Es sind vor allem individuelle Reaktionen. Die großen Institutionen hüllen sich in Schweigen. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass sie damit beschäftigt sind, die Krise zu bewältigen, in die die Pandemie sie gestürzt hat. Eine Ausnahme bildet der Direktor des Smithsonian, des großen Museumskomplexes in Washington D.C.: Lonnie Bunch hat eine unmissverständliche Erklärung abgegeben, in der er fordert, dass man dem Rassismus endlich ins Gesicht sehe, der dieses Land seit seinen Anfängen prägt. Das National Museum of African American History and Culture, das Teil des Smithsonian ist, hat zu diesem Zweck ein Onlineportal lanciert mit über 100 Multimediaquellen, die Rassismus, Geschichte und Identität in den USA thematisieren.
Sie sind einfach nur frustriert. Die Professorin und Autorin Roxane Gay zum Beispiel fragt ganz offen: Was erwartet ihr vor uns? Warum müssen wir immer und immer wieder dieselbe Debatte führen? Warum müssen wir euch immer und immer wieder auf das Offensichtliche hinweisen, nämlich auf den systemimmanenten Rassismus in den USA? - Und damit spricht sie für eine ganze Reihe vor allem afroamerikanischer Intellektueller. Die sehen sich einmal mehr gegen ihren Willen in eine Position gedrängt, in der man von ihnen entweder eine Art Vergebung erhofft oder Lösungsvorschläge - am besten sogar beides. Und dagegen wehren sie sich zu Recht. Man sieht ja, wozu selbst die konstruktivsten Bemühungen in diese Richtung geführt haben - nämlich zu gar nichts.
Die Repräsentation ist unendlich viel stärker als noch vor zehn Jahren. Diversität und Inklusion sind zu Schlagworten geworden, besonders in der bildenden Kunst und im Theater. Museen wie das Museum of Modern Art und das Whitney Museum haben ja mit Pauken und Trompeten ihre Sammlungen umgehängt und ihre Sammlungsstrategien in diesem Sinn geändert. Und umgedacht wird nicht nur, was gezeigt wird, sondern auch, wer es zeigt. Das heißt, es gibt mehr nicht-weiße Kuratorinnen und Kuratoren, Regisseure und überhaupt Veranstalter. Allerdings sind die Tempel der Kunst und Kultur das eine, die Straßen von Minneapolis, New York City oder Baltimore sind etwas anderes.
Kulturszene und Realität sind zwei verschiedene Planeten. So gut gemeint die Bemühungen auch sind, sie erschöpfen sich letztlich darin, dass die betreffenden Institutionen sich auf der richtigen Seite der Geschichte positionieren und darin, dass das Publikum, das ja immer noch überwiegend weiß ist, sich auf die Schulter klopfen kann, weil es freiwillig ein paar Lektionen Aufklärung mit Kulturbonus genossen hat. Auf die Politik hat dieser ästhetisierte Wohlfühl- und Wohltätigkeitsaktivismus nicht den geringsten Einfluss.
Eine radikale Auseinandersetzung mit der rassistischen Vergangenheit dieses Landes hat es bisher nicht gegeben. Das Problem ist, dass der politische Wille dazu - gerade und der gegenwärtigen Regierung - natürlich völlig fehlt. Es wäre dazu auch eine komplette Umstrukturierung des Bildungswesens nötig. Denn da fängt der Rassismus ja schon an: Wer hat Zugang zu einer guten Ausbildung? Wer schafft es mit Hilfe dieser Ausbildung in Entscheidungspositionen? Das sind nicht die Leute, die nun in den Straßen Fenster einwerfen. Und es sind auch nicht die Menschen, die durch Polizeigewalt sterben.
Sacha Verna ist freie Kulturjournalistin. Sie arbeitet unter anderem für die "Neue Zürcher Zeitung" und die "Frankfurter Rundschau" sowie fürs Schweizer Radio und den Deutschlandfunk. Seit 2001 lebt sie in New York City.