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Proteste in Kolumbien angekündigt
Friedensabkommen wird nur schleppend umgesetzt

Krawalle in Chile, Unruhen in Bolivien - und auch in Kolumbien haben Oppositionsparteien für den 21. November zu Protesten aufgerufen. Auslöser sind Morde an Menschenrechtsaktivisten, eine Arbeitsrechtsreform und der brüchige Friedensprozess.

Von Burkhard Birke |
Mitglieder der National Indigenous Organization of Colombia (ONIC) bei einer Trauerfeier in Bogotá für fünf Indigene, die in der Region Cauca ermordet worden sind.
Mitglieder der National Indigenous Organization of Colombia (ONIC) bei einer Trauerfeier in Bogotá für fünf Indigene, die in der Region Cauca ermordet worden sind (AFP / Raul Arboleda)
Drei Jahre wird der Vertrag, mit dem Kolumbien einen Schlussstrich unter 50 Jahre bewaffneten Konflikt und mehr als 270.000 Tote ziehen wollte - unter einen Konflikt, der letztlich im enormen sozialen Gefälle im Land wurzelt.
Das Gros der FARC-Guerilleros hat mittlerweile die Waffen abgegeben. Die FARC ist politische Partei geworden. Ihre Commandantes sitzen teilweise als Repräsentanten in Senat und Abgeordnetenkammer. Eine Sondergerichtsbarkeit mit großzügigen Strafnachlässen ist allen Änderungsversuchen der Regierung von Präsident Duque zum Trotz in Kraft getreten. Und dennoch steht der Friedensprozess in Kolumbien auf sehr wackligem Gleis.
Eine Gruppe von FARC-Dissidenten hat wieder zu den Waffen gegriffen, die Rede ist von 1.500 bis 2.000 Kämpfern. Der Dialog mit dem Nationalen Befreiungsheer ELN und seinen ebenfalls rund 2.000 Aktiven ist eingestellt worden, der Drogenanbau floriert in den von der Guerilla geräumten Gebieten mehr denn je und im Land findet eine regelrechte Hexenjagd statt.
Traurige Bilanz der letzten drei Jahre
"Mehr als 700 Personen sind seit Unterzeichnung des Friedensabkommens ermordet worden, Menschen, die in kleinen ländlichen Gemeinden aktiv waren, Repräsentanten der Indigenen, von Afrokolumbianern oder Menschenrechtsaktivisten. In verschiedenen Regionen leisten einige Kräfte starken Widerstand gegen Veränderungen aus dem Friedensabkommen."
Iván Cepeda, Senator des linken Polo Democratico Alternativo, zieht traurige Bilanz der letzten drei Jahre. Die Ermordung von Aktivisten ist nichts Neues in Kolumbien. Seit August 2019, seit der konservative Präsident Ivan Duque das Land regiert, hat sich die Mordrate jedoch beschleunigt. Alle 72 Stunden wird in letzter Zeit ein Bauernführer, Gewerkschaftler oder Menschenrechtsaktivist ums Leben gebracht. Auch 170 frühere Mitglieder der FARC Guerilla wurden ermordet.
Nicht nur beim Schutz von Menschenrechtsaktivisten und entwaffneten FARC-Kämpfer hapert es, wie der frühere Innenminister Juan Fernando Cristo am Rande einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert- und der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin erläutert:
"Dieser Friedensvertrag wurde ja nicht nur für die FARC und die Regierung geschlossen, sondern auch um eine umfassende Landreform durchzuführen – da ist nichts passiert. Da haben wir eine Bringschuld. Es bleiben uns noch acht Jahre, um zu liefern. Das Friedensabkommen sieht auch vor, dass Kokabauern alternative Anbaumöglichkeiten geboten werden. Die Regierung Duque hat diesen Prozess gebremst. Zudem ist vereinbart worden, die Demokratie durch eine politische Reform zu stärken, ihr mehr Legitimität zu verleihen, auch das ist nicht erfolgt."
Noch gilt Kolumbien als vergleichsweise stabiles Land
Die schleppende Umsetzung dieser Punkte schürt Unmut im Land. Der soziale Druck ist enorm, auch durch annähernd zwei Millionen venezolanische Flüchtlinge. Kolumbien steht vor einer enormen Belastungsprobe. Günther Maihold, Lateinamerikaexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik:
"Wir müssen davon ausgehen, dass die Aufwendungen für den Friedensprozess und die Betreuung der Migranten und deren Integration in die Gesellschaft das Land massiv in finanzielle Bedrängnis bringen werden. Und damit bleiben die notwendigen Investitionen in die Infrastruktur, in den Wiederaufbau und in die Herstellung staatlicher Präsenz in den Gebieten, in denen bisher die FARC aktiv war, auf der Strecke und können dann natürlich Instabilität verursachen."
Noch gilt Kolumbien als vergleichsweise stabiles Land. Große Massenproteste waren eher selten an der Tagesordnung, aber:
"Die Leute empören sich zu Recht über die Ungleichheit, über die Ermordung von Aktivisten. Die Umfragen zeigen, dass die Bevölkerung mit der Regierung nicht zufrieden ist. Für den 21. November ist eine Protestkundgebung auf nationaler Ebene anberaumt, die wird groß und friedlich."
So hofft zumindest Juan Fernando Cristo, der Mann, der in der Vorgängerregierung als Innenminister für Sicherheit zuständig war und den Friedensvertrag von Havanna mit ausgehandelt hat.