Seit Tagen gehen die Menschen im Iran auf die Straße und fordren wirtschaftliche und politische Reformen. Das Wenige und Notwendige, was deutsche und europäische Politik derzeit tun könne, sei, sich mit den Menschen im Iran zu solidarisieren, die von ihrem Recht Gebrauch machten, zu demonstrieren, sagte CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen im Dlf. Das sei der vielleicht größte Protest, den es innerhalb von zehn Jahren gegeben habe - anders als 2009 sei es keine dezidiert politische Bewegung. Diese Proteste hätten keine politische Führung, sondern seien ausgelöst durch wirtschaftliche Unzufriedenheit. Auch der geistliche Führer stehe in der Kritik, so Röttgen weiter.
Solidarisieren mit dem Volk
Eine typische Floskel der Führung gegen die sich solche Proteste richteten, sei häufig, dass die Demonstrationen vom Ausland angeleitet würden. "Man muss achtgeben, dass man dieses Narrativ nicht befeuert", sagte Röttgen.
Trump habe im Iran seine Glaubwürdigkeit verloren, da er seit Amtsbeginn versuche, die sunnitisch-arabische Welt gegen den Iran zu mobilisieren.
Die Europäer und auch die Deutschen hätten sich im Gegensatz dazu ihre Glaubwürdigkeit bewahrt, man stünde zu dem Atomabkommen, mit denen die Bevölkerung wirtschaftliche Perspektiven habe. Man müsse der iranischen Bevölkerung vermitteln, dass Europa ein verlässlicher Partner sei, betonte Röttgen. Solidarisierung sei notwendig. "Wir sind auf der Seite der Bevölkerung", sagte er.
Die Europäer und auch die Deutschen hätten sich im Gegensatz dazu ihre Glaubwürdigkeit bewahrt, man stünde zu dem Atomabkommen, mit denen die Bevölkerung wirtschaftliche Perspektiven habe. Man müsse der iranischen Bevölkerung vermitteln, dass Europa ein verlässlicher Partner sei, betonte Röttgen. Solidarisierung sei notwendig. "Wir sind auf der Seite der Bevölkerung", sagte er.
Am Telefon ist der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen, in der letzten Legislaturperiode Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses. Schönen guten Morgen!
Nobert Röttgen: Guten Morgen, Frau Schulz!
Schulz: Es gab am Montagabend ja die Ermahnung von Außenminister Gabriel, vom geschäftsführenden Außenminister Gabriel an die iranische Führung, das Demonstrationsrecht zu wahren. War das deutlich genug?
Röttgen: Ich glaube, das ist das Wenige in gewisser Weise, aber auch Notwendige, was deutsche und europäische Politik tun kann, sich zu solidarisieren mit den Menschen, den Bürgern, die von ihrem auch international anerkannten und übrigens auch in der iranischen Verfassung anerkannten Recht zu demonstrieren Gebrauch machen. Das ist sehr stark eine inneriranische, vielleicht revolutionäre Entwicklung, jedenfalls der größte, breiteste Protest, den es innerhalb von zehn Jahren gegeben hat. So viel, außer Solidarisierung von außen, können wir leider nicht machen?
Schulz: Wie kommen Sie zu der Einschätzung, dass das von den Dimensionen her größer ist als 2009?
Röttgen: Es ist ja ganz anders, soweit wir das von außen beurteilen können. 2009 war es eine dezidiert politische, auch politisch organisierte Bewegung, ausgelöst durch Vorwürfe um Wahlfälschungen, als es um die Wiederwahl des damaligen Präsidenten Ahmadinedschad ging. Jetzt scheint es ja eine breite, gar nicht politisch organisierte Unzufriedenheit, vor allen Dingen ausgelöst durch soziale und wirtschaftliche Unzufriedenheit, Arbeitslosigkeit, Inflation, Korruption zu sein, die keine politische Führung hat, auch nicht von der damaligen Opposition angeführt wird, aber sich eben ausbreitet und auch politisch wird und ja ganz deutlich zum Beispiel auch den geistlichen politischen Führer Chamenei angreift und attackiert. Das ist eine Dimension, die einerseits anders ist als noch 2009, eine Schwäche hat, dass sie nicht organisiert ist politisch, aber andererseits ist das auch die eigentliche Stärke, dass es gewissermaßen unorganisiert sich aus dem Volk in der Breite entwickelt und ausbreitet.
"Das Narrativ nicht befeuern"
Schulz: Aber warum bekommen die Menschen, die da jetzt aufstehen für ihre Freiheiten, auch für Ihre politischen Freiheiten, das sagt ja auch Präsident Rohani, warum kriegen die da keine deutliche Rückendeckung aus Europa?
Röttgen: Zum einen ist ja die typische Floskel derjenigen Führung, gegen die sich diese Demonstrationen richten, zu sagen, das ist ja vom Ausland alles angeleitet, das sind die ausländischen Feinde, die uns im Innern treffen wollen. Und insofern muss man achtgeben, dass man dieses Narrativ der politischen Führung nicht auch noch befeuert, indem man lauter Zitate schafft: Guckt mal, das Ausland, unsere Feinde, die nicht-islamische Welt, die möchte, die ist auf der Seite der Demonstranten, und wir verteidigen die islamische schiitische Reinheit gegenüber dem häretischen Ausland. Das ist schon ein Aspekt, den man sehen muss.
Schulz: Aber jetzt wissen wir im Jahr 2018 auch schon genau genug, dass es diese Stimmen auch immer geben wird, egal, welche Zitate aus dem Ausland geliefert werden. Viele denken jetzt vielleicht an die Rückendeckung, die die Demonstranten ja bekommen haben vom US-Präsidenten Donald Trump, der seinerseits dafür ja ziemlich harsche Kritik einstecken musste. Er sagt, das iranische Volk sei über Jahre unterdrückt worden. Es sei Zeit für einen Wechsel. Was ist denn daran falsch?
Röttgen: Das ist überhaupt nicht falsch. Das Problem dabei, und das ist auch ein Unterschied zu Deutschland, ist, dass Präsident Trump durch seine Äußerungen gegenüber Iran und sein Agieren in der Region sich gerade im Iran keine Glaubwürdigkeit erarbeitet hat, sondern die Glaubwürdigkeit verloren hat, indem er dauernd versucht, seitdem er im Amt ist, die sunnitisch-arabische Welt gegen den Iran zu mobilisieren. Und insofern hat er sich selbst in die Position eines Feindbilds für die iranische Führung jedenfalls gebracht. Ich glaube, dass das bei den Europäern, auch bei Deutschland im Besonderen, anders ist. Wir haben uns Glaubwürdigkeit bewahrt, wir stehen zu dem Nuklearabkommen, mit dem die Bevölkerung ja wirtschaftliche Perspektiven, nämlich die Linderung der Sanktionen erwartet. Dazu stehen wir, und darum, glaube ich, haben wir eine ganz andere Glaubwürdigkeit, die wir auch einsetzen sollten, aber in den realistischen Grenzen, die man sehen muss, jetzt von außen etwas zu tun. Solidarisierung ist unbedingt notwendig.
Schulz: Das war ja das europäische Argument, zu sagen, wir brauchen dieses Atomabkommen mit dem Iran, eben damit das Land wirtschaftlich wieder auf die Füße kommen kann. Warum hat man sich da so verkalkuliert?
Röttgen: Man hat sich nicht verkalkuliert. Das Abkommen ist ja geschlossen worden. Es wird auch eingehalten. Das westliche Anliegen war, dafür zu sorgen, dass der Iran keine Atomwaffe erhält, mindestens für einen Zeitraum von zehn, 15 Jahren, um auch ein atomares Wettrüsten in der Region zu verhindern. Und das Argument für den Iran und die politische Führung war, zu sagen, wir brauchen wirtschaftliche Entwicklung, weil wir ansonsten die Unzufriedenheit im Land nicht mehr beherrschen können.
"Die Ungleichheit hat zugenommen"
Schulz: Woran machen Sie denn die wirtschaftliche Entwicklung fest? Wir haben eine Jugendarbeitslosigkeit von rund 30 Prozent.
Röttgen: Ich mache die nicht fest, ich habe nur gerade das Motiv des Iran beschrieben, warum er sich, warum Iran sich auf das Nuklearabkommen eingelassen hat. Es sind ja auch Sanktionen gelindert worden. Es gibt auch eine gewisse wirtschaftliche Entwicklung, aber insgesamt sind, muss man mal sagen, revolutionäres Missmanagement im Iran, Korruption, die starke Stellung der revolutionären Garden, die gegen jede Modernisierung sind, das ist bei der Bevölkerung noch bei Weitem nicht angekommen. Im Gegenteil, die Ungleichheit hat zugenommen und damit auch die Unzufriedenheit weiter Teile von jungen Leuten, die gut ausgebildet sind zum Teil. Aber Arbeitslosigkeit von 60 Prozent haben, überall Korruption begegnen, Preise steigen jetzt, die Sozialausgaben werden beschnitten, aber die Ausgaben für die revolutionären Garden und die religiösen Einrichtungen steigen. Und das hat eine enorme Wut und Unzufriedenheit und das Gefühl von Perspektivlosigkeit erzeugt, die sich jetzt entlädt, sehr breit.
Schulz: Diese Punkte zu benennen, das ist sicherlich wichtig. Aber jetzt sagen Sie uns noch mal, was abgesehen von dieser Kritik kann Europa denn tun, um etwas dran zu ändern?
Röttgen: Ich glaube, das Wichtigste, was Europa getan hat und weiter tun muss, ist, dass wir unsere Glaubwürdigkeit bewahren in den Augen der iranischen Bevölkerung, dass wir nicht die Feinde der iranischen Bevölkerung sind, dass wir die wirtschaftliche Entwicklung dieses Landes wollen, dass wir zu unseren Abmachungen, den Abmachungen des Nuklearabkommens stehen, Sanktionen gelindert werden und dadurch die Bevölkerung eine Perspektive gewinnt, und die Europäer verlässliche Partner dieses Abkommens sind, auch darum mit der Regierung verhandeln müssen. Aber wir sind auf der Seite der Bevölkerung, die neben Brot und Nahrung nun auch politische Freiheiten einfordert, völlig zu Recht. Diese klare Position muss ankommen in der iranischen Bevölkerung, und die Medien, die digitalen Medien sorgen auch dafür, dass, glaube ich, diese Position realistisch wahrgenommen wird.
"Das Recht auf freie Meinungsäußerung unterstreichen"
Schulz: Das wäre meine nächste Frage: Wie merkt die iranische Bevölkerung denn, dass Europa auf seiner Seite steht, wenn wir jetzt angesichts dieser drastischen Bilder auch von Polizeigewalt, wenn wir da aus Europa die Reaktion haben, dass beide Seiten jetzt mal aufgefordert werden, auf Gewalt zu verzichten?
Röttgen: Nein, das habe ich jedenfalls nicht gehört, dass das gesagt worden ist.
Schulz: Das hat die EU-Außenbeauftragte Mogherini gesagt, ein Gewaltverzicht mit dem Appell an beide Seiten.
Röttgen: Ja, okay. So würde ich es jedenfalls dann auch nicht formulieren, sondern das, was wir unterstreichen müssen, ist das Recht auf Entwicklung und das Recht auf freie Meinungsäußerung und Demonstrationsfreiheit der Bevölkerung, wie es international und auch in der iranischen Verfassung anerkannt worden ist. Das muss die klare Positionierung sein. Und wenn dagegen die staatliche Gewalt im Iran, die Regierung Gewalt anwendet, die Menschen tötet oder ins Gefängnis wirft, dann handelt sie unrecht, und dann ist das illegitime, illegale Gewalt des iranischen Staates, und das muss so genannt werden, und da gibt es keine Gleichheit in der Positionierung gegenüber Bevölkerung und Regierung. Die darf nicht aufkommen.
Schulz: Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Ganz herzlichen Dank!
Röttgen: Ich danke Ihnen, Frau Schulz!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.