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Proteste in Hongkong
Die Polizei zwischen Regierenden und Demonstranten

Hongkong kommt nicht zur Ruhe. Mittendrin in dem Konflikt stehen die Einsatzkräfte der Hongkonger Polizei. Sie haben sich in den vergangenen Tagen wieder heftige Auseinandersetzungen mit Anti-Regierungs-Demonstranten geliefert. Nicht alle Polizisten heißen das Vorgehen gut.

Von Steffen Wurzel |
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Es gab neue Proteste und Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Polizei in Hongkong (imago images | Kyodo News)
Wenn John auf das zu Ende gehende Jahr zurückblickt, spürt er vor allem eines: Müdigkeit. Hunderte Überstunden hat der 32-jährige Hongkonger seit Sommer gemacht. Sein Arbeitgeber ist die Hongkonger Polizei.
"I am a senior inspector police. I‘ve been in the police force for five years. Now I am the commander of a riot police team."
Zu einem Gespräch mit dem ARD-Hörfunk war John nur bereit, wenn seine Stimme verfremdet wird. Auch ist "John" ein Deckname. Denn er will und darf nicht erkannt werden: nicht von Freunden oder der Familie. Vor allem aber nicht von Kolleginnen und Kollegen oder vom chinesischen Geheimdienst. Denn als Kommandant einer Einheit der sogenannten "Riot Police" darf John keine Interviews geben – und er sollte sich auch nicht öffentlich kritisch äußern gegenüber der eigenen Polizeiführung und der Regierung. Er tut es trotzdem.
"Aus der Perspektive eines Polizisten, der immer ganz nah dran ist, würde ich sagen: Die Regierung nimmt zu wenig Rücksicht auf uns. Wir Polizisten wurden in diese Rolle hineingedrängt. Lösen können wir die Situation aber nicht."
Arbeit aus tiefster Überzeugung
Seit Sommer ist John in der Regel an sechs Tagen in der Woche im Einsatz, für 14 bis 16 Stunden am Tag. Er wird mit seinem aus 40 Polizistinnen und Polizisten bestehenden Team immer dort hingerufen, wo es brenzlig wird.
"Einige Demonstranten haben uns mit Brandsätzen beworfen. Manche schleudern Steine auf uns oder schießen sogar mit Pfeilen. Es wurden auch Sprengsätze gefunden."
Im Gespräch mit John wird klar: Er arbeitet aus tiefster Überzeugung bei der Polizei: um den Menschen in Hongkong zu helfen, wie er mehrfach betont, und um die Gesellschaft sicherer zu machen. John ist loyal und befolgt die Einsatzbefehle seiner Behörde. Dennoch sympathisiert er mit einigen Forderungen der Demonstranten, die unter anderem eine Amnestie für verhaftete Aktivisten fordern, außerdem freie Wahlen in Hongkong. Eine weitere Kernforderung der Demokratiebewegung lautet: Die Polizeigewalt der vergangenen Monate soll unabhängig untersucht werden. Ausgerechnet diesem Punkt stimmt Polizist John ausdrücklich zu.
"Wegen der komplizierten Gemengelage zwischen Hongkong und der chinesischen Zentralregierung sind einige der Forderungen nicht umsetzbar. Aber: Die Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungskommission wäre machbar."
Zahlreiche Fälle von unverhältnismäßiger Polizei-Gewalt
Das oft fragwürdige Vorgehen der Hongkonger Polizei ist inzwischen einer der Hauptgründe für die Wut vieler Bürger. Zuletzt kam es an Heiligabend zu einem Zwischenfall: Mehrere Kollegen von John drückten einen jungen Demonstranten zu Boden. Auf Fotos ist zu sehen, wie einer der Polizisten aus kürzester Distanz dem fixierten und wehrlosen Mann Pfefferspray direkt ins Gesicht sprüht. Pro-Demokratie-Aktivisten haben seit Beginn der Hongkonger Protestbewegung zahlreiche Fälle von unverhältnismäßiger Polizei-Gewalt dokumentiert. Hongkongs pekingtreue Regierung lehnt eine unabhängige Untersuchung der Vorfälle trotzdem weiter ab.
"Die Regierung hört nicht auf die Protestbewegung. Selbst nach mehr als einem Jahr der Proteste versucht die Regierung nicht wirklich, das Grundproblem zu lösen. Es kursieren Aufnahmen von Polizisten, die auf Protest-Teilnehmer einschlagen und die damit über ihre Befugnisse hinausgehen. Ich spreche von Fällen, in denen ein solcher Gewalteinsatz nicht nötig wäre. Unsere Vorgesetzten verteidigen solche Einsätze allerdings, statt zuzugeben, dass Dinge falsch laufen."
Tiefer Graben zwischen Bevölkerung und Regierung
Der Graben zwischen einer deutlichen Mehrheit der Hongkonger Bevölkerung und der von Chinas Staatsführung eingesetzten Regierung ist seit Sommer immer tiefer geworden. Diesen Riss spürt auch der 32-jährige Polizist John. Denn er reicht bis in seine Familie und seinen Freundeskreis. Seine Schwester, die die Hongkonger Protestbewegung unterstützt, sieht in ihm einen Vertreter der verhassten Regierung. Ähnlich in seinem Freundeskreis:
"Einige meiner Freunde habe ich wohl für immer verloren. Einige von ihnen gehören zum harten Kern der Protestbewegung. Es dürfte also schwierig für uns werden, wieder miteinander auszukommen."
John geht fest davon aus, dass die Massenproteste und auch die Ausschreitungen im neuen Jahr weitergehen werden. Die Hongkonger Polizei könne zwar versuchen, die Proteste kleinzuhalten, gelöst werden müssten sie aber politisch. Einen ersten Schritt, findet John, sollten seine eigene Behörde und seine Vorgesetzten machen.
"Für Polizisten, die offensichtliche Fehler gemacht haben, sollte die Polizeibehörde Verantwortung übernehmen, die fraglichen Taten anerkennen und künftige Vorfälle verhindern."
Einige Vertreter der Hongkonger Protestbewegung gehen inzwischen davon aus, dass verbotenerweise längst auch Polizisten aus Festlandchina in Hongkong im Einsatz sind. Angesprochen auf diese Gerüchte reagiert John ausweichend.
"Ich habe nichts dergleichen gehört. Ich neige dazu, solche Gerüchte nicht zu glauben. Ausschließen kann ich es aber nicht, schließlich sind wir eine sehr große Behörde. Vielleicht bekomme ich aber auch nicht alles mit."