platz. Er soll die Menschen begleiten bis in den Tod hinein und ihr Leben lang bei wichtigen Ereignissen. Aber er soll nicht meinen, dass er Gottes Wort verkündigen könne, sondern er muss zugeben, dass er wie alle Menschen auch auf der Suche ist. Die Bibel ist dazu eine gute Grundlage. Aber sie kann nicht auf alles Antworten geben, sondern es zeigt sich, dass sie halt ein von Menschen geschriebenes Buch ist.
    "Wir haben nur Bilder, die wir uns von Gott machen"
    Main: Ich höre raus bei Ihnen, wie eng verbunden Sie mit Ihrer evangelischen Kirche sind – frage Sie dennoch, wozu noch Religion, wenn sie es doch sehr aufs Ethische beziehen, warum nicht direkt konsequenten Agnostizismus?
    Urban: Es gibt ja eben den Atheismus, von dem schon die biblischen Psalmen sprechen: Es gibt keinen Gott. Aber die Aussage: Die Welt, das Universum ist entstanden, ist genauso unverständlich, vielleicht für mich zumindest noch unverständlicher als: Das Universum, die Welt ist geschaffen worden. Also die Aussage, es gibt keinen Gott, ist genauso, wie ich finde, sogar noch mehr fragwürdig als die Aussage, es gibt einen Gott. Wir haben nur Bilder, die wir uns von Gott machen - und die verdanken wir Jesus. Mit denen können wir ganz gut leben, in dem Wissen, dass Jesus auch nicht genau genug wusste, wer Gott wirklich ist. Er hat viel interpretiert, das Ende der Welt nahe gesehen, was bis heute nicht eingetreten ist. Er war eben auch nur ein Mensch, aber ein so außerordentlicher, dass er uns heute noch etwas zu sagen hat.
    Main: Sie hören den Deutschlandfunk, die Sendung "Tag für Tag" im Gespräch mit dem Publizisten Martin Urban über sein neues Buch. Herr Urban, Sie attackieren große Teile der christlichen Kirchen sehr direkt und offen. Es ist Kirchenkritik, aber an einigen Punkten auch noch grundsätzlicher Religionskritik. Wie ist es aus Ihrer Sicht in diesen Tagen bestellt um eine solche kritische Auseinandersetzung mir Religionsgemeinschaften?
    Urban: Die gibt es nicht. Wer sich mit dem Fundamentalismus des Islam auseinandersetzen will, und das müssten wir eigentlich, der muss sich erst mit seinem eigenen Fundamentalismus auseinandersetzen, denn Fundamentalismus macht die Menschen unfrei und neigt in allen Religionen zu Gewalt im Namen Gottes. Wenn ich nur in den USA den Herrn Trump höre, was er für Vorstellungen hat über den Umgang mit anderen Menschen, oder wenn ich eben sehe, was die fundamentalistischen Hindus oder fundamentalistischen Muslime oder eben auch die fundamentalistischen Religionen eben alles an Gewaltvorstellungen entwickeln.
    "Wir müssen christlichen Fundamentalismus ernst nehmen"
    Main: Nationalreligiöses Denken ist ebenso weit verbreitet wie Fundamentalismus. Mein Eindruck über die vielen Jahre ist, dass die Kritik an diesem Phänomen, dass es eher stiller geworden ist, als dass man sich vorwagt und Kritik an Fundamentalismus äußert.
    Urban: Ja, den Eindruck habe ich auch. Die Kombination von fundamentalistischen, religiösen Vorstellungen mit nationaler Macht ist ja sehr ausgeprägt – Herr Putin mit den orthodoxen Christen, Herr Kaczyński und seine national-religiöse Partei in Polen. Also diese Verbindung ist offensichtlich sehr stark und sehr leistungsfähig und schrecklich in dieser Welt.
    Main: Wenn wir ins Inland schauen mit Blick auf die Zukunft, mache ich mir erhebliche Sorgen, ob nicht alle Religionskritik unter Generalverdacht gestellt werden wird – so nach dem schlichten Motto: Wenn die sogenannte "Alternative für Deutschland" (AfD) Islamkritik betreibt, dann darf man keine Islamkritik mehr betreiben. Was natürlich auch anderen Religionsvertretern gefallen dürfte. Teilen Sie diese Sorge?
    Urban: Diese Sorge teile ich. Deswegen betone ich ja, wir müssen erst vor unserer eigenen Haustüre kehren, wir müssen unseren eigenen Fundamentalismus ernst nehmen und seine Ursachen analysieren und im Lichte dieses Wissens unsere Kirche reformieren, eh wir dann uns mit dem Fundamentalismus der anderen Religionen genauso intensiv auseinandersetzen.
    "Ideologiekritik muss in der Kindererziehung beginnen"
    Main: Eine intensive Auseinandersetzung – welchen Gesetzen sollte die folgen, damit es eben keine Hetze wird?
    Urban: Voraussetzung ist die Notwendigkeit, sich mit seinen eigenen Bildern, den Ideologien auseinanderzusetzen. Und die Ideologiekritik zu üben, ist Voraussetzung für all diese Weiterentwicklungen, die ich erhoffe. Es ist eine – wirklich – eine Aufgabe, die man in der Kindererziehung beginnen muss und damit weitergehen muss, dass die Wissenschaftler an den Hochschulen die Freiheit haben, wirklich ihre Erkenntnisse auch öffentlich zu machen. Bisher haben insbesondere die historisch-kritischen Forscher Angst die Dinge auszusprechen. Und ich werde – um das nur am Rand zu erwähnen – von katholischen Akademien eingeladen; und die Theologen sagen dort: "Sie können aussprechen, was wir als Theologen gar nicht sagen dürfen, ohne unseren Job zu verlieren."
    Main: Blicken wir nach vorne in Richtung Reformations-Jubiläum zum Schluss. Ihr Buch hat ja auch den Untertitel: "Protestantischer Fundamentalismus und 500 Jahre Reformation". Es versteht sich als Weckruf zum Reformationsjubiläum. Sie sehen auch positive Ansätze in Ihrer Kirche, der evangelischen. Welche Traditionen sollten gerade im Reformationsjubiläum hervorgehoben werden?
    Urban: Die Tradition, die Martin Luther verfolgt hat, indem er den Bürgermeistern schon sagte: Glaubt nicht alles, was euch erzählt wird! Lest! Schafft Büchereien! Lasst die Leute selber erkennen, was die Wahrheit ist!
    Main: Martin Urban, Publizist in München und engagierter Kämpfer für die Sache der Vernunft. Danke Ihnen, dass Sie sich die Zeit genommen haben.
    Urban: Ich danke auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.