Reaktion auf Gaza-Krieg
Proteste an US-Hochschulen eskalieren: wichtige Fragen und Antworten

Protestcamps, Sprechchöre - und immer wieder Festnahmen: An zahlreichen Hochschulen in den USA wird Solidarität mit Palästina demonstriert, teils unter Verwendung antisemitischer Slogans. Im Wahljahr setzt das Thema auch die Politik unter Druck.

    Pro-palästinensiche Aktivisten demonstrieren vor der Columbia University in New York.
    Pro-palästinensische Aktivisten demonstrieren vor der Columbia University in New York (Archivbild). (AFP / LEONARDO MUNOZ)
    Die Stürmung der Columbia University in New York durch Polizeikräfte und Zusammenstöße auf dem UCLA-Campus in Los Angeles zwischen pro-palästinensischen Protestierenden und Gegendemonstranten sind nur ein vorläufiger Höhepunkt einer längeren Entwicklung: Schon seit Monaten finden an Hochschulen im ganzen Land entsprechende Kundgebungen statt. Die New York Times hat insgesamt bislang mehr als 800 Festnahmen an fast 20 Hochschulen gezählt; dazu kommen dutzende weitere Universitäten, an denen Demonstrationen ohne Festnahmen vonstatten gingen.

    Wer demonstriert - und wofür?

    Hauptsächlich handelt es sich um Studierende der jeweiligen Hochschulen, insbesondere aus dem linken und teils linksextremen Spektrum. Die Forderungen unterscheiden sich von Ort zu Ort - in den meisten Fällen richten sie sich jedoch direkt an die Leitungen der Universitäten.
    Viele Studierende wollen erwirken, dass die Hochschule ihre Verbindungen zu israelischen Institutionen kappt. Dabei werden Vergleiche zur Divestment-Bewegung der 1980er-Jahre gezogen, die zur wirtschaftlichen Blockade des damaligen Apartheid-Regimes in Südafrika aufrief. Auf Druck ihrer Studierenden stieß die Columbia University damals millionenschwere Aktienpakete amerikanischer Unternehmen ab, die in Südafrika Geschäfte machten. An den Elite-Universitäten Yale und Cornell wird auch gefordert, Kooperationen mit der Rüstungsindustrie zu beenden.
    Es kann davon ausgegangen werden, dass auch Personen aus anderen Gruppen sich den Studierendenprotesten anschließen. Die Northeastern University in Boston gab an, die dortige Kundgebung sei "von professionellen Organisatoren unterwandert worden".

    Sind die Proteste antisemitisch?

    Das lässt sich so pauschal nicht sagen. Bei den Aktionen wird vielfach das Vorgehen der israelischen Armee im Gazastreifen kritisiert, durch das zehntausende Zivilisten getötet wurden. Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober hatte Premierminister Netanjahu die Vernichtung der islamistischen Terrorgruppe ausgerufen, die bis heute noch mehr als 100 israelische Geiseln festhält.
    Allerdings fallen mitunter auch Slogans wie "From the river to the Sea". Damit wird die Ansicht geäußert, dass Palästinensern das gesamte Gebiet zwischen Jordan und Mittelmeer zustehe. Israel derart das Existenzrecht abzusprechen, wird etwa von der International Holocaust Remembrance Alliance als antisemitisch eingestuft. Mehrere Videos dokumentieren auch explizite Aufforderungen, Gewalt gegen Juden anzuwenden.
    An mehreren Hochschulen äußerten jüdische Studierende Angst angesichts der Proteste. Allerdings gibt es auch jüdische Studierende, die sich an den Protesten beteiligen.

    Warum schaukeln sich die Proteste jetzt so hoch?

    Die Proteste und heftig geführten Debatten an den Universitäten dauern teils bereits seit Monaten an. Der Politologe Yascha Mounk von der Johns Hopkins University in Baltimore sagte im Deutschlandfunk, dabei gehe es auch um einen generellen Konflikt, was die Kultur der Unis sein solle.
    Mitte April hatte Columbia-Universitätspräsidentin Minouche Shafik bei einer Kongress-Anhörung ein härteres Vorgehen gegen ein Protestcamp in Aussicht gestellt. Sie veranlasste eine Räumung durch die Polizei, bei der mehr als 100 Personen festgenommen wurden. Daraufhin erklärten andere Studierende ihre Solidarität mit den Festgenommenen. Die Lage heizte sich weiter an, als einem der Anführer des Protests an der Columbia Hausverbot ausgesprochen wurde. Zuvor war ein im Januar aufgenommenes Video aufgetaucht, in dem er "Zionisten" das Recht zu leben absprach.
    Parallel zur Columbia University wurden auch an anderen Hochschulen im Land die Polizeieinsätze verstärkt.

    Wie verhältnismäßig sind die Polizeieinsätze?

    Von Seiten der Vereinten Nationen gibt es die Befürchtung, dass die US-Behörden mit ihrer zunehmend harten Linie über das Ziel hinausschießen könnten. Der UNO-Menschenrechtsbeauftragte Türk sagte, einige Strafverfolgungsmaßnahmen würden "in ihrer Wirkung unverhältnismäßig erscheinen". Generalsekretär Guterres mahnte, die Meinungs- und Demonstrationsfreiheit zu garantieren. Zugleich dürfe Hassrede nicht geduldet werden.
    Der deutsche Literaturprofessor Adrian Daub, der an der kalifornischen Stanford University lehrt, sagte im Deutschlandfunk, die vorherige Krise habe die Intervention der Polizei nicht wirklich gerechtfertigt. An seiner Hochschule bestehe der Verdacht, dass das Durchgreifen auch dadurch motiviert sei, Geldgeber der Universitäten gütig zu stimmen.

    Wieso gerät Präsident Biden dadurch unter Druck?

    Das harte Vorgehen Israels im Gazastreifen gilt generell als Belastungsprobe für das amerikanisch-israelische Verhältnis. So haben die USA Ende März erstmals in der Geschichte des UNO-Sicherheitsrates dort nicht das Interesse Israels vertreten, sondern durch ihre Enthaltung die Forderung nach einer sofortigen Waffenruhe gebilligt. Zugleich bemüht sich die Administration von US-Präsident Biden, das Verhältnis zu Israel nicht weiter zu beschädigen und betont die besondere Verbindung beider Länder.
    Ein halbes Jahr vor der Präsidentschaftswahl wird dem Thema auch innenpolitisch großes Gewicht beigemessen: Eine als zu stark wahrgenommene Unterstützung Israels könnte Biden die Stimmen muslimischer Wähler kosten. Im Fokus steht hierbei der Bundesstaat Michigan mit seinem starken muslimischen Bevölkerungsanteil. Michigan ist ein sogenannter Swing State, dessen Wahlergebnis oft über Sieg oder Niederlage von Demokraten und Republikanern beiträgt. Der Politologe Mounk sagte, er habe nicht den Eindruck, dass Biden hier Wahlkampfinteresse vor die große Weltpolitik setze, was ihm positiv anzurechnen sei.

    Wie nutzt Herausforderer Trump die Proteste aus?

    Bidens designierter Herausforderer Trump versucht, die Proteste für seine Kampagne zu instrumentalisieren. So sagte er, im Vergleich dazu seien die Vorfälle von Charlottesville "nichts" gewesen. Dort waren im Sommer 2017 Rechtsextreme zusammengekommen; bei einer Gegendemo wurde eine Frau von einem Attentäter getötet. Trump wurde als damaliger Präsident dafür kritisiert, dass er sich nicht von den rechtsextremen Kreisen distanzierte.
    Zuletzt forderte Trump, die Hausbesetzer der Columbia University sollten mit derselben Härte bestraft werden wie diejenigen, die am 6. Januar 2021 das Kapitol in Washington gestürmt hatten. Damals hatten militante Trump-Anhänger versucht, die Zertifizierung seiner Wahlniederlage durch den Kongress zu stoppen.
    Diese Nachricht wurde am 01.05.2024 im Programm Deutschlandfunk gesendet.