In Artikel 8 des Grundgesetzes steht: "Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln." Die Gesetzgebungskompetenz für das Versammlungsrecht ist 2006 vom Bund auf die Länder übergegangen. Einige Länder wie Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern haben von ihrer Gesetzgebungskompetenz bereits Gebrauch gemacht – gegen das bayerische Versammlungsrecht zogen mehrere Organisationen sogar mit einer Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht.
Nun soll auch Nordrhein-Westfalen (NRW) ein eigenes Versammlungsgesetz bekommen. Der Entwurf der Landesregierung ist aber umstritten.
Konkret sieht der Entwurf eine verschärfte Videoüberwachung und ein strafbewehrtes Vermummungsverbot vor. Versammlungsteilnehmern in NRW soll auch verboten werden, Dinge bei sich zu tragen, die nach Ansicht der Polizei zur "Identitätsverschleierung" geeignet sein könnten.
Auch ein sogenanntes "Militanzverbot" ist vorgesehen: Versammlungen unter freiem Himmel, die Gewaltbereitschaft vermitteln und Einschüchterung betreiben, sollen verboten werden. Das Tragen dieser von Uniformen, Uniformteilen und uniformähnlicher Kleidung soll daher auch verboten werden.
Grundgesetz Artikel 8
"Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden."
"Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden."
Demonstrationen sollen nach dem geplanten Gesetz auch nicht mehr mündlich oder telefonisch angekündigt werden können. Stattdessen soll die Anmeldung schriftlich erfolgen - und auch nicht an Wochenenden. Damit würden sich die Anmeldefristen verlängern. Im Höchstfall, zum Beispiel an Ostern, oder Pfingsten muss eine Demonstration dann vier Tage vorher angemeldet werden. Auch die Anzahl der Ordner, unter bestimmten Umständen auch deren Namensnennung, soll Pflicht werden. So soll den Behörden genug Zeit gegeben werden, die Veranstaltung zu überprüfen.
In Paragraf 7 des Gesetzentwurfs steht das "Störungsverbot". Dies könnte sogar Neonazi-Aufmärsche schützen. Denn als "Störung" versteht die NRW-Landesregierung nicht nur laute Musik oder Lärm, sondern bereits die "gezielte Anmeldung einer Gegenveranstaltung für dieselbe Zeit und denselben Ort". Auch die "Förderung" solcher Störungen ist untersagt.
Der Gesetzesvorlage steht seit Monaten in der Kritik etwa von Gewerkschaftern, Klimaaktivisten und Umweltschützern. Denn auch die weißen Overalls, die Klimaschützer bei der Besetzung von Braunkohletagebauen wie Garzweiler getragen haben, werden ihrer Meinung nach in dem Gesetzentwurf mit der Kleidung von Rechtsextremen gleichgesetzt. Die Umweltbewegung sieht sich dadurch kriminalisiert.
Ähnliches könnte dann auch Belegschaften, die in einheitlicher Arbeitskleidung protestieren, drohen.
Für Gabi Schmidt von Verdi in NRW ist das problematisch. "Weil wir zum Teil als Gewerkschaft auch sehr kreativ unterwegs sind, gerade auch unsere Jugend, die zum Beispiel bei Demonstrationen auf der Straße auch zum Teil verkleidet sind." Beispielsweise als Piraten, die das Tarifmodell "kaperten". "Wirken denn Piraten nicht auch schon einschüchternd? Das sind Fragen, die wir uns halt stellen, wo wir die Sorge haben, dass das Gesetz dann eben sehr weit ausgelegt wird", erklärt Schmidt.
Dazu kommen die Bedenken der Gewerkschaften, dass bei vier Tagen Vorlauf Arbeitgeber vorher schon versuchen könnten, einen Streik oder eine Demonstration zu verhindern. Auch feiernde Fans in Trikots befürchten, dass sie von dem Verbot betroffen sein könnten.
"Der gesamte Duktus, insbesondere in der Gesetzesbegründung, geht dahin, dass man Versammlungen als Gefahr sieht, als vor allem gewalttätige Versammlung, und der Staat müsse nun alles tun, diese Gefahren abzuwehren", sagt Clemens Arzt, Rechtsprofessor der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin.
Auch die Landtagsopposition von Grünen und SPD steht dem Gesetzentwurf kritisch gegenüber, da es zu restriktiv sei. Grundsätzlich begrüßt die Opposition aber, dass Deutschlands bevölkerungsreichstes Bundesland ein eigenes Versammlungsgesetz erhalten soll.
Am Entwurf für ein neues Versammlungsgesetz in NRW scheiden sich die Geister. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hält die Sorgen, die viele mit Blick auf den Gesetzentwurf geäußert haben, für unbegründet. "Es geht doch nicht darum, dass man nicht gleichförmig in Gruppen gleich gekleidet unterwegs sein darf, sondern es kommt immer auf die Haltung an, die dabei ist. Erst dann, wenn daraus eine Militanz, also eine die Menschen beeindruckende, gewalteinflößende Wirkung erzielt wird, dann kann man eingreifen."
Der Grund für das Uniform-Verbot sei banal, so Reul: "Das hat etwas mit deutscher Geschichte zu tun. Ich will nicht, dass rechte Gruppierungen in Deutschland rumrennen, mit Springerstiefeln und anderem und über Straßen marschieren und angsteinflößend sind. Sowas hatten wir schon mal, und das will ich nicht." Die Sorgen der Gewerkschaften, Klimaschützenden und Fanverbände kann Reul damit aber bislang nicht zerstreuen.
Markus Thiel, Professor für Öffentliches Recht an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster begrüßt es ausdrücklich, dass in NRW das alte, aus seiner Sicht überholte Bundesgesetz, abgelöst werden soll. "Also im Detail, kann man über all diese Dinge diskutieren. Aber jetzt zu sagen, das atmet irgendwie den Geist einer Verbotspolitik oder einer Unterdrückungspolitik, das ist einfach unredlich", sagt er.
Thiel hält diese Regelungen für sinnvoll, sie sollten keine Schikane sein, sondern "es dient dazu, der Polizei die Kontrolle zu ermöglichen, ob gegen diese Versammlung in irgendeiner Weise vorgegangen werden muss, ob man gegebenenfalls beschränkte Auflagen erlassen muss, um diese Versammlung gefahrlos gestalten zu können. Die Anzeige dieser Versammlung und die Anzeige, was will man machen, wo will man langlaufen, wer soll als Ordner eingesetzt werden - das sind ja alles auch Regelungen zum Schutz der Versammlung."
Teile von Koalitionspartner FDP gehen öffentlich auf Distanz zu dem geplanten Versammlungsgesetz und schieben die Verantwortung der CDU zu. FDP-NRW-Generalsekretär und Parteivize Johannes Vogel spricht von einem "Reul-Entwurf". Die Botschaft dahinter: Die FDP hat damit nichts zu tun. Innenminister Reul (CDU) hingegen widersprach dem Eindruck, die FDP sei nicht eingebunden gewesen.
Der Gesetzentwurf wurde zwar im Haus des Innenministers geschrieben. Doch über dem Gesetzesentwurf steht eben auch "Gesetzentwurf der Landesregierung". Er wurde vom Kabinett abgesegnet und dann in den Landtag eingebracht. Daran waren auch die drei FDP-Minister beteiligt. Ein Gegen-Votum der FDP aus der Ministerrunde ist nicht bekannt.
Ob es noch signifikante Änderungen an dem Entwurf geben wird, ist nicht klar, allerdings kommt ein Gesetzentwurf selten so aus dem Landtag heraus, wie er reingekommen ist. Die CDU-Fraktion zeigte sich offen. "Etwaige Änderungswünsche werden wir diskutieren und beraten - so wie auch beim Polizeigesetz, wo wir eine gute Lösung mit breiter Unterstützung erzielt haben", sagte der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Christos Katzidis. Innenminister Reul rechnet nicht damit, dass das Gesetz vor Herbst 2021 verabschiedet wird.
Quellen: Felicitas von Boeselager, dh
Quellen: Felicitas von Boeselager, dh