Der Oppositionelle Alexej Nawalny hat sich mit den Sicherheitskräften ein Katz- und Maus-Spiel geliefert. In der Vergangenheit ist er an Demonstrationstagen zügig festgenommen worden, sogar schon direkt vor seiner Wohnung. Diesmal hatte er woanders übernachtet.
Und er legte falsche Fährten, erklärte in einem Netzvideo, wo er sich aufhalte und nannte eine Moskauer Adresse. Medienberichten zufolge ist dort Präsident Wladimir Putin registriert. Sein Telefon nutzte Nawalny am Vormittag eigens nicht, um es der Polizei zu erschweren, ihn zu orten.
Anhänger kennen Nawalny nur aus dem Netz
Als sich der Oppositionspolitiker dann aber auf dem Moskauer Innenstadt-Boulevard Twerskaja zeigte, auf dem Weg zur Demonstration auf dem Puschkinplatz, verging nur wenig Zeit, bis er festgenommen wurde. Weil die Veranstaltung in Moskau nicht genehmigt worden war, wird ihm nun ein Verstoß gegen das Versammlungsrecht vorgeworfen. Damit bleibt es dabei: Bei den Demonstrationen, zu denen er aufruft, ist er noch nie selbst aufgetreten. Die meisten Anhänger kennen den 41-Jährigen nur aus dem Netz.
Die Agentur Interfax meldete für Moskau 1000 Teilnehmer, Luftbilder von Drohnen lassen aber den Schluss zu, dass es mehr waren. Verglichen mit früheren Demonstrationen ist die Zahl der Städte, in denen demonstriert wurde, noch einmal gewachsen und liegt jetzt bei rund 100. Aktivisten zählten mehr als 200 Festnahmen. Wie viele Menschen dem Aufruf landesweit folgten, ist unklar. Den winterlichen Rekord hält die Demo in Jakutsk bei minus 45 Grad.
In etlichen Städten waren die Versammlungen genehmigt worden, nicht aber in der Hauptstadt und Sankt Petersburg. Die Furcht festgenommen zu werden, hält erfahrungsgemäß manche Sympathisanten ab, sich auf die Straße zu wagen. Wie Diskussionen im Netz zeigen, teilt außerdem längst nicht jeder die Vorgehensweise Nawalnys. Er, der zur Präsidentschaftswahl nicht kandidieren darf, ruft dazu auf, die Abstimmung im März zu bestreiken – also nicht abzustimmen und Wahllokale nur zu dem Zweck aufzusuchen, als Wahlbeobachter Fälschungen zu verhindern. Ein solcher Boykott ist nicht unumstritten, könnte dies doch den prozentualen Vorsprung Wladimir Putins vor allen anderen Kandidaten sogar noch erhöhen.
Vor allem junge Menschen demonstrierten in Moskau
Unter Rufen wie "Russland ohne Putin" oder "Russland wird frei sein" waren in Moskau vor allem junge Menschen auf den Puschkinplatz gekommen. Darunter der 15-jährige Schüler Sergej, der sich mit schwarzem Schminkstift das Wort "Putin" auf die rechte und "Geld" auf die linke Wange geschrieben hatte:
"Das ist Sarkasmus, weil meiner Meinung nach mehr als die Hälfte der Russen den Eindruck haben, dass Putin ein guter Politiker ist. Und das hier auf meinen Wangen ist mein Blick auf Putin: Er hat die Macht. Und er hat Geld."
Das ist das Grundmotiv vieler Demonstranten: Sie teilen die Argumentation Nawalnys, Russland könnte ein reiches Land sein, das seinen Bürgerinnen und Bürgern Chancen eröffnet. Stattdessen artikulieren sie ihren Frust und ihre Verärgerung darüber, wie sich eine verhältnismäßig kleine Elite bereichere und sich selbst den Zugang zur Macht sichere. Die Wahl im März betrachten sie als illegitim, weil der sogenannte Wahlkampf nicht nach fairen Kriterien ablaufe.
Diese Demonstrantin zweifelt nicht am Ausgang der Abstimmung, prognostiziert aber auch: "Wir gehen weiter auf die Straße, andere Varianten gibt es nicht. Was bleibt uns übrig? Putin gewinnt wahrscheinlich, aber wir protestieren trotzdem. Weil niemand sechs weitere Jahre Unterdrückung will."
Die Polizei wandte heute eine andere Taktik an als sonst. In Moskau waren ihre Spezialeinheiten kaum zu sehen; Festnahmen, bei denen üblicherweise ikonische Bilder entstehen, - wie Demonstranten an Armen und Beinen weggetragen werden -, gibt es diesmal so gut wie nicht. Als es in Moskau dunkel wurde, rief das Team Nawalnys die Anhänger dazu auf, nach Hause zu gehen.