Die Initiative Querdenken 711 hatte eine Demonstration gegen die Corona-Politik angemeldet. Der Berliner Innensenator hatte sie mit Verweis auf zu erwartende Verstöße gegen das Infektionsschutzgesetz verboten, das Oberverwaltungsgericht jedoch die Zulässigkeit bestätigt. Den Protestzug in der Friedrichstraße löste die Polizei am Samstag (30.08.2020) wegen der Weigerung, Abstände einzuhalten, auf. Und die Versammlungsleitung war wohl nicht willens und in der Lage, das zu ändern. Mit Reichsflaggen wurden dann die Absperrungen zum Reichstag noch durchbrochen.
Der Publizist Herbert Prantl, früherer Innenressortleiter der "Süddeutschen Zeitung", spricht sich dafür aus, Demonstrationen auch Coronazeiten zuzulassen - allerdings nur bei Einhaltung eines doppelten Abstandsgebots: der Abstandswahrung untereinander, aber vor allem der zu den Rechtsextremisten.
"Abstrusitäten aushalten"
Demonstrationsfreiheit sei ein Grundrecht und auch in Coronazeiten gelte das Grundrecht der Unzufriedenen, der Unbequemen und der Aufsässigen, sagte Heribert Prantl im Deutschlandfunk. Aufsässigkeit zuzulassen sei keine Verirrung der Demokratie, sondern Kern der Demokratie. Zudem fände sich unter den Kritikern auch ein nicht unwesentlicher Teil hochseriöser Juristen - der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier kritisiere Corona-Maßnahmen, ebenso die Schriftstellerin Juli Zeh und die Verfassungsrichterin von Brandenburg.
Aber Demonstrationen seien nicht erst dann in Ordnung, wenn die Protestierenden konstruktive Politik verträten. "Wenn die 'Querdenker' fordern, die Regierung muss sofort zurücktreten – das ist auch abstrus, aber solche Abstrusitäten muss man aushalten." Doch die Grenzen des Tolerablen verliefen dort, wo die Gewalt und die Volksverhetzung begännen. "Die Präsenz der Rechtsextremisten und der Neonazis auf diesen Demos macht mir allergrößte Bauchschmerzen. Ich bin empört und wütend über die Reichskriegsflaggenschwenker", so der Publizist.
"Strategien zur Ausgrenzung und Absonderung überlegen"
Das Kalkül der rechtsextremen Gruppen sei es, sich mit den Sympathisanten der ‚Querdenker‘ zu vermischen und deren Protest zu dominieren, und dieses Kalkül müsse durchkreuzt werden, forderte Prantl. Er erwartet von den friedlichen Protestierern, sich zusammen mit der Polizei Konzepte und Strategien zur Ausgrenzung und Absonderung der Unfriedlichen, der volksverhetzenden Rechtsextremisten zu überlegen. Kritiker, die seriös bleiben wollten, dürften deren Präsenz nicht gleichgültig und billigend in Kauf nehmen. "Ich bin dafür, dass weiterhin kritisiert und demonstriert wird. Dann müssen sich die Veranstalter überlegen: Wie finde ich Mittel und Möglichkeiten, um den Abstand von den Rechtsextremen herzustellen und meine Proteste nicht missbrauchen zu lassen", so Prantl.