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Protestantischer Widerstandskämpfer
Dietrich Bonhoeffer - Idol der religiösen Rechten

Der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer kämpfte gegen das NS-Regime und bezahlte dafür mit seinem Leben. Man müsse dem Rad in die Speichen fallen, sagte er. Dieses Zitat wird heute von der Neuen Rechten benutzt, um ein Recht auf Widerstand gegen einen angeblich linken Zeitgeist zu beanspruchen.

Von Thomas Klatt |
Der Theologe, NS-Widerstandskämpfer und Pazifist Dietrich Bonhoeffer (undatierte Aufnahme)
Der Theologe und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer wird von der Neuen Rechten vereinnahmt (dpa / Archiv)
"Ich bin stutzig geworden, als im letzten Jahr in Flossenbürg eine große Gedenkplakette von Donald Trump eingeweiht wurde vom amerikanischen Botschafter in Berlin. Ich habe mich gefragt: Donald Trump wird wahrscheinlich noch nie von Dietrich Bonhoeffer gehört haben, warum hängt da jetzt diese Plakette?"
Sagt der evangelische Theologe, Fernsehjournalist und Buch-Autor Arnd Henze. Dietrich Bonhoeffer, der berühmte Lieddichter - "Von guten Mächten still und treu umgeben" -, der Mitbegründer der Bekennenden Kirche, der Widerständler gegen Adolf Hitler. Er ist nicht länger nur Vorbild für die Evangelische Kirche der Bundesrepublik Deutschland. Längst wird Bonhoeffer auch in anderen politischen Lagern geradezu benutzt, meint Arnd Henze.
"Dann ist mir klar geworden, dass natürlich dieser Wählerblock, die ihn wie kein anderer trägt, die religiöse Rechte in Amerika, dass die längst in den letzten Jahren ihren eigenen Zugang zu Dietrich Bonhoeffer gefunden haben und ihn längst vereinnahmt haben, während wir ihn im Mainstream-Protestantismus zunehmend verkitscht haben und gar nicht gemerkt haben, wie der jetzt politisch völlig umgedreht wird, aber auch zur Waffe gemacht worden ist."
Zitate und Personen aus dem Kontext gerissen
Das sieht so auch der katholische Theologe Gregor Taxacher an der TU Dortmund, der über Bonhoeffer geforscht hat. Die neue Rechte in Amerika, aber auch die in Deutschland nehme sich von Bonhoeffer das, was ins eigene Weltbild passe.
"Das ist ein beliebtes Mittel, sich gerade gegen den im weitesten Sinne Nazi-Vorwurf zu wehren. Wir rekurrieren gerade auf Leute, die da im Widerstand gewesen sind. Man greift sich bürgerliche Gestalten auf, die einen konservativen Hintergrund haben. Das ist ja auch eine Strategie, die in den USA rechte Bewegungen kultivieren, dieses völlige Entkontextualisieren von Zitaten, von Ereignissen, von Gestalten", so Taxacher.
"Irgendeinen Spruch, irgendeine Figur, irgendeinen Fakt völlig aus seinem historischen Kontext zu nehmen, nicht analytisch damit umzugehen. Was wird da gemacht auf Facebook? Da werden irgendwelche Bonhoeffer-Sprüche gepostet und dann wird drunter geschrieben: 'Warum muss ich da jetzt an die Flüchtlingskrise denken?' oder so."
Eric Metaxas machte Bonhoeffer in den USA bekannt
Arnd Henze: "Man hat ihn jetzt so umgedeutet, als sei er jemand, der damals dem Unrecht des NS-Regimes widerstanden hat, und heute sozusagen der Wortführer ist für sie, wenn sie dem Zeitgeist widerstehen, denn in Amerika ist ja die religiöse Rechte seit vielen Jahren in einer Art Kulturkampf gegen einen Zeitgeist, den sie für atheistisch halten und der sich dann gegen ganz konkrete Personen wie etwa Barack Obama gerichtet hat."
Eric Metaxas: "Heute möchten wir über Dietrich Bonhoeffer sprechen. Oder wie wir es in Amerika aussprechen: Dietrick Bonhoffer. Einige nennen ihn sogar Bonnheffer bei uns. Das ist nicht korrekt. In Amerika ist es Bonhoeffer."
Eric Metaxas im Januar 2017 bei der "March For Life"-Kundgebung in Washington DC
Eric Metaxas ist ein Kopf der evangelikalen Rechten in den USA (imago stock&people / Cheriss May)
"Eric Metaxas taucht sonst als Aktivist bei rechten Talkshows auf 'Fox News' auf", erlärt Arnd Henze. "Und der hat dieses Bild von Bonhoeffer als dem gläubigen evangelikalen Kämpfer gegen den Unglauben in eine Biografie gebracht, die ist fast eine millionenfach verkauft worden und hat dadurch eine ganz andere Reichweite gehabt als das an Büchern, die wir kennen, die sonst über Bonhoeffer geschrieben wurden."
Eric Metaxas: "Ich denke, das ist eine Herausforderung an die Gemeinde heute, und wir vergessen oftmals, dass mit Jesus zu leben meistens weit mehr kostet als der Preis, den wir zahlen, und dass es das zutiefst satanische Böse gibt in der Realität dieser Welt. Gott rettet uns nicht dazu, ein schönes Leben zu haben, sondern er ruft uns auf zu einem heiligen Kreuzzug gegen das satanische Übel."
Es geht um den Kampf gegen den Zeitgeist, gegen die Aufhebung des Schulgebetes, gegen die Abtreibung. So wie Bonhoeffer gegen Hitler kämpfte, dem Rad in die Speichen fiel, so kämpften heute die religiösen Rechten gegen das sogenannte "Establishment". Arnd Henze:
"In diesem Widerstandspathos kam ihnen Bonhoeffer gerade recht."
Eric Metaxas: "Wenn wir versuchen, unseren wunderbaren Glauben in einem muslimischen Land zu praktizieren, werden wir sehr schnell bedroht damit, dass unser Kopf langsam abgeschnitten wird."
Wer wahrer Christ ist, müsse sich gegen den Islam wenden. Wahre Christen seien eben nicht in den etablierten Kirchen, sondern in der neuen Rechten, so die Botschaft von Eric Metaxas.
Eric Metaxas: "Ich glaube wirklich, dass die Gemeinde weich geworden ist, schläfrig geworden ist, bequem geworden ist. Wir müssen aufstehen."
Der "Bonhoeffer-Moment"
Es gehe dabei nicht um eine sachgemäße Darstellung der Theologie Dietrich Bonhoeffers. Vielmehr werde Bonhoeffer von evangelikalen und neurechten Kreisen benutzt, beobachtet der EKD-Synodale Arnd Henze. Obwohl Bonhoeffer jahrzehntelang das Vorbild für eher progressive und liberale Kreise war.
"Bonhoeffer hat eine große Rolle für die Bürgerrechtsbewegung gespielt, die sich für soziale Gerechtigkeit und in der Friedensbewegung engagiert haben. Man darf nicht vergessen, dass Bonhoeffer ja einige Jahre in den USA gelebt hat, am 'Union Theological Seminary' in New York auch studiert und unterrichtet hat. Aber natürlich war er in einer Minderheit in der Linken bekannt. Und dann kam dieser Eric Metaxas, der einen Bestseller geschrieben hat."
Arnd Henze im September 2015 bei einem Fernsehauftritt im ARD-Hauptstadtstudio
Arnd Henze sieht die Berufung neurechter Kreise auf Dietrich Bonhoeffer kritisch (imago stock&people)
So wie Bonhoeffer gegen Hitler, so müssten gute Christen Widerstand gegen die heutigen Demokraten leisten. Der sogenannte "Bonhoeffer-Moment", entdeckt von Eric Metaxas, weiß Arnd Henze:
"Und als dann Donald Trump 2016 Kandidat wurde, war Metaxas einer der ersten, der der evangelikal-fundamentalistischen Szene gesagt hat: Leute, der mag zwar mit seinen ganzen Affären, seiner sexistischen Sprache und mit allem was sonst an dem Mann schmierig ist, mag er nicht ein Vorzeigechrist sein - aber das ist jetzt der Bonhoeffer-Moment, weil der Mann uns alles verspricht, was wir haben wollen - und er wird es auch einlösen. Und dieser Begriff vom Bonhoeffer-Moment hat in der evangelikalen-rechten Szene ziemlich eingeschlagen."
Die Täter-Opfer-Umkehr
Von den USA her sickere diese Aneignung Bonhoeffers durch die Evangelikalen auch nach Europa. Ähnlich werde der Widerstand gegen Hitler nun auch von der Neuen Rechten und der AfD in Deutschland rezipiert, meint Arnd Henze.
"Die AfD, vor allem der Flügel der AfD, hat im letzten Jahr eine Broschüre rausgegeben, 'Unheilige Allianz', in der sie die wirklich krude These aufstellt, es gäbe eine Kontinuität von den Deutschen Christen in der NS-Zeit über die angeblich staatsfromme Kirche in der DDR bis zu der staatsfrommen 'Merkel-frommen' Kirche heute, die sich dem rot-grünen Zeitgeist ausgeliefert hat. Was im Umkehrschluss bedeutet: Es gibt genau so eine Kontinuität von der Bekennenden Kirche gegen Hitler über die wenigen, die dem SED-Regime Widerstand geleistet haben, also Pfarrer Brüsewitz, bis heute zu denen, die sich gegen Merkel stellen und 'Merkel muss weg!' krakeelen."
In vielen Pfarrämtern werde das nicht einmal bemerkt. Bonhoeffer werde etwa von Gemeindetheologen ungelesen weitergepostet, ohne zu registrieren, dass sie damit AfD-Aussagen verbreiten. Nach dem Motto: Bonhoeffer zu zitieren, kann nie falsch sein.
Widerstand der "guten Deutschen"
Auf der rechtsextremen kreuz-net.at findet sich der Wahlspruch des in der Nazizeit widerständigen Kardinals Clemens August Graf von Galen: "Nec laudibus nec timore!" - "Weder Lob noch Angst". Von Galen hatte öffentlich gegen die Euthanasie protestiert. Die katholische Theologin Sonja Strube von der Universität Osnabrück sagt dazu:
"Dass dieser Blogger nach außen dokumentieren will, er sei gut katholisch, weil er sich auf den ehrenwerten Kardinal von Galen zurückbezieht, und sich selber so etwas wie einen Persilschein ausstellen möchte, der darüber hinwegtäuschen soll, was er ansonsten für menschenfeindliche Inhalte auf seiner Webseite vereinigt."
Der deutsche katholische Theologe Clemens August Graf von Galen (m.) in einer undatierten Aufnahme.
Clemens August Graf von Galen gilt als einer der wenigen Kirchenfürsten, die dem NS-Regime widersprachen (picture-alliance / dpa)
Andere Neurechte bezögen sich auf die Geschwister Scholl oder auf Stauffenberg. Das Erzählmotiv: So wie die guten Nationalkonservativen damals Widerstand gegen Hitler leisteten, so müssten die guten Deutschen heute Widerstand gegen den vermeintlich "links-grünen Mainstream", den "Gender-Wahnsinn" und gegen die "Merkel-Diktatur" leisten. Mariannne Heimbach-Steins, katholische Sozialethikerin an der Uni Münster:
"Das ist natürlich eine Taktik, dass eben der Zugriff auf diese Personen und deren Aussagen sehr, sehr selektiv ist, was auf den ersten Blick zu passen scheint. Und dann wird eine solche Figur zugeschnitten, im Grunde genommen amputiert, dass es dann zu dieser nationalistischen bis völkischen Programmatik passt. Das wird aber einem Gesamtwerk eines Bonhoeffer oder eines Gesamtzeugnisses der Geschwister Scholl oder Kardinals von Galen sicher nicht gerecht. Das gilt es zu destruieren, um zu zeigen, dass es einfach illegitim ist, in dieser Weise die Gestalten des Widerstandes für die Ideologie des Rechtspopulismus zu vereinnahmen."
Die Kirchen brauchen einen "status confessionis"
Der Schutz des christlichen Abendlandes sei auch so ein Narrativ, das von den Neu-Rechten kaum mit Inhalt gefüllt werde. Das sei aber kein Zufall, sondern geradezu Taktik, meint Heimbach-Steins.
"Das Christentum wird beschrieben als tolerante Religion und in Stellung gebracht als identitätsstärkendes Moment der AfD, als affirmativen Faktor gegen alles dessen, was islamisch ist."
Es brauche dagegen endlich bei den verfassten Kirchen ein Bewusstsein, dass sich auch in Deutschland eine religiöse Rechte bildet, die die Bekennende Kirche, Bonhoeffer und andere Gestalten der deutschen Geschichte für sich benutzt. Arnd Henze:
"Wir müssen aufpassen, dass wir nicht Bonhoeffer so sinnentleeren, dass die Sprüche zeitlos schön auf Kalenderblätter passen. 'Man muss dem Rad auch mal in die Speichen greifen' auf Kalenderblätter drucken, ohne den konkreten Kontext, was er damit gemeint hat, dann, wenn der Staat versagt, wenn er in jeder Funktion nicht mehr den Menschen Schutz bietet, wofür ein Staat da ist. So genau hat das Bonhoeffer formuliert. Wenn wir diesen Kontext nicht mehr im Bewusstsein haben, dürfen wir uns auch nicht wundern, wenn andere ihn aus dem Kontext reißen und für sich benutzen."
Kein "Copyright" für Bonhoeffer
Natürlich gebe es kein Copyright auf Bonhoeffer und andere. Nur dürften die Kirchen solche gewichtigen Theologen nicht den Neuen Rechten überlassen. Gerade Dietrich Bonhoeffer sei ein Kronzeuge dafür, dass sich die Kirchen gegen jede Form der Menschenverachtung wehren müssten. Gerade jetzt, im 75. Jahr seiner Ermordung, sagt der katholische Theologe Gregor Taxacher.
"Es braucht einen innerchristlichen Diskurs darüber, ich nenne es tatsächlich als Anleihe an die Bekennende Kirche und Dietrich Bonhoffer, den 'status confessionis'. Also: An welchen Stellen gibt es einen Bekenntnisnotstand? Das war in den 30er-Jahren, als sich die Bekennende Kirche formierte, der Arierparagraph.In dem Moment, wo die Kirche Christi Juden ausschließt, in dem Moment ist sie nicht mehr die Kirche Jesu Christi. Solche Fragen. In dem Moment, wo wir beispielsweise Menschenrechte partikularisieren und sagen, Menschenrechte gelten eher für Einheimische als für Zugewanderte oder so etwas. Da müsste die Kirche sagen, da haben wir nicht irgendwie ethisch-moralisch etwas zu sagen, sondern das ist ein christlicher 'status confessionis'."