Die sogenannten "Querdenken"-Proteste in Stuttgart gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen sorgen für gegenseitige Schuldzuweisungen von Stadt und Land in Baden-Württemberg. Die Verantwortlichen würden die Verantwortung jetzt hin und her schieben, sagte Dlf-Landeskorrespondentin Katharina Thoms. "Einig ist man sich nur, dass es sich nicht wiederholen soll." Es seien viel mehr Menschen da gewesen, als die Stadt und die Polizei erwartet hätten, berichtete Thoms.
Zu wenige Polizisten im Einsatz
Rund 15.000 Menschen hatten sich am Karsamstag in Stuttgart größtenteils ohne Masken und Mindestabstand versammelt - trotz steigender Infektionszahlen. "Und die Polizei hat das geschehen lassen", sagt Thoms. Es seien wohl zu wenige Polizisten gewesen angesichts der Zahl der Demonstrantenzahl. 260 Anzeigen habe die Polizei aufgenommen, so Thoms. Die Polizei gebe an, angesichts der "Friedlichkeit" habe man nicht einschreiten können.
Die Stuttgarter Demonstration am Karsamstag stand unter dem Motto "Grundrechte sind nicht verhandelbar". Eines dieser Grundrechte ist die Pressefreiheit. In Stuttgart seien Journalisten - wie bereits zuvor bei anderen "Querdenken"-Demos - angepöbelt und körperlich angegriffen worden, so Thoms. Eine Live-Schalte von "tagesschau24" musste am Samstag abgebrochen werden, nachdem das Team eigenen Angaben zufolge mit einem harten Gegenstand beworfen worden war.
Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) verteidigte am Dienstag die Entscheidung, die Demo zu genehmigen. "Die Stadt hätte die Versammlung nicht verbieten dürfen. Es gab vor der Versammlung auf der Grundlage der Anmeldungen überhaupt keinen rechtlich begründbaren Ansatz, ein Versammlungsverbot auszusprechen", sagte er im Interview mit der "Stuttgarter Zeitung" und den "Stuttgarter Nachrichten". "Hinterher ist man immer schlauer", fügte Nopper hinzu.
Das Land hatte schon vor der Demo eine andere Rechtsauffassung. Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) sprach mit Blick auf die Demo von "Feinden der Demokratie". Es sei nach der Erfahrung auch aus anderen Städten klar gewesen, dass sich die Teilnehmer solcher Demonstrationen nicht an Corona-Regeln halten würden. Man hätte Versuche unternehmen können, mehr Auflagen zu erreichen oder die Kundgebung zu verbieten. Die Gerichte würden vor jeder Demonstration eine neue Bewertung vornehmen.
Das Landesamt für Verfassungsschutz in Baden-Württemberg beobachtet die "Querdenken"-Bewegung. Die Behörde ordnet mehrere Akteure dem Milieu der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" zu, die unter anderem demokratische und rechtsstaatliche Strukturen negieren. Die "Querdenken"-Bewegung weist diese Vorwürfe zurück.
Aggressivität auch in anderen Städten
Aber die Proteste unter dem Motto "Querdenken" sind nicht nur ein Phänomen in Stuttgart, sondern auch in anderen Städten wie Berlin, Dresden, Leipzig und Kassel. Zuletzt hatte am 20. März eine Demonstration gegen die Corona-Politik in Kassel mit mehr als 20.000 Menschen für Schlagzeilen gesorgt - erlaubt waren nur 6.000.
Es kam dabei zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Viele Teilnehmer hielten sich nicht an Auflagen wie das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes. Kritiker hatten der Polizei dort ebenfalls ein zu zurückhaltendes Auftreten vorgeworfen.
(Quellen: Katharina Thoms, Annika Schneider, dpa, AFP)