Proteste der Gen Z
Steht eine afrikanische Revolution bevor?

Seit Wochen protestiert die junge Generation in Kenia gegen die Regierung. Die beispiellose Protestwelle ist mittlerweile auf Uganda und Nigeria übergesprungen. Kommt jetzt ein afrikanischer Frühling?

    Ein Jugendlicher hält die grün-weiße nigerianische Flagge in der Hand und schreit. Rechts neben ihm blickt ein weiterer Jugendlicher in die Kamera.
    Seit Anfang August protestieren in Nigeria vor allem junge Menschen gegen die Regierung. Inspiriert wurden sie dabei von den Protesten aus Kenia, die seit Juni anhalten. (picture alliance / NurPhoto / next24online)
    In Kenia, Uganda und Nigeria gehen junge Menschen unter 30, die sogenannte Gen Z, auf die Straße und protestieren gegen ihre Regierungen. Angefangen hat die Protestwelle in Juni in Kenia als Reaktion auf ein geplantes Steuergesetz, das mittlerweile vom kenianischen Präsidenten William Ruto zurückgenommen wurde. Doch die Proteste halten weiter an und haben sich auf andere afrikanische Länder ausgebreitet.

    Inhalt

    Was war der Auslöser für die Proteste in Kenia?

    Im Mai 2024 wurde ein neues Steuergesetz im kenianischen Parlament vorgestellt. Unter anderem sollte es neue Steuern auf wichtige Lebensmittel und Güter wie Brot, Speiseöl und Damenbinden geben. Der kenianische Präsident William Ruto sagte, dass diese zusätzlichen Steuern wichtig seien, um Kenias hohe Schulden zu senken. Vor allem die junge Generation unter 30 reagierte empört. Sie werfen Ruto vor, dass er und die Regierung die soziale Realität und die wirtschaftliche Lage großer Teile der Bevölkerung überhaupt nicht erkenne, erklärt Joachim Paul von der Heinrich-Böll-Stiftung in Nairobi.
    Die Kenianer kämpfen mit steigenden Lebenshaltungskosten und erhöhten Steuern, während sie gleichzeitig die Verschwendungssucht der Regierung erleben. Rutos häufige Auslandsreisen und die Korruptionsskandale hochrangiger Beamter verstärken die Frustration der Bevölkerung weiter.
    Die Arbeitslosigkeit der 15- bis 34-jährigen liegt mittlerweile bei 67 Prozent. Selbst gut ausgebildete Menschen finden nach wie vor keine Jobs. Für viele junge Protestierende war das Finanzgesetz daher nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. „Die Demonstranten waren wütend und frustriert über die harte Haltung der Regierung, die keinen Dialog über das Gesetz zuließ“, erklärt Joachim Paul.
    Am 18. Juni gingen die Proteste los, am 25. Juni stürmten die Demonstrierenden das Parlament in Nairobi. Die Polizei reagierte unter anderem mit Tränengas, Wasserwerfern und scharfer Munition.
    Seitdem halten die Proteste im ganzen Land an. Auch in kleineren Städten gehen die Menschen auf die Straße, und sind dabei friedlich. Sie würden etwa mit Trillerpfeifen und Sprechchören protestieren, sagt Paul. Doch die Polizei geht weiterhin hart gegen die Demonstranten vor. Mindestens 50 Menschen wurden seit Beginn der Proteste getötet, viele weitere verletzt und etliche verhaftet, berichtet die Kenianische Nationale Menschenrechtskommission.

    Was haben die Proteste bisher gebracht?

    Die Proteste haben Präsident William Ruto zu einer historischen Kehrtwende gezwungen: Er hat nicht nur das Steuergesetz zurückgenommen, sondern auch sein Kabinett entlassen. Außerdem versprach er, verschwenderische Ausgaben zu kürzen, 47 staatliche Unternehmen aufzulösen, die Anzahl der Regierungsberater zu halbieren und die Finanzierung des Büros seiner Frau und der Frau seines Stellvertreters einzustellen. Die Proteste haben auch Kenias Polizeichef zum Rücktritt gezwungen.
    Professor Macharyam Monyenye von der Universität Nairobi beobachtet seit fast 40 Jahren Politik in Kenia. Diese Proteste seien anders als alles, was Kenia bisher gesehen habe, sagt er.
    „Das sind Leute, die gut ausgebildet sind und denen versprochen wurde, dass die Dinge besser werden. Jetzt sind sie aus der Schule, aber es ist nicht besser, sondern schlimmer. Und der Grund dafür sind nicht irgendwelche Naturkatastrophen, sondern eine inkompetente Regierung und schlechte Politik. Und darauf reagieren sie“, sagt Monyenye. Die besondere Stärke der Gen Z sei dabei, dass sie sich unabhängig von den etablierten Parteien und politischen Lagern mache. Sie hänge sich nicht an einzelne prominente Anführer.

    Soziale Medien werden zur Gefahr für die Regierung

    Dabei helfe ihnen, dass sie sich ausschließlich in sozialen Netzwerken organisierten, auf Instagram, TikTok, Twitter bzw. X und in WhatsApp-Gruppen. Ihre Proteste koordinieren sie unter den Hashtags #RejectFinanceBill2024 und #RutoMustGo.
    Die Gen-Z engagierten unter anderem Influencer und Prominente und verbreiteten ihre Inhalte über deren Netzwerke. So postete etwa der in Kenia bekannte Fotojournalist Boniface Mwangi auf seinem Instagramkanal Posts unter dem Hashtag #rutomustgo, wie "If I die today, another will rise tomorrow", auf Deutsch: "Wenn ich heute sterbe, wird morgen ein anderer aufstehen."
    Mehrere Menschen protestieren mit pinken Trillerpfeifen auf der Straße. Sie halten die Flagge Kenias hoch, eine Person reißt die Hände in die Höhe.
    Seit Wochen protestiert die Gen Z in Kenia gegen die Regierung - und inspiriert damit auch andere afrikanische Länder. (picture alliance / Anadolu / Gerald Anderson)
    Junge Entwickler bauten KI-Tools, mit denen sie Regierungsversprechen mit tatsächlichen Ergebnissen abgleichen oder kommende Gesetzgebungen prüfen könnten. Darüber hielten sie die Öffentlichkeit auf dem Laufenden.
    „Es ist eine echte Kraft, die wir so noch nicht gesehen haben in der Politik. Die Menschen kommunizieren in Echtzeit miteinander. Wenn irgendwo etwas passiert, wissen es sofort alle und die ganze Welt“, sagt Monyenye. „Dadurch werden die sozialen Medien eine Gefahr für diese Regierung. Wie regiert man, wenn man diese Kommunikation nicht kontrollieren kann?“

    Was sind die Forderungen der Gen Z in Kenia?

    Die Protestierenden wollen nicht nachlassen, bis Ruto zurücktritt. Zu ihren Forderungen gehören unter anderem eine unabhängige Untersuchung der Todesfälle von Demonstranten, eine Überprüfung der nationalen Schulden Kenias und die Bildung einer unabhängigen Wahlkommission.

    Ein Wendepunkt in Kenias Geschichte

    Es gibt auch Bemühungen, Abgeordnete vor den Wahlen 2027 abzuberufen. In einigen Wahlkreisen werden bereits Unterschriften gesammelt.
    Die jungen Kenianer sind ermutigt durch ihren neu gewonnenen Einfluss. „Es ist ein Wendepunkt in Kenias Geschichte. Die Jugend verhandelt ihre Staatsbürgerschaft neu und fordert mehr politische Rechenschaftspflicht“, sagte Nicodemus Minde, Sozialwissenschaftler am Institute of Security Studies in Nairobi.

    Warum sind die Proteste auf Uganda und Nigeria übergesprungen?

    Die Proteste der Generation Z sind auf Uganda und Nigeria übergesprungen. Auch hier organisieren sich die jungen Menschen in den sozialen Netzwerken und sind in den vergangenen Tagen gegen Korruption und Verschwendung der Regierung auf die Straße gegangen. Die Probleme in Uganda und in Nigeria sind ähnlich wie in Kenia.

    104 Personen wurden in Uganda festgenommen

    Der ugandische Präsident Yoweri Museveni, der seit fast 40 Jahren autokratisch regiert, lässt seine Sicherheitskräfte hart durchgreifen. Allein in der ersten Protestwoche Ende Juli wurden 104 Personen festgenommen und angeklagt, heißt es in einer Pressemitteilung der ugandischen Polizei. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International, aber auch die Vereinigten Staaten kritisieren das harte Vorgehen der Regierung gegen die friedlichen Demonstranten.
    Junge Menschen halten Plakate in der Hand. Auf einem steht: "Article 29: We are peaceful Protesters", übersetzt: "Artikel 29: Wir sind friedliche Demonstrierende."
    Auch in Uganda geht die Gen Z auf die Straße. (picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Hajarah Nalwadda)
    Die Gen Z geht dennoch weiterhin auf die Straße. Damit ist Uganda das erste Land, das dem kenianischen Beispiel folgt.

    Landesweite Proteste in Nigeria

    Seit dem 1. August gibt es auch in Nigeria landesweite Demonstrationen. Die nigerianische Regierung hat versucht, die jungen Menschen davon abzuhalten, an den geplanten Protesten teilzunehmen, aus Sorge, die Proteste könnten die Wirtschaft schwächen.
    Das nigerianische Ministerium für Jugendentwicklung legte unter anderem einen Jugendinvestitionsfonds in Höhe von 110 Milliarden Naira (70 Millionen Dollar) neu auf. Außerdem wurde ein neuer Mindestlohn verabschiedet, der den Betrag, den die am schlechtesten bezahlten Arbeiter monatlich verdienen, mehr als verdoppelt.
    Doch all diese Maßnahmen haben die Genz Z nicht davon abgehalten auf die Straße zu gehen. Und auch in Nigeria geht die Polizei hart gegen die Protestierenden vor. Laut Amnesty International sind bisher mindestens 13 Menschen ums Leben gekommen. Außerdem gab es über 680 Festnahmen.

    In welchen afrikanischen Ländern könnte es noch Proteste geben?

    Erste Medien schreiben bereits über einen „Afrikanischen Frühling“. Einige Experten spekulieren bereits über eine afrikanische Revolution. „Die wird es geben“, sagt Professor Macharyam Monyenye. Deshalb seien so viele Regierungen jetzt besorgt. Der Effekt dieser Demonstrationen sei zu groß. „Da ist etwas in Bewegung“, so Monyenye. Wir sehen es in Uganda, wir sehen es in Nigeria. In Ghana bewegt sich auch etwas. Es geht also weiter an unterschiedlichen Orten und wird ein afrikanisches Phänomen.“
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