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Proteste in Belarus
Das Schicksal der Stadt Grodno

Der Polizeichef entschuldigte sich bei den Demonstranten, Kommunalpolitiker nahmen Kontakt zu ihnen auf. Zwischenzeitlich galt Grodno als große Hoffnung der belarussischen Opposition, doch dann griff Lukaschenko durch.

Von Florian Kellermann |
Demonstranten versammeln sich am 19.08.2020 am Lenin-Platz in Grodno
Eines steht für viele in Grodno fest: Ein Zurück zu den Zuständen vor den Protesten gibt es nicht. (Imago/Vitaly Skvortsov)
Keine belarussische Stadt – abgesehen von der Hauptstadt Minsk - war in den vergangenen Wochen so oft in den Schlagzeilen wie Grodno. Die Stadt liegt ganz im Westen des Landes. Und das merke man den Menschen dort an, sagt Andrzej Poczobut, der aus Grodno für den Fernsehsender Belsat berichtet.
"Traditionell galt Minsk als Bastion der Opposition gegen Lukaschenko – und der Bezirk Grodno. Hier leben viele Polen, die schon durch ihren Katholizismus mit dem Westen verbunden sind. Aber auch für die ethnischen Belarussen hier ist der Westen kein Feind, viele fahren über die Grenze, sehen, wie die Menschen in Polen und Litauen leben. Lukaschenko mag diesen Bezirk nicht. Es ist der einzige in Belarus, wo er keine Residenz besitzt."
Für einen kurzen Moment in der Woche nach der Präsidentschaftswahl schien es, als könne Grodno sogar zur Modellstadt für Belarus werden. Drei Tage lang hatte die Staatsmacht auf die Protestierenden einprügeln lassen.
Erlaubnis zu demonstrieren
Dann passierte in Grodno das, worauf viele Belarussen so sehnlich hoffen. Dort entschuldigte sich der Polizeichef für das brutale Vorgehen. Die örtlichen Machthaber suchten den Dialog mit den Protestierenden. Und das brachte Ergebnisse, wie Jeschy Grigentscha schildert, ein Mitglied der Oppositionspartei OGP in Grodno:
"Die Machthaber haben gesagt, ihr dürft ab sofort überall legal demonstrieren. Sie haben unsere Hauptforderung erfüllt: alle freizulassen, die unmittelbar nach der Präsidentschaftswahl festgenommen worden waren. Die lokalen Funktionäre haben wohl gesehen, dass wir nichts zerstören wollen, dass wir friedlich sind."
Doch der Moment der Hoffnung währte nur kurz. Inzwischen geht die Polizei wieder hart gegen Kundgebungen vor. Die Teilnehmer werden zu Hunderten vorgeladen und verhört. Vor wenigen Tagen nahm die Polizei 28 Arbeiter des örtlichen Chemiewerks fest, als diese nur in einer größeren Gruppe durch die Innenstadt zogen.
Was war passiert? Der amtierende Präsident Alexander Lukaschenko hatte ein Machtwort gesprochen. Er entließ den Gouverneur des Bezirks Grodno. Andrzej Poczobut:
"Dieser Gouverneur war deutlich angenehmer als seine Vorgänger. Er war kein Oppositioneller, aber er hatte einen zivilisierten Umgangston, er ist gebildet. Seine Vorgänger waren schlicht Rüpel. In Sitzungen hagelte es Schimpfwörter, sie erniedrigten ihre Untergebenen öffentlich."
Der neue Gouverneur war bisher belarussischer Gesundheitsminister. Obwohl er Arzt ist, trug er die bizarre Corona-Politik von Präsident Lukaschenko mit. Der Machthaber spielte die Risiken des Virus herunter und sperrte sich gegen eine langfristige Zusammenarbeit mit der WHO.
Lukaschenko wechselte nicht nur den Gouverneur aus, er reiste auch persönlich nach Grodno, um die lokalen Eliten wieder auf Kurs zu bringen. Und obwohl ihm das gelang, rückt er die Stadt jetzt immer wieder in ein schlechtes Licht, mit teils absurden Behauptungen, so gestern bei einer Regierungssitzung:
"Wir müssen viel Geld ausgeben, um die Situation an unserer Westgrenze zu stabilisieren. Sie haben von den Erklärungen gehört, dass Belarus zerfallen und der Bezirk Grodno an Polen gehen wird. Sie sprechen schon offen darüber, aber das wird ihnen nicht gelingen."
Mit "sie" sei die polnische Regierung gemeint, gab Lukaschenko zu verstehen.
Anklagen und Gerichtsverhandlungen
Die Behörden in Grodno gingen inzwischen besonders hart gegen Andersdenkende vor, sagt Jerzy Grigentscha:
"Eine Frau hat nicht mal teilgenommen an den Protesten, ihr ging es nur um ihren Mann. Der war am 8. August festgenommen wurden, und sie wusste vier Tage lang nicht, wo er ist. Da ist sie zur Polizei gegangen, wollte Auskunft und hat sich mit den Beamten gestritten. Nun ist sie angeklagt. Gleich gehe ich zu ihrer Gerichtsverhandlung."
Auch wenn das Tauwetter in Grodno wieder vorbei ist, eines steht für die Menschen fest: Ein Zurück zu den Zuständen vor den Protesten gibt es nicht. Der polnische Journalist Piotr Andrusieczko hat das immer wieder in Grodno bestätigt bekommen, bis vor wenigen Tagen war er dort:
"Ich habe oft die Formulierung gehört, dass das jetzt die letzte Chance ist. Wenn es diesmal nicht gelingt, den Übergang zur Demokratie zu schaffen, dann werde man ausreisen. Auch Frauen im Alter von 40, 50 Jahren haben mir gesagt. Sie würden dann ihre Wohnung verkaufen und nach Polen ziehen."