Andreas Main: Evangelische Theologen kennen Heinz Zahrnt ausnahmslos. Auch viele am Christentum interessierte Nicht-Theologen dürften ihn kennen - allerdings vor allem die Älteren. Dabei wirkt der, um den es nun gehen soll, wenn man ihn neu liest, ganz frisch und aktuell:
Heinz Zahrnt. Er legte vor knapp 50 Jahren - und zwar 1966 - einen Beststeller-Erfolg hin. "Die Sache mit Gott" heißt das Buch. Zahrnt war ein viertel Jahrhundert lang theologischer Chefredakteur des "Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt", und er engagierte sich im Präsidium des Kirchentags. In diesem Jahr wäre der 1915 in Kiel geborene Heinz Zahrnt 100 Jahre alt geworden und aus diesem Anlass ist gerade ein Heinz-Zahrnt-Lesebuch erschienen - mit dem Titel "Gott kann nicht sterben".
Herausgeberin ist eine langjährige Freundin und Vertraute des großen Theologen, Schriftstellers und Publizisten: Margot Käßmann. Auch Beststeller-Autorin, auch bekannt für ihre klare theologische Sprache. Margot Käßmann war Bischöfin und Ratsvorsitzende der EKD, der Evangelischen Kirche in Deutschland, und sie ist heute Botschafterin der EKD für das Reformationsjubiläum. Guten Morgen Frau Käßmann.
Margot Käßmann: Guten Morgen.
Main: Sie haben damals am Grab gesagt, des theologischen Disputierens wird im Himmel kein Ende sein - nicht mit Heinz Zahrnt. Eine hübsche Pointe. Aber mal zur Erklärung für Nachgeborene: War Heinz Zahrnt so debattierfreudig?
Käßmann: Er war sehr debattierfreudig. Als ich das bei der Beerdigung gesagt habe, hat auch die Trauergemeinde - sagen wir mal - hörbar geschmunzelt, weil jeder wusste, er hat gerungen um Formulierungen wie niemand sonst, den ich gekannt habe. Wie drücke ich etwas aus? Wie rede ich über das Sterben? Wie rede ich über Auferstehung - was wir alle heute immer noch schwierig finden? Und er hat dann wirklich mich manchmal auch angerufen und hat gesagt: "Jetzt hören Sie sich mal diese drei Sätze an! Geht das so? Können wir das so ausdrücken?" Dann hat er die Sätze wieder umgebaut und hat eine Woche später - wegen dieser drei Sätze - noch mal angerufen und hat gesagt: Jetzt ist es besser, oder? Das heißt, das war jemand, der um eine ganz schlichte klare Sprache gerungen hat. Das ist manchmal viel schwerer als in langen Sätzen etwas zu umschreiben.
Theologisches Ringen
Main: Wenn ein so Debatten suchender und nach der richtigen Formulierung ringender Mann heute lebte, was würde ihn stören an seiner und ihrer Kirche?
Käßmann: Ich denke, ihn würde stören, dass wir nicht mehr theologisch so ringen. Ich habe das bei Kirchentagen als junge Frau, lange bevor ich da selber aktiv wurde, erlebt. Ein Abend mit Heinz Zahrnt, das war ein Abend, an dem es wirklich um Theologie ging. Wie spreche ich vom Glauben? Was glaube ich eigentlich? Was kann ich ausdrücken? Einer der schönsten Sätze finde ich, den er mal geschrieben hat: Also, wie gehen wir damit um, dass wir nicht wissen, was nach dem Tod passiert? - und dann hat er gesagt: Ein Rätsel bleibt ein Rätsel, ein Geheimnis kann man nicht lösen, aber mit einem Geheimnis kann man leben, wenn man Vertrauen hat. Das sind tiefgründige Sätze. Die hören sich erst einmal so lapidar an. Aber ich finde, das ist eine der schönsten Beschreibungen überhaupt, wie es nach dem Tod weitergehen kann. Oder ich erinnere mich daran, dass er in seinem letzten Buch - ich glaube "Unter leerem Himmel" im letzten Kapitel schreibt: Wenn der Arzt sagt Exitus, sagt unser Glaube Introitus - Ausgang und Eingang in eine neue Welt. Das sind wunderbare Formulierungen. Im Moment fehlt es auch an Kirchentagen - denke ich - dieses Ringen um den Glauben selber: Was glaube ich? Was glaubst du?
Main: Mal abgesehen davon, dass Sie deutlich jünger sind als Heinz Zahrnt - was unterscheidet Sie inhaltlich von ihm?
Käßmann: Nun, ich denke, mich unterscheidet immer noch, was uns damals unterschieden hat, worüber wir damals schon gestritten haben. Ich war immer bewegt sehr stark doch von der Friedenbewegung und vom Konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung - also diese Ökumene nicht nur im konfessionellen Sinne, sondern in Fragen weltweiter Gerechtigkeit und auch politischer Auseinandersetzung. Das war so sehr sein Thema nicht. Obwohl ich im Buch im ersten Teil einen Text herausgegeben habe, den er kurz nach dem Zweiten Weltkrieg geschrieben hat - 1946. Ich habe ein kleines Bändchen von 1947, noch ‚mit amerikanischem Recht gedruckt‘, steht da drin. Das ist sehr anrührend, finde ich. Und da ringt er um den Sinn des Lebens. Da kommt ein bisschen durch diese Frage des Kriegs: Wie sinnlos sind eigentlich diese Jahre, die er selber als junger Mann auch im Krieg erlebt hat.
"Er war kein politischer Theologe"
Main: Aber insgesamt kann man sagen, er hat sich kaum zu politischen Fragen geäußert. Sehe ich das richtig? Das ist die eine Seite der Frage. Und das ist wohl auch etwas, was ihn massiv von Ihnen unterscheidet? Wer liegt in diesem Punkt richtig?
Käßmann: Ihn unterscheidet das von mir, oder ich mich von ihm, auf jeden Fall, dass er kein politischer Theologe war - in dem Sinne. Ihm ging es wirklich um die Glaubensfragen. Und die Welteinmischung - das war sein Thema so sehr nicht. Aber wenn wir darüber gesprochen haben und ich gesagt habe: Das ist doch die Konsequenz des Glaubens, dass sie in der Welt gelebt werden muss und die der Kirchentag für mich auch symbolisiert, konnte er sich schon drauf einlassen. Aber es war nicht sein Thema. Und was er darüber hinaus ganz schrecklich fand: Das war eben feministische Theologie, die Gott auch als Mutter sehen kann, sowie das Verständnis von Gott in femininen Zügen. Da hat er sich ja auch mit Dorothee Sölle ganze Schlachten geliefert - natürlich gewaltfrei, ganz klar. Aber Dorothee Sölle mit der "Gott-ist-tot"-Theologie und Heinz Zahrnt dann dagegen "Gott kann nicht sterben" - das war aber theologisches Ringen.
Main: Frau Käßmann, gehen wir mal hin zu dem, was Heinz Zahrnt theologisch geprägt hat. Was oder wer hat ihn maßgeblich beeinflusst in seinem Denken?
Käßmann: Für ihn waren es schon die großen Theologen seiner Zeit. In "Die Sache mit Gott" hat er die ja beschrieben. Ich bin der Überzeugung, dass es nicht der eine war, sondern ihn hat das theologische Ringen - sagen wir mal Karl Barth, Bultmann, Tillich - die kommen da alle ja auch vor - fasziniert. Dieses Ringen um Theologie im 20. Jahrhundert: Wie können wir von Gott reden in einer aufgeklärten Gesellschaft? Die Aufklärung war ihm wichtig. Ich denke, dass er einer der Theologen ist, Heinz Zahrnt, die am deutlichsten gesagt haben, wir müssen Glaube und Vernunft zusammenhalten. Also alles Evangelikale, Fundamentalistische wäre ihm völlig fremd gewesen, weil er gesagt hat, wir müssen fragen, forschen. Theologie heißt immer wieder nachfragen, vielleicht auch die eigenen Positionen ändern sogar. Da, denke ich, hat ihn die Debattenkultur der Theologie des 20. Jahrhunderts, die ja gerade in der ersten Hälfte großartig war, fasziniert. Das beschreibt er in "Die Sache mit Gott". Ich habe nie vorher so gut begreifen können, was die Theologie im 20. Jahrhundert auch geleistet hat.
"Kirche braucht eine Laienbewegung"
Main: Oft sind Überzeugungen und Haltungen ja auch geprägt von biografischen Erfahrungen. Gibt es Erlebnisse, Ereignisse im Leben von Heinz Zahrnt, die seine Theologie beeinflusst haben?
Käßmann: In dem ersten Band, den er herausgegeben hat, hat ein Redakteur, vielleicht ein Lektor des Verlages, der nicht genannt ist, sehr schön beschrieben, dass er einer dieser Menschen war, die eben aufgewachsen sind oder geboren sind hinein in den Ersten Weltkrieg. Die ganze Zerrissenheit zwischen den beiden Weltkriegen, Weimarer Republik, Beginn des Hitlerreiches - die Frage, wie verhalte ich mich dazu - und dann selbst in diesen Krieg zu ziehen, das hat ihn enorm geprägt. Ich weiß auch von anderen, dass auch das Sonntagsblatt und der Kirchentag für ihn so wichtig waren, weil es ja eine Generation von Männern war, die nicht Pfarrer wurden, also nicht in der Kirche sozusagen im geistlichen Auftrag waren, aber gesagt haben, die Kirche braucht eine Laienbewegung, die dafür Sorge trägt, dass sie nie wieder so in die Irre geführt wird - von Bischöfen auch - wie in der Zeit des Nationalsozialismus. So ist der Kirchentag entstanden. Reinold von Thadden-Trieglaff hat ihn gegründet, um zu sagen: Wir brauchen eine Laienbewegung gegen den Widerstand doch vieler Kirchenleitungen, die gesagt haben: ‚Was brauchen wir eine Laienbewegung? Wir haben doch die Kirche und die evangelische Kirche ist immer auch Kirche von unten.‘ Das haben sie durchgesetzt und Heinz Zahrnt war im Kirchentagspräsidium auch sehr eng mit Klaus von Bismarck befreundet und kannte von Thadden-Trieglaff noch. Ich denke, diese Generation war beeinflusst - vom Schock auch zu sehen, dass die Kirche verführbar ist durch Macht und auch durch ungerechte Macht. Ich habe ihn auch so erlebt - Heinz Zahrnt hat ja auch ein Buch über Martin Luther geschrieben…
Main: ... seine Doktorarbeit.
Käßmann: Ja. Und das Buch ist heute noch relevant, denke ich, auch die Auseinandersetzung mit der Obrigkeitsfrage. Also ich glaube, dass diese Generation von Männern, die das erlebt hat und die sich dann so stark gemacht haben in der Laienbewegung und dann auch mit dem Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt, weil sie gesagt haben, wir brauchen gebildete Christen. Der evangelische Christ - Christin hat er ja nicht gesagt - muss so gebildet sein, theologisch, dass sie in der Lage sind zu unterscheiden. "Krinein" - also, das war ihm wichtig.
"Die Sache mit Gott"
Main: Rund 20 Jahre nach Kriegsende hat Heinz Zahrnt dann "Die Sache mit Gott" vorgelegt - 1966. Was ist der Grund dafür, dass dieses Buch so einflussreich wurde?
Käßmann: Das Buch wurde so einflussreich, weil es eben nicht gesagt hat: Das ist die eine Theologie des 20. Jahrhunderts. So hat es auch mich damals fasziniert. Ich habe es im ersten Semester 1977 gelesen und war doch ziemlich verwirrt, was es alles gibt an Schulen, denen du dich anschließen kannst. Wessen Schülerin bist du denn und wo hast du studiert? Bist du Tübingen-Schule? Und in Tübingen: Gehörst du zu Jüngel oder zu Moltmann - da sollte man sich damals schon entscheiden. Und Heinz Zahrnt ist es, denke ich, in dem Buch gelungen, zu sagen, die Theologie an sich ringt. Er hat diese verschiedenen Theologen des 20. Jahrhunderts, die uns alle beeinflusst haben, in einen Zusammenhang gestellt. Ich glaube, das war das Faszinierende, dass du nicht nur ein Segment in der Hand hattest, sondern plötzlich das Gefühl hattest, das ist die Sache mit Gott insgesamt, um die da gerungen wird. Es war auch ein bisschen beruhigend, gebe ich ganz offen zu, weil man plötzlich das Gefühl hatte, du stehst da, wo du jetzt stehst mit deinem Theologietreiben, in einem Gesamtzusammenhang. Ich denke, das hat die meisten Menschen fasziniert, das zu begreifen.
Glaube und Vernunft zusammenhalten
Main: Frau Käßmann, Zahrnt wird immer wieder bescheinigt, es sei ihm gelungen, einem breiten Publikum die Ergebnisse neuzeitlicher Theologie und deren Auseinandersetzung mit Religionskritik verständlich zu machen. Wie hat Heinz Zahrnt das geschafft, was war seine Strategie?
Käßmann: Ich finde, dass er es geschafft hat, Menschen nahe zu bringen, was auch historisch-kritische Erkenntnis ist. Das bleibt bis heute ein Problem. Nehmen wir ein Thema wir Jungfrauengeburt. Da sagen Menschen: Ich störe mich so an der Jungfrauengeburt, das kann ich nicht glauben. Dann fragen sich manche: Ist das nicht in der Theologie schon so lange geklärt, dass da ein hebräischer Begriff - "Alma" - ins Griechische übergeht - "Parthenos" - und dann das ganze griechische Denken damit verbunden wird, was das hebräische Denken im Sinne sexueller oder biologischer Jungfräulichkeit gar nicht hatte. Warum kommt diese Erkenntnis in der Gemeinde nicht an? Das war Heinz Zahrnts Anliegen, ganz stark zu sagen, diese wissenschaftliche Erkenntnis, wir können Glaube und Vernunft zusammenhalten, die muss doch mal in der Gemeinde vor Ort ankommen. 1966 schon hat er geschrieben im Vorwort zur "Sache mit Gott“: ‚Fast mit Bestürzung haben wir immer wieder erfahren, dass man der Gemeinde die Erkenntnisse der Theologie vorenthalten, ja ihr bewusst verschwiegen hat.‘ Das war ein Nerv bei ihm zu sagen, was wissenschaftlich erarbeitet ist an der Universität, muss doch bei den Menschen auch mal ankommen. Deshalb - das können wir sagen - 1969 auf dem Kirchentag in Stuttgart war Heinz Zahrnt eine Figur, an der sich ganz viel Auseinandersetzung festgemacht hat, weil bis heute ja in vielen Bereichen gerade historisch-kritische Exegese der Bibel nicht gern gesehen ist.
Main: Glaube und Vernunft zusammenbringen. Sie sprechen vom Kirchentag 1969. Er hat sich eben auch Feinde gemacht, nicht nur Freunde. Wie verliefen da die Fronten?
Käßmann: Also, er hatte, würde ich sagen, Auseinandersetzungen an zwei Seiten oder meinetwegen auch Fronten. Das eine war schon der evangelikale Bereich, würde ich mal sagen, der eher fundamentalistische Bereich der evangelischen Kirche, der die Anwendung der wissenschaftlich-kritischen Methode auf die Bibel abgelehnt hat. Das ist bis heute Thema. Ich bekomme bis heute noch Mails, dass das ein Abfall vom Glauben sei. Und als ich anfing, Theologie zu studieren, da hieß es auch, wer Theologie studiert, kann nachher nicht mehr glauben. So eine Angst war das. Und das war sein Punkt, dass er gesagt hat: Davor muss der Mensch keine Angst haben; das können wir auch den Laien nicht vorenthalten. Diese wissenschaftliche Erkenntnis muss so übersetzt werden, dass jede Kirchengemeinde damit etwas anfangen kann. Das - denke ich - war eine seiner Auseinandersetzungen. Und die andere war sicher eher auf dem linken Flügel der reformatorischen Kirchen - oder wie er gesagt hat, des Protestantismus: nämlich der politisch-feministische Teil. Also Dorothee Sölle - habe ich schon genannt - und Heinz Zahrnt wären in diesem Leben keine Freunde mehr geworden, nein.
Die Gottheit Gottes umkreisen
Main: Margot Käßmann, an Heinz Zahrnts Grab haben sie gesagt, "Die Sache mit Gott" - das war sein Lebensthema. Welches Gottesbild hat er vermittelt?
Käßmann: Wir haben einmal beim Mittagessen darüber gesprochen, und da hatte ich schon das Gefühl, dass da in Heinz Zahrnt schon auch noch stark etwas ist, was ich auch für mich kenne, das Bild des Vatergottes, des personalen Gottes. Aber gleichzeitig hat er Gott doch als Geheimnis am Ende gesehen, das wir eben nicht entschlüsseln können. Das muss ich sagen, das habe ich von Zahrnt auch immer mitgenommen. Wir können über Gott sonst wie reden, aber Gott ist für Christen nicht ein Gefühl, was dir auf dem Waldweg begegnet, sondern wegen Jesus Christus erkennen wir Gott. Das war für ihn schon entscheidend - die Bilder, die Jesus in den Gleichnissen gegeben hat: Gott wie ein Vater, der den Sohn wieder aufnimmt, oder: Wie der Weingartenbesitzer, der will, dass jeder den Dinar zum Leben hat, den er braucht.
Main: Er umkreist quasi die Gottheit Gottes. Könnte man das so formulieren? Sein Nachdenken über Gott mündet dann auch darin, dass er eben nicht mehr an die Allmacht, sondern an die Allgegenwart glauben mag. Er lässt Zweifel zu.
Käßmann: Also das auf jeden Fall. Ich meine, Heinz Zahrnt wäre der letzte, der sagen würde, es gäbe Glauben ohne Zweifel. Ich finde das eine schöne Umschreibung zu sagen, er umkreist es von Buch zu Buch, immer wieder. Er hört ja auch nicht auf zu schreiben, weil "Die Sache mit Gott" - das habe ich damals auch gemeint bei der Traueransprache - die „Sache mit Gott“ war sein Lebensthema, seine Lebensfrage. Ich fand das letzte Buch mit dem Titel, über den er sehr lange nachgedacht hat, auch sehr passend - "Glaube unter leerem Himmel", weil er gesagt hat: Die alten Wahrheiten, auf die kann man sich nicht verlassen heute und die kann man nicht einfach so treu weitergeben, sondern wir müssen damit leben, dass der Himmel jetzt erst einmal für die meisten Menschen so leer ist, weil das Weltbild sich derart verändert hat, derart erweitert hat. Und trotzdem bleibt die Gottesfrage relevant, wir müssen mit der Gottesfrage weiter ringen. Ich sehe sein ganzes Leben als dieses Ringen: Wo ist Gott? Also von der Kriegsfrage: Wo ist Gott in dieser Kriegserfahrung, wenn ich keinen Sinn im Leben mehr finde, keinen Sinn mehr sehen kann? Bis hin zur Frage: Wenn mein letztes Kapitel aufgeschlagen ist in meinem eigenen Leben, wie finde ich da Gott und wie kann ich mich Gott annähern? Die Antwort kann immer nur eine Annäherung sein.
Glaube unter leerem Himmel
Main: "Glaube unter leerem Himmel" - dazu passt auch sehr schön ein Satz, der mich sehr fasziniert hat: Theologie-Treiben, das sei das Abarbeiten an der scheinbaren Abwesenheit Gottes. Ist das dialektisches Denken, ich weiß nicht, ob der Begriff passt. Auf jeden Fall dieses Denken, einerseits sehr komplex, bei der Lektüre bleibt man hängen, aber es klickt auch relativ schnell.
Käßmann: Ich denke, das hat die Faszination ausgemacht, auch an den Abenden. Die Menschen - das müssen Sie sich vorstellen damals - der hat drei Abende beim Kirchentag einen Vortrag gehalten, eine Stunde ganz konzentriert tiefe Stille, und genau solche Sätze, die du weiterdenkt, das war seine große Stärke. Sätze, die ich auch selber dann mitgenommen habe zum eigenen Weiterdenken. Er wollte nicht die Antworten auf alles geben. Das, denke ich, war auch seine Stärke, dass er nicht gesagt hätte, ich weiß die Antworten auf die Glaubensfragen. Sondern am schönsten wäre es für ihn gewesen: dieses Klick! Und der Mensch denkt selber weiter oder fängt an weiter nachzulesen und fragt sich, was glaube ich. Das ist etwas, was mir manchmal heute fehlt, dass wir tatsächlich eine Sprachfähigkeit im Glauben neu finden. Das hat übrigens Zahrnt auch an Luther so fasziniert, dass er diese Sprachkompetenz hatte, vom Glauben so zu reden, dass der Mann auf der Straße, die Frau in der Kirche, das Kind beim Spielen versteht, dass man deutsch mit ihnen redet, wie Luther im ‚Sendbrief vom Dolmetschen‘ geschrieben hat. Ich glaube, das war schon sein Ansporn, die Theologie nicht in eine Kirchennische zu entlassen, sondern als Weltkind zu sehen, das sich in der Welt auch zu bewähren hat.
Main: Sinngemäß sagt er, es sei egal, ob Jesu Grab voll oder leer war. Wie meint er das?
Käßmann: Na, das ist in seinem Jesusbuch, glaube ich, das Hilfreiche - oder das war für mich auch hilfreich: Es ist egal, ob das Grab leer oder voll war. Sondern das Entscheidende ist, dass die ersten Jünger - ich würde auch sagen Jüngerinnen, Zahrnt hätte das nicht gesagt, diese Erfahrung gemacht haben, dass der Tod nicht das letzte Wort hatte in der Geschichte des Jesus von Nazareth. Ob er im Grab lag oder nicht, ist dafür überhaupt nicht entscheidend. Entscheidend ist die Erfahrung, dass der Tod nicht die Macht hat.
Main: Also es kommt nicht auf die historische Leiche an?
Käßmann: Ob da eine historische Leiche ist, ist nicht relevant. Genauso wenig ist es relevant, ob da ein Kind in einer Krippe lag, wie Lukas das erzählt und es wahrscheinlich gar nicht wahr ist. Ich meine, das ist doch auch eine Frage, die er da sehr klar stellt: Hängt denn der Glaube daran, ob eine Leiche im Grab war? Daran hängt doch nichts - an dieser Frage. Der Glaube hängt an etwas ganz anderem.
Leben als Einbahnstraße auf Gott hin
Main: Wenn ich auf das Buch schaue, das vor uns liegt: Ich sehe einen Mann mit grauen, zurückgekämmten Haaren, die Brille in der Hand, leicht schmunzelnd. Ein echter Mann der zweiten Hälfte der 20. Jahrhunderts - ein Intellektueller. Was würden Sie sagen, was waren zentrale Kernsätze, die auf jeden Fall hängen bleiben sollten?
Käßmann: Für mich persönlich - ich habe ihn ja auch erst in den, sagen wir mal, 20 Jahren letzten Jahren seines Lebens näher kennengelernt - für mich waren hilfreich auch im pastoralen Sinne die Bilder, die er von Tod und Auferstehung gemalt hat. Ich nehme noch mal eines raus: Das Leben ist eine Einbahnstraße auf Gott hin, aber dabei ist der Tod keine Sackgasse, sondern nur eine Station. Das sind Bilder, das sind starke Formulierungen, die uns helfen in den eigenen Glaubensfragen doch weiter zu kommen. Ich denke, da hat er ungeheuer viel geleistet, deswegen habe ich die Texte so gern auch noch mal aufgelegt. Weil wenn wir heute anfangen zu lesen, dann sind wir im Glauben, denke ich, nicht weitergekommen seit dem Kreisen um den Glauben und um "Die Sache mit Gott", die Heinz Zahrnt geschrieben hat. Es gibt da eine Nachdenklichkeit vom Unaussprechlichen zu sprechen. In unserer Welt heute, in der es immer schwerer wird, vom Glauben zu sprechen, weil viele ja sagen - so nach dem Motto, hast du das nötig, hast du so viel Angst vorm Leben und noch mehr Angst vorm Sterben, ist Heinz Zahrnts Zugehensweise, die das erst mal zulässt und nicht sofort verurteilt, dass ein Mensch an Gott zweifeln könnte, sondern dann anfängt zu reden so von Gott, dass ich den Eindruck habe, es könnte sein, dass wir darüber ins Gespräch kommen - auch mit jemanden, der überhaupt nichts mit Gott zu tun hat. Und das ist - glaube ich - gerade heute hilfreich. Denn in Ostdeutschland, wo wir jetzt die Feiern zum Reformationsjubiläum vorbereiten, sind die Christen in einer absoluten Minderheit. In Luthers Taufstadt und Geburtstag auch - Eisleben - sind es sieben Prozent. Wie kannst du da glaubwürdig überhaupt noch von Gott reden und dich nicht in Formeln zurückziehen? Dafür finde ich Heinz Zahrnt bis heute hilfreich.
Main: "Gott kann nicht sterben" - so heißt das Heinz-Zahrnt-Lesebuch, das Margot Käßmann zu seinem hundertsten Geburtstag herausgegeben hat. Frau Käßmann, dass Sie Ihre Erfahrung mit diesem evangelischen Theologen und Publizisten mit uns geteilt haben, dafür danke ich Ihnen ganz herzlich.
Käßmann: Sehr gerne.
//Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.//