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Proteste gegen die Regierungspolitik in Polen
20.000 Demonstranten in Warschau

Die rechtskonservative Regierung in Polen hat nicht nur die Medien, sondern auch das Verfassungsgericht durch mehrere Gesetze gelähmt. Gegen diese Politik organisierte die Bürgerinitiative KOD jetzt die größten Demonstrationen seit der demokratischen Wende. Gestern kulminierte der politische Streit mit Kundgebungen beider Seiten in Warschau.

Von Florian Kellermann |
    Proteste gegen die Politik der rechtskonservativen polnische Regierung in Warschau
    Die Proteste richten sich vor allem gegen die neuen Gesetze zum Verfassungsgericht und die Berufung von Richtern (dpa/Bartlomiej Zborowski)
    Malgorzata Ciesiolkiewicz kam trotz ihrer Erkältung und trotz der Minustemperaturen in die Nowogrodzka-Straße. Mit rund 20.000 anderen demonstrierte sie vor dem Sitz der rechtskonservativen Partei PiS:
    "Wir müssen auf die Straße gehen, sonst gibt es Polen bald nicht mehr. Jedenfalls dasjenige Polen, um das unsere Vorfahren so lange gekämpft haben. Erst seit der demokratischen Wende 1989 haben wir wieder ein bisschen Freiheit - und die ist jetzt schon wieder in Gefahr. Wir müssen etwas tun, schließlich können wir nicht alle auswandern."
    Die 53-Jährige beschreibt die polnische Regierung in drastischen Worten. Sie findet es völlig gerechtfertigt, dass die Bürgerbewegung KOD, das "Komitee zur Verteidigung der Demokratie", gestern Parallelen zum kommunistischen Polen zog. KOD organisierte einen Demonstrationszug vom ehemaligen Gebäude der kommunistischen Staatspartei PZPR bis zum Sitz der heutigen Regierungspartei PiS. Und das auf den Tag genau 35 Jahre, nachdem der damalige Staatschef Wojciech Jaruzelski den Kriegszustand verhängt hatte. Auch dazu stellten die Demonstranten eine Parallele her, so der KOD-Vorsitzende Mateusz Kijowski:
    "Vor 35 Jahren griff die totalitäre Staatsmacht die Bürger an. Sie nahm uns unsere Freiheit weg und wollte unsere Würde rauben. Aber Freiheit und Würde sind in uns. Wenn wir solidarisch sind und zusammenstehen, kann sie uns niemand wegnehmen. Solidarität einte uns damals und eint uns heute."
    Proteste gegen die Politik der rechtskonservativen polnischen Regierung in Warschau
    Proteste gegen die Politik der rechtskonservativen polnischen Regierung in Warschau (dpa/Bartlomiej Zborowski)
    Die polnische Gesellschaft ist gespalten
    Den Kriegszustand hatten die kommunistischen Machthaber genutzt, um die unabhängige Gewerkschaft "Solidarnosc" zu bekämpfen. Viele Jahre lang musste sie im Untergrund weiterarbeiten.
    Der gestrige Jahrestag zeigte wieder einmal, wie gespalten die polnische Gesellschaft ist - etwas über ein Jahr nach dem Regierungswechsel. 2,5 Kilometer weiter östlich rief die Regierunspartei PiS ihre Anhänger zu einer Kundgebung, auch hier kamen einige Tausend Menschen.
    Auf Plakaten warfen sie dem KOD-Vorsitzenden Kijowski vor, ein "Verräter" zu sein, und stellten ihn in eine Reihe mit dem kommunistischen Staatschef Jaruzelski. Auch der PiS-Vorsitzende Jaroslaw Kaczynski schlug in diese Kerbe:
    "Manchen ging es hervorragend im kommunistischen System. Sie sind es, die heute versuchen, Polen in einen Nebel von Absurditäten zu tauchen. Sie vergleichen die heutige Regierung mit der damals. Sie vergleichen ein Land, in dem es vielleicht am meisten Freiheiten gibt unter allen Ländern in Europa, mit einem Staat, der an jenem 13. Dezember die Unfreiheit vollends verkörperte."
    Weiteres umstrittenes Gesetz zum Verfassungsgericht beschlossen
    Bevor der PiS-Vorsitzende in der Warschauer Innenstadt auftrat, hatte seine Fraktion im Parlament ein weiteres umstrittenes Gesetz beschlossen, wieder zum Verfassungsgericht. Denn schon nächste Woche scheidet der amtierende Vorsitzende des Gerichts aus seinem Amt aus. Das neue Gesetz stellt sicher, dass ein von der PiS-Mehrheit im Parlament gewählter Richter den Posten übernehmen wird. Der dann, so fürchten Kritiker, Gesetze nicht mehr kontrollieren, sondern nur noch durchwinken werde.