Eine Nacht und einen Tag - so lange saßen Mohammed und sein Freund Bashir im Knast von Jabalya, dem Flüchtlingslager im Norden des Gazastreifens. Verhaftet von der Polizei, nach den Demonstrationen vor zwei Wochen. Mohammed und Bashir konnten nicht weglaufen. Der eine hat 2006 im Bürgerkrieg zwischen Hamas und Fatah eine Kugel abbekommen, der andere ist bei der Invasion der Israelis vor 8 Jahren von einem Granatsplitter getroffen worden. Seither sind sie nicht mehr so schnell zu Fuß:
"Als wir in unserer Zelle eingesperrt waren, haben wir gehört, wie andere Demonstranten, die auch festgenommen worden waren, in den Nachbarzellen misshandelt wurden und ganz furchtbar geschrien haben", erzählt der 28-jährige Mohammed.
Überleben mit Gelegenheitsjobs
Er und sein Freund Bashir haben studiert, eine anständige Arbeit finden sie aber nicht. Mit Gelegenheitsjobs halten sie sich über Wasser. Wie so viele junge Menschen im Gazastreifen. Bevor die Polizei die beiden vor zwei Wochen laufen ließ, mussten sie ein Papier unterschreiben, dass sie nie wieder an Protesten teilnehmen. Und doch: Wenn es wieder Demonstrationen gibt, sagt Mohammed, werde ich als erster vorneweggehen.
Der Anlass für die Proteste war der permanente Strommangel. Häufig gibt es nur für drei bis vier Stunden Strom am Tag. Doch das ist nur ein kleiner Teil des Elends, dem die fast zwei Millionen Einwohner des Gazastreifens Tag für Tag ausgesetzt sind. Der Diesel ist mittlerweile selbst für die verhältnismäßig wohlhabenden Gazaner zu teuer, die sich einen privaten Stromgenerator angeschafft haben.
Strommangel und kaputte Straßen
Die ohnehin kümmerliche Wirtschaft erleidet wegen des Strommangels Produktionsausfälle. Das einzige Kraftwerk ist eine Ruine, das Trinkwasser ist ungenießbar, das Gas zum Kochen unerschwinglich, es herrscht ein eklatanter Wohnungsmangel, die meisten Straßen sind nur Schlaglochpisten. Die gesamte Infrastruktur steht unmittelbar vor dem Kollaps, berichtete eine israelische NGO dieser Tage.
Und die Vereinten Nationen sind schon vor einiger Zeit zu dem Ergebnis gekommen, dass das Palästinensergebiet in drei Jahren unbewohnbar sein wird. Die Demonstrationen der jungen Aktivisten aus Gaza zielen deshalb gar nicht vorrangig auf die Regierung, sagt Bashir. Ihm geht es um weit mehr:
"Die Proteste richten sich nicht gegen die Hamas. Wir protestieren gegen unsere Lebensumstände. Gegen die Arbeitslosigkeit, gegen den Mangel an Strom und Trinkwasser. Wir protestieren gegen die Blockade und dagegen, dass die Grenzen für uns zu sind. Wir protestieren, weil wir ohne jede Zukunftsperspektive sind. Wir haben einfach die Schnauze voll."
Natürlich weiß die Hamas, die im Gazastreifen regiert, dass ihr die Proteste gefährlich werden können, wenn sie sich ausbreiten. Deshalb geht sie massiv gegen jene vor, die sie für die Organisatoren der Demonstrationen hält.
Hamas lässt Protestler verhaften
Politiker der anderen palästinensischen Parteien sind zu dutzenden Verhaftet worden. Genauso wie Jugendliche, die auf Facebook zu Protesten aufgerufen haben. Viele Aktivisten verstecken sich im Gazastreifen, um der Polizei und dem Geheimdienst nicht in die Fänge zu geraten:
"Die Hamas hat den ganzen Gazastreifen als Geisel genommen und regiert hier mit Feuer und Schwert. Sie akzeptiert keine Konkurrenten", sagt Issa, ein Politik-Student, der auch an den Demos teilgenommen hat.
Die drei, Mohammed, Bashir und Issa, halten die Lage eigentlich für aussichtslos: Freiwillig werde die Hamas nie von der Macht lassen, sagen sie, selbst wenn es zu massenhaften Aufständen käme. Ihre Mitglieder würden eher bis zum Tod kämpfen, um die Kontrolle über Gaza zu verteidigen.
Und Neuwahlen, fügt Bashir hinzu, denen würde die Hamas erst recht nicht zustimmen, weil sie weiß, dass sie verlieren würde. Und außerdem sind sie von der Fatah, der anderen großen Partei, die im Westjordanland regiert, im Grunde genauso enttäuscht wie von der Hamas. Sie machen beide Gruppierungen gleichermaßen für das Elend im Gazastreifen verantwortlich. Deshalb schauen sie auch mit Skepsis auf Leute wie Abdel Rauf Barbach. Der ist ein Funktionär der Fatah.
Fatah könnte Proteste für sich nutzen
Die drei Aktivisten glauben, dass er und die Fatah als Trittbrettfahrer auf ihre Proteste aufspringen wollen. Das aber weist der 34-jährige Fatah-Funktionär zurück. Ihm gehe es darum, die elenden Lebensumstände im Gazastreifen zu verbessern:
"Es hat ja sogar einige Fälle von Selbstverbrennungen gegeben. Der letzte in Khan Younis. Da war ein Patient in einem Krankenhaus, der für die Medikamente, die er brauchte, bezahlen sollte. Aber er hatte kein Geld. Und dann hat er sich im Krankenhaus verbrannt und ist da auch gestorben."
Die Hamas sei verantwortlich für die Zustände im Gazastreifen. Dass die Menschen dagegen auf die Straße gehen, sei völlig verständlich. Die Fatah aber habe damit nichts zu tun. Noch nicht, betont Abdel Rauf Barbach:
"Die Proteste sind spontan entstanden, von jungen Menschen organisiert. Wir, die Fatah, haben damit nichts zu tun. Aber wir haben die Hamas gewarnt: Wenn die Lage so bleibt wie sie ist, dann können wir nicht mehr neutral bleiben. Dann werden wir uns an die Seite der Bevölkerung stellen. Und dann wird es schlimm für die Hamas."
Der einzige Ausweg für die Hamas seien Neuwahlen und die Beteiligung an einer Einheitsregierung, sagt der Fatah-Funktionär. Also eine Machtteilung. Aber ob sich die Hamas darauf einlässt? Die nächsten Monate werden das zeigen.